Müllers Tour-de-Singkarak-Tagebuch

Im Finale jedes Korn gespart und die Landschaft genossen

Von Robert Müller

Foto zu dem Text "Im Finale jedes Korn gespart und die Landschaft genossen"
Robert Müller im Grünen Trikot | Foto: Robert Müller

06.11.2018  |  (rsn) - Hallo aus Thana Datar, West-Sumatra, Indonesien! Auf der 3. Etappe über 150 Kilometer mit zwei Bergwertungen (darunter eine echte 1. Kategorie) und wie gewohnt drei Sprintwertungen durfte ich mich wieder in mein Lieblingstrikot kleiden, das Grüne für den Führenden in der Punktewertung.

Der war ich zwar nicht, aber da der Etappensieger von gestern auch Führender der Gesamtwertung ist und das Gelbe Trikot als höherwertig eingestuft wird, trug er dieses und ich stellvertretend grün. Letztes Jahr hatte ich das Punktetrikot auf 8 von 9 Etappen getragen, was hier im Rundfahrttross viele wissen. Start der Etappe war in Singkarak und die Strecke führte zunächst 1,5 Runden um den gleichnamigen, malerischen See, welcher der Rundfahrt ihren Namen gibt.

Mit dem Trikot auf den Schultern und als Zweitplatzierter der Gesamtwertung würde ich mir abschminken können, wieder in die Gruppe gelassen zu werden, dachte ich vor dem Start, und meine Beine hätten nach dem Husarenritt gestern auch nichts gegen einen Tag im Peloton. Doch als nach der Neutralisation direkt am 0 km-Schild die obligatorische Startattacke gefahren wurde, ging ich aus Reflex mit und befand mich sogleich in einer etwa 20-köpfigen Spitzengruppe. Die Philippiner von 7-Eleven waren zu dritt vertreten und machten auf der engen Straße ordentlich Tempo, so dass ich schon mit einem weiteren Tag in der Fluchtgruppe rechnete.

In solch einer verhältnismäßig großen Gruppe gibt es immer einige Fahrer, die nicht mitführen wollen, und dadurch entstehen Löcher, die die Harmonie zerstören und das Tempo drosseln. Wir hätten uns also mindestens halbieren müssen, damit die Gruppe eine Chance gehabt hätte. Das gelang jedoch nicht und so wurden wir nach zehn Kilometern, noch vor Beginn der ersten Bergwertung, wieder eingeholt. Schade, aber besser für meine Beine. An der Bergwertung machten sich drei Mann aus dem Staub und unten nach der Abfahrt stiefelte ihnen Peter Förster mit einem Begleiter hinterher.

Er hat wohl aufmerksam meinen Bericht von gestern gelesen, als ich ebenfalls nach der ersten Bergwertung mit Begleitern nach vorne zur Spitze gefahren war, und genau wie gestern fanden sie sich dort zu einer fünfköpfigen Gruppe zusammen. Im Feld begann die Mannschaft des Gelben das Tempo zu kontrollieren und den Abstand bei drei bis vier Minuten zu halten. Nun hatte ich endlich Gelegenheit, meinen Teamkollegen Lex Nederlof nach dem Verbleib von Matej Drinovec zu fragen, den ich noch nicht einmal gesehen hatte, was sehr ungewöhnlich für ihn ist. Normalerweise fährt er nämlich von Beginn an vorne und wir wechseln uns beim Attacken mitgehen und Gruppen besetzen gut ab.

Wie ich befürchtet hatte, war er gestürzt, und zwar schon nach 500 Metern in der ersten Kurve des Rennens, als der Fahrer direkt vor ihm weggerutscht war und er keine Chance gehabt hatte, auszuweichen. Als er nach langer Aufholjagd endlich mit einigen Schürfwunden zurück im Feld war, kündigte er an, er würde ins Auto steigen, da ihm schwindelig wäre und er Knie- und Fußgelenksschmerzen hätte. Wir konnten ihn jedoch etwas beruhigen und zum Weiterfahren überreden, was er mit zusammengebissenen Zähnen auch tat. In einem Radrennen kann man sich leider nicht wie in anderen Sportarten auswechseln lassen oder sich theatralisch auf dem Boden wälzen, um Zeit zu schinden, man muss sich stattdessen schinden.

Als wir vom See wegfuhren, begannen die Nervosität und das Gedränge im Feld spürbar zu steigen, da jeder wusste, dass nun der Anstieg der 1. Kategorie über mehr als 500 Höhenmeter und somit als Scharfrichter der Etappe anstand. Ich orientierte mich ganz nach vorne und überstand dort die ersten Kilometer, aber als die Bergfahrer etwa vier Kilometer vor dem Gipfel Ernst machten, war es um mich geschehen. Der Kraftakt vom Vortag steckte mir doch mehr in den Beinen, als ich wahrhaben wollte und ich stand plötzlich wie ein Eimer. Nachdem mich etwa die Hälfte des Pelotons passiert hatte, konnte ich mich wieder fangen und einige Plätze gut machen.

Auf der Kuppe befand ich mich in einer abgehängten Gruppe und versuchte zusammen mit Lex das Tempo hochzuhalten, um vielleicht wieder nach vorne zu kommen, aber es war aussichtslos. Daher beschloss ich am Ende der langen Abfahrt, als noch 30 Kilometer zu fahren waren, mein Rennen für heute zu beenden und gab mich ebenfalls der allgemeinen Lethargie hin, die in meiner lustlosen Gruppe herrschte. Getreu nach der alten Weisheit "Bist du nicht ganz vorn, spare jedes Korn“. Nun hatte ich etwas Zeit, bewusst die schöne Landschaft zu genießen, wozu man sonst im Rennen eher selten kommt.

Mit etwas mehr als zehn Minuten Rückstand auf den Sieger rollte ich entspannt ins Ziel. Peter wurde vorne von dreien seiner Fluchtkollegen am Anstieg abgehängt, rettete sich jedoch noch als Vierter über die Bergwertung und im stark dezimierten Hauptfeld ins Ziel. Bike Aid hatte mit Nikodemus Holler auf einem starken dritten Platz und dem Gewinn der Tagesteamwertung ein Erfolgserlebnis, nachdem sie gestern einen sehr gebrauchten Tag hatten.

Da war nämlich erst ihr Teambus, zum Glück ohne die Fahrer an Bord, bei einem Unfall auf die Seite gekippt, und dann wurde noch ein Fahrer nach dem Rennen irrtümlicherweise disqualifiziert. Zum Glück konnten sie das Missverständnis nach Rücksprache mit den Kommissären aufklären und der Fahrer durfte im Rennen bleiben.

Ein malaysisches Team musste heute kollektiv die Segel streichen, nachdem alle Fahrer von einem Magen-Darm-Virus erfasst wurden - hier eine Gefahr, der man sich stets bewusst sein muss. Ich hatte dieses Jahr im April bei der Tour of Lombok ebenfalls damit zu kämpfen, es kann einen jederzeit erwischen.

Für die 4. Etappe steht die berühmt-berüchtigte Ankunft "44 Kelok“ in der Rennbibel, was es damit auf sich hat, erfahrt ihr morgen.

Geschenk des Tages: eine Packung indonesischer Kaffee, für mich als Nicht-Kaffee-Trinker leider unbrauchbar.

Morgen gleiche Stelle, gleiche Welle

Gez. Sportfreund Radbert

Mehr Informationen zu diesem Thema

11.11.2018Eine tolle Rundfahrt, bei der für mich aber zu viel schief lief

(rsn) - Hallo aus Kota Pariaman , West-Sumatra, Indonesien! Die 8. und letzte Etappe der 10. Tour de Singkarak über 158 flache Kilometer mit nur zwei Bergwertungen der vierten Kategorie sollten wir,

11.11.2018Holler glänzt mit Bike Aid in Indonesien

(rsn) - Für den krönenden Abschluss einer starken Woche ihres Teams Bike Aid haben Nikodemus Holler und Lucas Carstensen am Schlusstag der 10. Tour de Singkarak (Kat. 2.2) in Indonesien gesorgt. Das

10.11.2018Vom Touristen- in den Ãœberlebensmodus geschaltet

(rsn) - Hallo aus Solok Selatan , West-Sumatra, Indonesien! Am siebten Tag der Rundfahrt stand die Königsetappe über 195 Kilometer und 2500 Höhenmeter mit zwei Bergwertungen der Hors Categorie an,

09.11.2018Nach dummem Fehler am Ende mit leeren Händen dagestanden

(rsn) - Hallo aus Payakumbuh , West-Sumatra, Indonesien! Der Startschuss zur kürzesten Etappe der Rundfahrt über nur 105 km fiel erst um 14 Uhr Ortszeit, da Freitag Gebetstag ist und alle islamisch

08.11.2018Ich habe jeden Kilometer gehasst

(rsn) - Hallo aus Pasaman, West-Sumatra, Indonesien! Nach zwei Etappen für die Klassementfahrer sollte heute ein Tag für die Ausreißer werden, also hieß die Devise ganz klar: Attacke. Die 5. Etapp

07.11.2018Die 44 Kehren vergingen trotz Regen und Nebel wie im Flug

(rsn) - Hallo aus Agam, West-Sumatra, Indonesien! Heute stand mit 144 km Länge eine eher kurze Etappe auf dem Programm, die jedoch mit der gefürchteten Bergankunft „44 Kelok“ enden sollte. Dabe

05.11.2018Trotz Krämpfen noch auf Platz zwei gesprintet

(rsn) - Hallo aus Dharmasraya, West-Sumatra, Indonesien! Am zweiten Tag stand gleich die längste Etappe auf dem Programm, 204 Kilometer mit zwei harmlos aussehenden Bergwertungen der 3. Kategorie, da

04.11.2018Ein Massensprint von der Sorte, wie ich sie besonders mag

(rsn) - Hallo aus Sijunjung, West-Sumatra, Indonesien! Der Auftakt der 10. Austragung der Tour de Singkarak führte über 140 Kilometer inklusive einer Bergwertung der 1. Kategorie, die jedoch kaum de

03.11.2018Viele angenehme Erinnerungen an das vergangene Jahr

(rsn) - Hallo aus Bukittinggi, West-Sumatra, Indonesien, Südostasien! Mein Name ist Robert Müller, und ich habe die Ehre, euch hier in den nächsten Tagen exklusiv als Teilnehmer von der Tour de Sin

Weitere Radsportnachrichten

23.04.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morgen

23.04.2024Pogacar: “Ich kann noch etwas besser werden“

(rsn) – Nach seinem überragenden Auftritt bei Lüttich-Bastogne-Lüttich, wo er sich mit einem 35-Kilometer-Solo zum zweiten Mal nach 2021 den Sieg sicherte, verbringt Tadej Pogacar (UAE Team Emira

23.04.2024Del Toro verlängert bei UAE Emirates vorzeitig bis Ende 2029

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Profiradsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder RÃ

23.04.2024Zijlaard fliegt am schnellsten um die 13 Kurven von Payerne

(rsn) – Maikel Zijlaard (Tudor) hat seinem Ruf als Spezialist für sehr kurze Prologe alle Ehre gemacht und in Payerne das 2,3 Kilometer lange Auftaktzeitfahren der 77. Tour de Romandie gewonnen.

23.04.2024Berlin nach Kraftakt in der Gruppe, Dorn verteidigt Weiß

(rsn) - Während Rembe Sauerland bei der Tour of Türkiye (2.Pro) erstmals die Gruppe des Tages verpasste, konnte das Team Bike Aid auch auf der 3. Etappe einen Fahrer in der hart umkämpften Fluchtg

23.04.2024Highlight-Video der 3. Etappe der Türkei-Rundfahrt

(rsn) – Für Bora – hansgrohe will es bei der 59. Türkei-Rundfahrt einfach nicht laufen. Auch auf der 3. Etappe über 147 Kilometer zwischen Fethiye und Marmaris ging das Raublinger Team leer aus

23.04.2024Zu früh gefreut: Van Poppel zurückgesetzt, Lonardi Etappensieger

(rsn) – Nachdem es an den ersten beiden Tagen der 59. Türkei-Rundfahrt (2.Pro) nicht nach Wunsch gelaufen war, schien bei Bora – hansgrohe auf der 3. Etappe der Knoten geplatzt. Danny van Poppel

23.04.2024Tour de Romandie im Rückblick: Die letzten zehn Jahre

(rsn) - Die sechstägige Tour de Romandie (2.UWT) hält traditionell für jeden Fahrertypen etwas bereit. Ob Kletterer oder Zeitfahrspezialisten, Sprinter oder Klassikerjäger - sie alle bekommen ihr

23.04.2024Tour de France Femmes ohne Vorjahreszweite Kopecky

(rsn) – Die Vorjahreszweite Lotte Kopecky (SD Worx-Protime) wird auf die am 12. August in Rotterdam beginnende 3. Tour de France Femmes verzichten. Stattdessen wird sich die Weltmeistern auf die Oly

23.04.2024Kletterspektakel mit gehörigem Zeitfahr-Einschlag

(rsn) – Die Tour de Romandie war einst die letzte große und wichtige Vorbereitungs-Rundfahrt für den Giro d´Italia. Giro-Favoriten entschieden sich damals zwischen der Schweizer Rundfahrt und dem

23.04.2024Startliste zum Prolog der 77. Tour de Romandie

(rsn) – Der Schweizer Nationalfahrer Luca Jenni eröffnet um 14.50 Uhr den Prolog zur 77. Tour de Romandie (2.WWT). Der nur 2,3 Kilometer lange Parcours von Payerne ist zwar bretteben, dürfte mit s

22.04.2024Highlight-Video der 2. Etappe der Türkei-Rundfahrt

(rsn) – Max Kanter (Astana Qazaqstan) hat nach der 2. Etappe der 59. Türkei-Rundfahrt (2.Pro) seinen ersten Profisieg bejubeln können. Der 26-jährige Deutsche setzte sich über 190 Kilometer von

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Tour de Romandie (2.UWT, SUI)
  • Radrennen Männer

  • Presidential Cycling Tour of (2.Pro, TUR)