Natascha, der Rookie auf dem Rad: Das erste Rennen

"Ich lebe, bewege mich und atme noch!"

Von Natascha Roslan

Foto zu dem Text "
Natascha vor ihrem ersten Rennen in Frankfurt | Foto: Team Alpecin/ Henning Angerer

04.05.2016  |  (Ra) - Ich zittere am ganzen Körper, ich bin nervös. Zuletzt habe ich mich beim Team-Treffen in Bielefeld so gefühlt. Mein Gott, wo kommen so viele Rennradfahrer her?! Ich habe Angst. Ich drehe um. Ich schaffe das nicht.

Was ist, wenn ich beim Start hinfalle?
Wo muss ich fahren, links, rechts oder in der Mitte? Darf ich kontinuierlich Windschatten fahren, oder muss ich auch mal nach vorne? Was passiert, wenn ich keine Kraft mehr habe? Wie reagiere ich, wenn ich jemanden vom Team verliere? Und wo verdammt nochmal ist die Toilette?

Fragen über Fragen - und das ist nur eine kleine Auswahl der Gedanken, die mich bei meinem ersten Rad-Marathon am vergangenen Sonntag in Frankfurt quälten. Eigentlich kenne ich zu jeder Frage die Antwort. Eigentlich!

In den letzten zwei Wochen habe ich nichts anderes gemacht,
als mich auf diesen Tag vorzubereiten. Grundlagen-Training, Tempo-Training, Trittfrequenz-Pyramiden, Fahrtechnik, und meine erste Radtourenfahrt, um mich daran zu gewöhnen, mit vielen Radlern gemeinsam zu fahren.

Meine Erfahrungen bei der RTF des PSV Stukenbrock waren Gold wert. Mit dem Notizblock immer am Mann, werden alle Tips und Tricks niedergeschrieben. Mit zwei Tonnen Schreibpapier und überglücklich, mich dieser Runde bei gefühlten Minusgraden, Regen, Hagel und Schnee gestellt zu haben, fahre ich mach Hause.

Mit dem traditionellen Grinsen im Gesicht
wird als erstes Bike und Material gereinigt. Danach natürlich alle Daten hochladen, das ganze innerhalb weniger Sekunden, denn mein Powermeter und ich sind jetzt “Big Friends“. Auf Strava ist die Strecke dokumentiert, und bei Facebook hab ich meine RTF-Windschatten gesucht, und gefunden.  Was sich echt schwierig gestaltet, wenn man die meisten nur von hinten sieht.

Nach weiterem Austausch widme ich mich in den nächsten Tagen wieder meinem Trainingsplan. Und plötzlich ein Tiefpunkt: Schlapp, demotiviert, müde - eine Nullbock-Phase. Ein paar Tage vor dem großen Rennen?!

Verstand einschalten, auswerten und reagieren.
Ich entscheide mich mit schlechtem Gewissen, mein Training ein Tag ausfallen zu lassen. Ich habe mir geschworen, immer auf meinen Körper zu hören - und wenn er sagt, er will nicht, dann gönne ich ihm diese Pause. Richtige Entscheidung! Einen Tag später nehme ich das Training wieder voll motiviert auf.

Und dann der große Tag! Typisch Frau, viel zu viel eingepackt, und doch die Hälfte vergessen, kämpfe ich mich nach Frankfurt durch. Zehn Kaffee später, ohne Stau und stockendem Verkehr, komme ich in Frankfurt am Hotel an. Noch nicht ganz ausgestiegen, lächelt mich schon mein Team-Kollege Timo an.

Nach einem kurzem Gejaule und Gequieke
(Timo natürlich), und der völlig unnötigen Frage: “Ach was, du hier?“, checken wir ein. Gefühlte zehn Minuten später sitzen wir schon auf unseren Rädern, und erkunden Frankfurt. Ich benutze das Wort “erkunden“ gern, um  nicht eingestehen zu müssen,  dass wir uns hauptsächlich verfahren haben.

Endlich am Rennbüro angekommen, komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus. Rennradler wohin man nur schaut, die Straßen teilweise schon abgesperrt, Werbeplakate, Team-Wagen, und mittendrin der Alpecin-Mini. Da fühle ich mich direkt heimisch.

Mit den Startunterlagen in der Hand genießen wir
noch ein wenig die Atmosphäre, bevor wir die nächsten Team-Kameraden in die Arme schließen. In gemütlicher Runde bereitet uns Fred, unser erfahrenster Kollege, auf das morgige Rennen vor. In das Ernährungs-Konzept mit eingebunden, lassen wir bei leckeren, selbstgemachten Burgern den Abend ausklingen.
 
Am nächsten Morgen, Stress, Stress und noch mehr Stress. Timo tut mir jetzt schon leid. Ich rede laut, schnell und verdammt viel. Wenn ich nervös bin, verstehe ich mich selber kaum noch. Aber mit einer unheimlichen Gelassenheit erträgt Timo mein Gesabbel, und bringt mich zum Start.

Und da naht auch schon die nächste Rettung:
Ein weiteres weibliches Team-Mitglied, mit Motivation und Beruhigung - leckere Muffins - im Gepäck. Eva, unsere Bäckerin, mit Begleitung Peter sind angekommen. Beide fahren ebenfalls ihr erstes Rennen, und ein bisschen Nervosität ist auch bei ihnen zu erkennen.

Mit der Ankunft von Fred sind wir dann komplett. Jacke an, Jacke aus, Jacke wieder an und wieder aus. Nach zehn Minuten hab ich mich entschieden: Jacke bleibt aus. Und wieder die richtige Entscheidung. Die Sonne lacht nämlich mit uns um die Wette. Gemeinsam begeben wir uns in unseren Startblock. Ich bin unfassbar nervös.
 
Schnell noch ein paar Fotos schießen,
und dann geht es schon los. Unzählig viele Räder fangen an zu rollen. Mein Blick ist nur auf meine Kollegen gerichtet. Ich habe für die ersten Kilometer nur ein Ziel: “Dran bleiben“ - ich weiß, einer der größten Anfängerfehler.

Mit der Angst, alleine zu fahren - bei Hunderten von Radfahrern um mich herum ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass das passieren könnte -, entwickle ich eine unfassbare Energie. Und tatsächlich bleiben wir kontinuierlich in Sichtweite. Das Stop-and-Go in der Stadt raubt noch ein wenig die Kraft, aber als es endlich ans gleichmäßige Rollen geht, finden wir uns in einer Gruppe wieder, und treten ordentlich in die Pedale.

Und es macht unheimlich Spaß.
Ich verbrauche zwar wohl das Doppelte an Kalorien, da ich mich unheimlich konzentrieren muss. Aber nach einer Zeit habe ich mich an die Massen, das Tempo und das stetige Ausweichen gewöhnt. Beeindruckend, was Windschatten ausmachen kann. 

Am Feldberg halte ich mich an die Vorgaben des Trainers: Langsam, geduldig, genug Puls zum Quatschen. Timo ist neben mir. Bergab heißt es dann Gas geben. Hier kommt mein Lieblingssatz ins Spiel: Einfach rollen lassen! Bis auf die Rechtskurven komme ich gut voran.

Die letzten 30 Kilometer stehen an.
Jetzt heißt es nochmal Gas geben. Schwellenwerte interessieren mich gerade nicht mehr, ich fühle mich gut. Das Team ist wieder vollständig - bis auf Fred, der dürfte schon frisch geduscht auf uns warten. Mit unseren Stärken und Schwächen ergänzen wir uns echt gut. Dann der letzte Berg! Jeder fährt nochmal für sich. Danach werden die Pedale wieder heiß getreten.

Vor mir sehe ich wahnsinnig durchtrainierte Waden. Grundsätzlich mag ich muskulöse Waden, hier steht allerdings die Kraft im Vordergrund. Also Gas geben, aufholen, dran bleiben. Wo nimmt dieser Mann vor mir die Power her? Aber ich kriege dich!  Verdammt, woher nehme ich eigentlich noch die Power?! Dann: Hab ihn. Eva und Timo mit dabei. Und: Zielsprint!

Das Ziel, da ist das Ziel - wir sind im Ziel!
Wir haben es geschafft. Ich kann es kaum glauben. Und ich lebe noch. Ich bewege mich noch. Ich atme noch! Und da, da lacht Fred uns an, und nimmt uns freudestrahlend in die Arme. Wahnsinn! Ich bin so glücklich.

Ich bekomme meine erste Medaille umgehängt. Mein Grinsen ist so breit, dass es auf kein Foto passt. Dieser Tag wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Danke an alle für die Tips und Tricks. Ihr habt meinen ersten Rad-Marathon unvergesslich gemacht.

Ich genieße noch ein Tag die Ruhe-Phase,
und dann geht es  in die nächste Vorbereitung - denn Pfingsten fährt man in Bimbach! Bevor es jedoch zum Rhön-Radmarathon geht, erwartet mich noch ein besonderes Highlight: der “Giro Day Germany“!
 
Wenn am 8. Mai das Alpecin-Profi-Team zu Besuch in Bielefeld ist, und unter anderem Simon Geschke, John Degenkolb und Max Walscheid gemeinsam mit uns auf Tour gehen, feiere ich dieses Jahr zum dritten mal Geburtstag und Weihnachten an einem Tag! Und ich glaube, meine Freude und mein nervöses Gequicke dürfte Timo auch in 400 km Entfernung noch hören.
 
Schöne Grüße aus Delbrück,
eure Natascha

Natascha Roslan ist Berufssoldatin, studiert BWL und fährt seit drei Monaten Rennrad. Unter 1200 Teilnehmern wurde sie als eine der acht "Jedermänner" des "Giant-Alpecin Gran Fondo Team" ausgewählt. Für radsport-aktiv.de berichtet die 30-Jährige über ihre Erlebnisse: "Natascha, der Rookie auf dem Rad

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