Tour du Maroc-Tagebuch von Embrace the World

Es war der Horror

Von Hermann Keller

Foto zu dem Text "Es war der Horror"
Das Team Embrace the World | Foto: Nils Laengner / ETW Cycling

12.04.2019  |  (rsn) - Hallo zu einer neuen Episode meines Tagebuchs. Heute werde ich mich etwas kurzhalten, da mich die Etappe doch sehr mitgenommen hat. So ist zumindest der Plan. Das Frühstück lief ähnlich wie die letzten Tage ab, es wurde reingeschaufelt was wir in unserer Nähe finden konnten, obwohl der Appetit bei mir persönlich nicht sehr groß war. Ich hatte eine anstrengende Nacht hinter mir, konnte kaum schlafen, da mir im Wechsel entweder total kalt oder aber extrem heiß war. Ich dachte schon, ich habe meinem Körper eventuell etwas zu wenig Energie zugeführt und machte mir nachts um 01:00 Uhr noch eine Packung Gummibärchen auf. Auch die half leider nicht.

Dementsprechend „gut“ erholt ging es dann auch zum Rennen. Es stand wieder ein Transfer an, allerdings haben sich die Organisatoren wohl etwas verrechnet, so dass wir gute 2h vor dem Start schon dort waren. Wir zogen uns also in aller Ruhe um, tranken den üblichen Kaffee vor dem Rennen und irgendwann ging es dann auch schon los. Heute sollte die letzte schwerere Etappe anstehen, allerdings war es schwer einzuschätzen wie schwer sie wirklich sein würde, da wir uns damit schon häufiger getäuscht hatten. Heute leider nicht, es war der Horror.

Anfangs versuchten wir alle in eine Spitzengruppe zu kommen, allerdings hatten wir auch heute kein Glück. Die Spitzengruppe ging aus einem Konter auf eine Attacke von Matthias Plattner hervor, leider verschlief hier der neuseeländische Matias mitzugehen. Das Rennen lief über die erste Bergwertung und ich fühlte mich zwar nicht sonderlich gut, allerdings konnten wir alle noch im Feld über den Berg fahren. Als es dann in den Gegenanstieg ging, begann das große Leiden.

Ich konnte schon bald dem Tempo der Spitze nicht mehr folgen, Matthias und Basti blieben bei mir, um mich wieder zurückzubringen, oder aber, weil sie selbst auch nicht mehr konnten. Ich hatte keine Zeit nachzufragen. Der Eidgenosse fuhr von vorne ein gutes Tempo, sodass wir über die Kuppe zumindest in das erste große Gruppetto aufschließen konnten. Als kurz darauf der nächste Anstieg kam, wurde mir klar: Es ist wohl einer der schwärzesten Tage auf dem Rad, die ich jemals hatte.

Ich konnte dem Tempo des Gruppettos nicht mehr folgen, es waren aber noch über 120km bis ins Ziel. Irgendwie kam ich nochmals zurück, auch dank der Hilfe der wenigen Begleitfahrzeuge, die hinter dem Gruppetto blieben und mir etwas Windschatten spenden konnten. Blöd war nur, zwei andere Fahrer, die mit mir abgehängt wurden, nahmen aus dem Auto eine Trinkflasche an, welche sehr stark zu kleben schien, da die Betreuer im Auto erst ihre Hände davon befreien konnten, als die jeweiligen Schützlinge wieder zurück in der Gruppe waren. Ich tat mir da etwas schwerer, da unser Begleitfahrzeug hinter der ersten großen Gruppe fuhr um Matias, welcher sich über die Berge vorne halten konnte, im Falle eines Defekts aushelfen zu können.

Ich kam also zurück, aber ab da wollte ich nur noch, dass es aufhört. Ich verlor den Anschluss noch weitere 4-5-mal, unter anderem einmal, als unsere russischen Freunde, das Gruppetto auf die Windkante nahmen. Meiner Meinung nach sind das alles Herzensbrecher! Als dann auch noch mein Magen anfing zu rumoren, nahm mir das die letzte Moral. Matthias erkannte dies allerdings und redete mir gut zu. Irgendwie schaffte ich es jedes Mal wieder zurück in die Gruppe und schlussendlich noch ins Ziel.

Ich war selten so froh, die 10-Kilometer-Marke zu sehen. Ein Algerier, der zuvor sehr wenig in der Führung war und mir deshalb mehr als nur unsympathisch, übernahm die Führung und führte unsere Gruppe dann bis ca. 200m vor dem Ziel (ein paar Marokkaner meinten tatsächlich noch sie müssen uns zeigen wie man einen richtigen Gruppetto-Sprint fährt), ist mir dann doch sehr ans Herz gewachsen. Ich denke wir sind jetzt Freunde, gefragt habe ich ihn aber noch nicht. Nun hoffe ich, gut durchzuschlafen, um dann morgen wieder etwas erholter zu sein.

Es stehen noch zwei Etappen an, welche mir vom Profil zwar nicht zu 100% liegen, aber wir wollen uns noch nicht geschlagen geben. Beim Abendessen war ich dann wieder etwas aufnahmefähiger und Heiko, der mit dem Bus vom Start- in den Zielort fuhr, berichtete mir von seiner Busfahrt. Die wurde nämlich für ca. 40min unterbrochen, an einer Moschee im Nirgendwo. Es gab hier nur die kleine Zufahrtsstraße und die Moschee, vor welcher knapp 20 Autos standen. Alle muslimischen Insassen „pilgerten“ dann vom Bus zur Moschee, wuschen sich und beteten. Der Imam hat wohl über Lautsprecher vorgebetet.

Ich muss gestehen, ich bin etwas neidisch und wäre lieber dort gewesen, um es mitanzusehen, als auf dem Rad irgendwo im Nirgendwo. Während ich diese Zeilen schreibe, höre ich in der Ferne die Klänge eines Imams, es ist anscheinend gerade wieder Gebetszeit. Wirklich kurz gehalten habe ich mich zwar nicht, aber alles andere was ich schrieb ist wirklich nichts als die Wahrheit.

Nur die besten Grüße aus Beni-Mellal,
Hermann

Mehr Informationen zu diesem Thema

14.04.2019Ich hatte den Etappensieg schon vor Augen

(rsn) - Heute kann ich statt der Abschiedsgrüße, Liebesgrüße nach Moskau senden. Aber darauf komm ich gleich nochmals zurück. Erst möchte ich das tolle Frühstück in dem riesigen Hotel in Marra

11.04.2019Von einem Kletterer, gefangen im Körper eines Sprinters

(rsn) - Die Rundfahrt neigt sich dem Ende zu, das merkt man den Fahrern an. Wir kamen heute zum Frühstück, doch leider war alles weg, da schon ordentlich gespachtelt wurde. Glücklicherweise wurde n

11.04.2019Am Start war uns klar: Das wird heute kein Spaß

(rsn) - Ein herzliches Hallo von der Tour du Maroc. Da heute ein 2-stündiger Transfer vom Hotel zum Startort anstand, mussten wir sehr früh aufstehen. Obwohl ich sonst eigentlich kein Morgenmuffel b

09.04.2019Ich war auf mich allein gestellt und mein Herz gebrochen

(rsn) - Halbzeit-Grüße von der Tour du Maroc. Nachdem auch heute der Transfer ausfiel, konnten wir ausschlafen und ein ausgiebiges Frühstück genießen. Wir sind jeden Tag in sehr guten Unterkünft

09.04.2019Kulinarische Stadtbesichtigung mit drei Abendessen

(rsn) - Und täglich grüßt das Murmeltier aus Marokko. Geweckt wurden wir im Hotel von strahlendem Sonnenschein und einem sehr guten Frühstück mit frisch gepresstem Orangensaft. Der Morgen war äu

08.04.2019Einer der abwegigsten Träume, die ich jemals hatte

(rsn) - Endlich schicke ich sonnige Grüße aus dem wunderschönen Marokko. Auf dem Programm stand heute die erste richtige Bergetappe. Doch zuvor gab es am Startort noch einen ausgezeichneten Kaffee.

07.04.2019Nach der Fehlleitung ein äußerst chaotisches Finale

(rsn) - Zum zweiten Mal grüße ich von der Tour du Maroc. Leider kann ich auch heute keine sonnigen Grüße übersenden, da auch die 2. Etappe im Regen stattfand. Um dem vor dem Start zu entgehen, su

06.04.2019Den neutralisierten Start haben sie wohl abgeblasen

(rsn) - Einen wunderschönen guten Abend wünsche ich aus Marokko. Heute (Freitag) fand hier die 1. Etappe der Tour du Maroc (2.2) statt. Doch zunächst ein Stück zurück… Als ich mir beim Packen

Weitere Radsportnachrichten

05.05.2024Eine erste Chance für die Sprinter

(rsn / ProCycling) – Nachdem sie sich zwei Tage lang "aufwärmen" konnten, ist es nun für die schnellen Männer des Pelotons Zeit, ihren Job zu verrichten. Bevor sie jedoch ihren ultimativen Zielsp

05.05.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morgen

05.05.2024Pogacar auf den Spuren Pantanis

(rsn) - 1999 hatte Marco Pantani am Fuße des Anstiegs zur Kapelle nach Oropa einen Defekt. Die Kette fiel ihm herunter. Es dauerte, bis ein Materialwagen bei ihm war. Fahrer um Fahrer zog derweil an

05.05.2024Nur ein Defekt bremste Martinez hinauf nach Oropa

(rsn) – Gut fünf Kilometer vor dem Ziel der 2. Etappe am Santuario di Oropa gab es Grund zur Beunruhigung beim Team Bora – hansgrohe. Am Ende des Tages aber sah man nichts als strahlende Gesichte

05.05.2024Martinez: “Das Resultat ist großartig für unsere Moral“

(rsn) – Mit einem Tag “Verspätung“ hat Tadej Pogacar am Sonntag bei der ersten Bergankunft den erwarteten Etappensieg am Auftaktwochenende des 107. Giro d’Italia eingefahren. Am Santuario di

05.05.2024Highlight-Video der 2. Etappe des Giro d´Italia

(rsn) – Zum Auftakt des 107. Giro d’Italia (2.UWT) musste sich Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) noch mit Rang drei begnügen. An der ersten Bergankunft jedoch gab es für den Top-Favoriten kein H

05.05.2024Pogacar stürmt in Oropa trotz Sturz ins Rosa Trikot

(rsn) – Marco Pantani triumphierte 1999 an der Wallfahrtskirche Santuario di Oropa dank einer historischen Aufholjagd, nachdem er am Fuße des Anstiegs durch einen Defekt gestoppt worden war. 25 Jah

05.05.2024De Lie in der Bretagne auch durch zwei Plattfüße nicht zu stoppen

(rsn) – Nach Platz zwei im Vorjahr hat sich Arnaud De Lie (Lotto – Dstny) die 41. Ausgabe von Tro Bro Léon (1.Pro) gesichert. Der 22-jährige Belgier entschied in der Bretagne das über 203,6 Kil

05.05.2024Vollering nutzt Rückenwind-Passage zum Vuelta-Triumph

(rsn) – Mit einem weiteren überragenden Auftritt hat Demi Vollering (SD Worx – Protime) die 10. Vuelta Femenina (2.UWT) souverän für sich entschieden. Die 27-jährige Niederländerin schüttelt

05.05.2024Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 2. Etappe

(rsn) - 176 Profis aus 22 Teams sind am 4. Mai zum 107. Giro d’Italia (2.UWT) angetreten, darunter auch zwölf Deutsche, vier Österreicher, zwei Schweizer und ein Luxemburger. Hier listen wir a

05.05.2024Pogacar: ”Die Post wird abgehen”

(rsn) – Der Auftakt zum 107. Giro d’Italia ist atypisch. Einen Tag nach der schweren 1. Etappe, auf der bereits einige Favoriten Federn gelassen haben, steht bereits die erste Bergankunft auf dem

05.05.2024Narvaez sorgt für die nächsten rosa Träume in Ecuador

(rsn) – Fünf Jahre ist es her, dass Richard Carapaz das Radsportland Ecuador mit seinem sensationellen Gesamtsieg beim Giro d´Italia in Rosa gehüllt hat. Nun feiern die Nachbarn der Kolumbianer i

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Giro d´Italia (2.UWT, ITA)