Müllers Tour-de-Singkarak-Tagebuch

Eine tolle Rundfahrt, bei der für mich aber zu viel schief lief

Von Robert Müller

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11.11.2018  |  (rsn) - Hallo aus Kota Pariaman , West-Sumatra, Indonesien! Die 8. und letzte Etappe der 10. Tour de Singkarak über 158 flache Kilometer mit nur zwei Bergwertungen der vierten Kategorie sollten wir, ähnlich wie gestern, doppelt fahren. Am Morgen die erste Hälfte der Etappe zwei Stunden lang im Bus nach Süden, dann im Rennen die Westküste hoch nach Norden, wobei wir am Hotel vorbei kamen, und nach der Etappe im Bus wieder eineinhalb Stunden ins Hotel zurück.

Da ich gerne an den Küsten dieser Welt entlang fahre, machte mir das heute allerdings nichts aus und die Szenerie war wirklich schön. Das Geschenk des Tages von gestern war übrigens ein Holzmodell eines traditionellen Hauses, das sich mit zwei Kerzen versehen lässt und dann ein bisschen wie ein Schwibbogen aussieht.

Das Profil der Etappe schrie förmlich nach dem typischen Rennverlauf nach Schema F: am Anfang wird eine nicht zu große Gruppe fahren gelassen, das Team des Führenden kontrolliert den Abstand, gegen Ende helfen bei Bedarf die Sprinterteams mit das Loch zuzufahren und dann gibt es einen Massensprint. Darauf konnte man sich heute allerdings nicht verlassen, da wir erstens in Indonesien sind und es zweitens der letzte Tag der Rundfahrt war und die ersten drei der Gesamtwertung nur 20 Sekunden auseinander lagen. Außerdem war in der Teamwertung, für die es mehr Preisgeld als für den Rundfahrtsieg gibt, das letzte Wort zwischen Thailand und Bike Aid noch nicht gesprochen.

Nach acht Kilometern Neutralisation fuhr ich wie fast jeden Tag die Startattacke mit. Wir zogen hart durch und konnten uns zu neunt absetzen. Mit dabei waren zwei Australier, die richtig aufs Tempo drückten und ich hatte Mühe, beim Führungswechsel an ihnen vorbei zu kommen. Nach 20 Kilometern wurde ich bei der ersten Sprintwertung nach einem harten Sprint knapp Zweiter oder Dritter und unser Vorsprung betrug etwas über zwei Minuten. Von Anfang an hatten sich zwei Fahrer nicht an der Führungsarbeit beteiligt und nun setzte ein weiterer aus. Zu fünft fuhren wir so schnell wie möglich und ich war die ganze Zeit am Limit, trotzdem begann unser Vorsprung zu schmelzen.

Ich konnte mir nicht erklären, warum uns das Feld wieder zurückholen wollte und wir kämpften verzweifelt weiter, aber der Abstand wurde immer geringer. Nach ungefähr allen 30 Sekunden, die wir verloren, klinkte sich ein Fahrer aus der Führung aus bis nur noch die beiden Australier und ich Tempo machten, mit den Anderen im Schlepptau. Als wir an der ersten Bergwertung nach 46 km nur noch 30 Sekunden hatten gab ich es auf und nahm die schweren Beine hoch. Frustriert beschloss ich, für den Rest der Etappe im Feld sitzen zu bleiben und auf den Massensprint zu warten.

Kurz danach gab es dann die Auflösung, warum sie uns nicht fahren gelassen hatten: der eine Australier lag auf Platz zwei der Sprintgesamtwertung und das Team des Punktbesten hatte Angst, dass er sich aus der Gruppe heraus das Trikot holen würde. Das wäre rein rechnerisch möglich gewesen, war aber schon nach der ersten Sprintwertung, bei der er nur einen Punkt holte, Makulatur. Eigentlich hätten sie uns danach also fahren lassen können, aber sie hatten wohl die Information nicht, denn mit Funk zu fahren ist hier verboten.

Die Etappe plätscherte so dahin, bis auf einmal begonnen wurde wie wild zu attackieren. Immer wieder setzten sich ein paar Fahrer leicht ab, aber die Konstellationen der Gruppen passten nie. Erst 30 km vor dem Ziel konnten sich zwei Fahrer entscheidend absetzen, darunter zu meiner Verwunderung mein Teamkollege Lex. Er hatte 8 Etappen und 1250 km gebraucht, um auf Touren zu kommen, doch nun fuhr er wie entfesselt vor dem Feld. Als wir den Zielstrich das erste Mal überquerten, um noch eine 10 km lange Schlussrunde zu fahren, lag der Vorsprung immer noch bei ca. 1:20 Minuten und ich dachte wirklich, dass sie es schaffen könnten.

Hinten wurde das Tempo angezogen, um doch noch einen Massensprint herbei zu führen und die Beiden vorne kamen immer deutlicher in Sicht. Als es auf den letzten Kilometer ging hoffte ich immer noch, dass es klappen würde. Ich selbst war da auf der engen, leicht kurvigen Straße bereits viel zu weit hinten positioniert, hatte aber sowieso nicht mehr die Beine für einen guten Sprint. Etwa an der 400 m Marke holten wir sie ein und ich schaffte es nicht mehr, wenigstens noch in die Top Ten zu fahren. Was für eine Enttäuschung.

Famose Rundfahrt von Bike Aid

Dafür machte Lucas Carstensen meine Prognose nach der ersten Etappe fast wahr und wurde Zweiter, nur knapp geschlagen von seinem Teamkollegen Nikodemus Holler, der sich mit der für den Sieg verbundenen Zeitbonifikation noch auf den zweiten Platz der Gesamtwertung schob. Den holte sich Bike Aid auch in der Teamwertung, eine wirklich famose Rundfahrt für sie. So groß die Freude bei ihnen am Teambus war, so niedergeschlagen waren wir. Lex hatte nur knapp einen möglichen und vermutlich historischen Sieg verpasst, denn ich glaube nicht, dass schon einmal ein 52-Jähriger ein UCI Rennen gewonnen hat. Der Kerl ist wirklich ein Phänomen, noch in der Woche vor der Rundfahrt hatte er starke Rückenschmerzen und machte sich Sorgen, ob er überhaupt die ersten Etappen überstehen würde.

Wie fällt nun meine Bilanz nach der letzten Etappe aus? Sportlich habe ich meine Ziele, eine Etappe und das Grüne Trikot zu gewinnen, leider nicht erreicht. Auf der zweiten und längsten Etappe war ich mit meinem zweiten Platz aus einer Fluchtgruppe heraus sehr nah dran am Sieg und auf der sechsten Etappe hatte ich eine weitere gute Chance, als ich wieder in der Gruppe des Tages fuhr. Allerdings habe ich mir diese Möglichkeit durch einen dummen Fehler, als sich die Gruppe teilte und ich im hinteren Teil, der wieder eingeholt wurde, landete, selbst kaputt gemacht. Was das Grüne Trikot betrifft muss ich anerkennen, dass ich selbst unter optimalen Vorzeichen keine Chance gegen den sehr starken Ukrainer Polivoda gehabt hätte. Insgesamt ist diesmal einfach zu viel schiefgelaufen und es hat immer das letzte Quäntchen Glück oder Vermögen gefehlt.

Erfreulicher fällt mein Fazit für alles abseits der Ranglisten aus, die ja doch nur Namen mit Zahlen auf einem Papier sind. Ich bin gesund und sturzfrei durch die Rundfahrt gekommen und hatte, von der fünften Etappe einmal abgesehen, meinen Spaß dabei. Die Organisation und Hotels waren wie gewohnt super, die Stimmung und Begeisterung der Menschenmassen am Straßenrand und in den Start- und Zielbereichen unbeschreiblich toll. Nach meiner zweiten Teilnahme hier kenne ich nun bereits einige Leute in der Organisation und viele Fahrer und Teams und fühle mich schon etwas zum Rundfahrttross zugehörig. Niko, der schon viele Rundfahrten weltweit gefahren ist, meinte, ohne die vielen langen Transfers wäre das hier die perfekte Rundfahrt und ich kann ihm da absolut zustimmen.

Im Prinzip ist meine Saison 2018 nun nach genau 100 Renntagen seit Februar und 29000 km beendet und ich freue mich wirklich auf eine Pause, die ich morgen hier am Strand abwechselnd in der Wagnerrechten (aufmerksame Radsport-News-Tagebuchleser wissen, was gemeint ist) lesend und im Meer planschend einläuten werde. Erst am Dienstag Abend geht es dann, nachdem ich die letzten zweieinhalb Monate in Südostasien verbracht habe, zurück nach Deutschland. Insgesamt war der Trip wieder einmal Reisen und Speisen auf sehr hohem Niveau und vielleicht dauert es gar nicht so lange, bis ich wieder zurückkomme. Schon Mitte Dezember gibt es nämlich eine 13-tägige Rundfahrt durch Vietnam, Laos und Kambodscha.

Zum Abschluss möchte ich mich bei allen geneigten Lesern für ihr Interesse an diesem Tagebuch bedanken und hoffe, ihr hattet Freude beim Lesen, ich hatte jedenfalls welche beim Schreiben.

Geschenk des Tages: ich weiß gar nicht, ob es überhaupt eines gab.

Gez. Sportfreund Radbert

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