Gesamtsieg bei Boels Tour als WM-Stimmungs-Turbo

Brennauer: "Mehr als der Sieg zählt die Art, wie wir gefahren sind"

Von Felix Mattis aus Valkenburg

Foto zu dem Text "Brennauer:
Lisa Brennauer (Velocio-SRAM) bedankt sich bei einer völlig entkräfteten Trixi Worrack. | Foto: Cor Vos

06.09.2015  |  (rsn) - Trixi Worrack krümmte sich auf dem Rasen und rang nach Luft, Alena Amialiusik nahm erstmal einen kräfitgen Schluck aus der Trinkflasche und dazwischen saß Lisa Brennauer und musste es erst einmal sacken lassen: Die Allgäuerin hatte gerade den Cauberg am Hinterrad der besten Klettererinnen bezwungen und sich den Gesamtsieg bei der Boels Rental Ladies Tour gesichert - als Tagesdritte, eine Sekunde hinter Etappensiegerin Thalita De Jong (Rabobank-Liv). Und das verdankte sie vor allem jenen beiden Frauen, die nun neben ihr völlig entkräftet am Boden saßen beziehungsweise lagen.

"Noch mehr als der Sieg zählt die Art, wie wir hier zusammen gefahren sind, zusammen gekämpft und alles füreinander gegeben haben", sagte die 27-Jährige. "Das bedeutet mir am meisten!" Denn zwei Wochen vor dem ersten großen Tag bei den Weltmeisterschaften von Richmond, wenn Brennauer, Worrack, Amialiusik und Co. ihren Titel im Mannschaftszeitfahren verteidigen wollen, steht das funktionierende Teamwork bei Velocio-SRAM besonders im Fokus - besonders nachdem es beim Weltcup-Teamzeitfahren von Vargarda eine schmerzhafte Niederlage gegen Rabobank-Liv gab und die WM-Titelverteidigung so schwer wie nie werden dürfte.

Sollte das nicht klappen, so wird es am Zusammenhalt wohl kaum liegen. Da darf man sich spätestens seit diesem Sonntag im niederländischen Valkenburg sicher sein. Denn Brennauers dritter Rundfahrtsieg der Saison wurde auf den sehr bergigen 117,5 Kilometern von Bunde nach Valkenburg zum Teamerfolg. Nicht dass es unnormal wäre, wenn Mannschaftskolleginnen für die Frau im Trikot der Gesamtführenden arbeiten, doch der Auftritt von Worrack und Amialiusik imponierte.

Als Brennauers Gesamtführung durch einen gefährlichen Angriff von Elisa Longo Borghini (Wiggle-Honda), Megan Guarnier (Boels-Dolmans) und Thalita De Jong (Rabobank-Liv) auf den letzten 15 Kilometern ernsthaft in Gefahr geriet, dachten Worrack und Amialiusik nämlich nicht zwei Mal nach. Sie traten mit allem was sie hatten in die Pedale, um aus 25 Sekunden Rückstand an der 10-Kilometer-Marke einen Zusammenschluss sechs Kilometer vor dem Ziel zu machen. Dabei fuhren sich beide so leer, dass sie schließlich im Schlussanstieg am Cauberg förmlich standen und 1:02 Minute beziehungsweise 1:15 Minute verloren und sich ihre möglichen Top-5- (Amialiusik) oder sogar Podiums- (Worrack) Platzierungen abschminken mussten, bevor sie sich oben im Ziel auf die Wiese fallen ließen.

Doch das war ihnen egal, sie kämpften voller Hingabe für die Chancen der normalerweise schlechter kletternden Brennauer - obwohl niemand garantieren konnte, dass die Allgäuerin auf den steilen letzten 800 Metern nicht doch acht Sekunden auf Lucinda Brand (Rabobank-Liv) einbüßen würde, gerade angesichts der Zeitbonifikationen. Wäre die Gesamtzweite Brennauer dort entwischt - und Brand attackierte tatsächlich, doch Brennauer zog mit einer Radlänge Abstand mit und fuhr oben im flacheren Teil des berühmten Anstiegs wieder heran sowie vorbei - so hätte Velocio-SRAM mit leeren Händen da gestanden, weil die beiden besseren Bergfahrerinnen sich vorher verausgabt hatten.

Andere hätten daher möglicherweise gezögert, doch für Worrack und Amialiusik gab es gar keine andere Option, wie die 33-jährige Worrack erklärte: "Wir mussten uns entscheiden und konnten nicht alle drei Hinterherfahren, denn eine mussten wir schonen." Logisch für sie, dass das die Frau in Orange war. Vielleicht auch, weil Brennauer im Verlauf der Woche und des Tages einen souveränen Eindruck gemacht hatte - kein Anzeichen von Schwäche. "Natürlich kann man sich nie sicher sein, aber ich wusste: Am letzten Berg hängen sie mich nicht mehr ab", sagte Brennauer radsport-news.com im Ziel.

Schon zu Rennbeginn sorgte Amialiusik in Brennauers Diensten für eine "super Situation", so Brennauer. Die Weißrussische Meisterin nämlich ging in der hektischen Startphase jeden Angriff mit und saß schließlich in jener elfköpfigen Gruppe, die mit mehr als zwei Minuten Vorsprung das Rennen prägte. Doch nicht nur das: "Alena war dort die Bestplatzierte. Wenn die Gruppe durchgekommen wäre, hätte halt sie die Rundfahrt gewonnen", erklärte Brennauer, dass Amialiusiks Offensivgeist die beste Verteidigung fürs Orangene Trikot war, da ihr Team im Feld somit erstmal nicht arbeiten musste.

Das übernahm meist Boels-Dolmans, die Mannschaft des Hauptsponsors der Rundfahrt. Zwar hatten auch die Niederländerinnen mit Demi De Jong jemand vorne dabei, doch deren Chancen in der Gesamtwertung waren gering - und die theoretische Chance auf den Etappensieg den "Gastgebern" zu wenig.

So wurde die Spitzengruppe bei der dritten von insgesamt fünf Passagen des Caubergs gestellt, und das Rennen begann, wenn auch mit einem auf etwa ein Fünftel zusammengeschrumpften "Hauptfeld", von vorne. Annemiek Van Vleuten (Bigla) attackierte, kam aber nicht weg. Dann gingen Guarnier, Longo Borghini und Brand, doch auch sie wurden schnell zurückgeholt - natürlich von Worrack und Amialiusik.

Einen erfolgversprechenderen Versuch startete anschließend Claudia Lichtenberg (Liv-Plantur). Die Giro-Siegerin von 2009 marschierte allein davon und kletterte den Cauberg am Ende der vorletzten Runde, 17,5 Kilometer vor dem Ziel, mit knapp 40 Sekunden Vorsprung hinauf. "Es war mein Plan, weil die meisten Anderen aufs Gesamtklassement gefahren sind, dass ich versuche den Etappensieg zu holen", sagte sie später. Doch da in der Favoritengruppe, die inzwischen auf 15 Frauen zusammengeschrumpft war, keine Ruhe einkehrte, war auch Lichtenbergs Flucht am vorletzten Anstieg des Rennens Geschichte.

Dort attackierten erneut Guarnier und Longo Borghini, diesmal gemeinsam mit Thalita De Jong. "Ich habe die ganze Zeit auf den richtigen Moment gewartet, um es noch einmal zu probieren. Aber Velocio hat so viel Tempo gemacht, dass es keinen Sinn mehr hatte", so Lichtenberg. Worrack und Amialiusik hatten nämlich inzwischen den Turbo eingeschaltet und verkleinerten den zehn Kilometer vor dem Ziel auf 25 Sekunden angewachsenen Rückstand zu den drei Spitzenreiterinnen zügig, so dass es keine fünf Kilometer später zum Zusammenschluss kam.

Nun attackierte Roxane Knetemann (Rabobank-Liv) und ging als Solistin in den Schlussanstieg, wo Brand noch einmal alles auf eine Karte setzte, aber erneut nicht weg kam. Knetemann und Brand gingen auf den letzten Metern die Kräfte aus, und so marschierte Teamkollegin De Jong vorbei zum Etappensieg - dicht gefolgt von Longo Borghini sowie Brennauer, die sich den Jubel aber erst einmal verkniff. "Ich mag es nicht, zu jubeln, bevor ich es ganz sicher weiß", erklärte sie später, warum sie sich zurückgehalten hatte, obwohl der Gesamtsieg offensichtlich in trockenen Tüchern war.

Von Holland geht es für Brennauer nun noch einmal für drei Tage nach Deutschland, doch schon am Donnerstag hebt der Flieger in Richtung Richmond ab. Dort bereitet sich das Team Velocio-SRAM acht Tage lang auf die Verteidigung des WM-Titels im Teamzeitfahren vor. Auch deshalb war ihr der starke Auftritt der Mannschaft in Holland so wichtig. "Jetzt starten wir als Team mit einer guten Stimmung in die WM. Wenn man so füreinander einsteht und sich füreinander aufopfern kann, dann stimmt das die ganze Gruppe positiv. Es zeigt, dass wir gut drauf sind - und das sollten wir in die WM-Woche mitnehmen."

Siegerinterview mit Lisa Brennauer:

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