Die unglaubliche Geschichte des Jean Nuttli

Der "Dicke" jagt den Stunden-Weltrekord

13.12.2004  |  Jean Nuttli war dick, 125 kg schwer! Er wurde belächelt und verspottet. Am heutigen Dienstag will er Radsportgeschichte schreiben. Um 16:30 Uhr versucht der Schweizer auf der Wiener Radrennbahn den Stundenweltrekord von Chris Boardman (49,441 Kilometer) zu brechen.

Ein unglaubliche Geschichte!

Frühjahr 1996. Jean Nuttli wiegt 125 kg. Er hat einen Puls von 200. Der Dicke ist gerade die Treppe vom Erdgeschoss in den zweiten Stock hoch gelaufen.

Er bekommt einen Schock als er die Waage betritt. Sie zeigt 125 Kilogramm an. "Da bin ich in meinem Kopf abgestürzt", erzählt Jean Nuttli. Er beschließt, sein Leben zu ändern. Grundlegend. Abnehmen will er. "Wenn ich so weitermache, wiege ich bald 200 Kilo, dachte ich mir."

Statt abends gemütlich auf dem Balkon des elterlichen Hauses zu sitzen, Essen in sich reinzustopfen und die Aussicht auf den malerischen Berg Pilatus im schweizerischen Örtchen Kriens bei Luzern zu genießen, treibt er Sport - auf dem Hometrainer!

Die Wohnung verläßt er nicht mehr. Nuttli: "Man wird ja angepöbelt und gemobbt, wenn man so dick ist!" Er verbringt fast ein Jahr auf der Rolle in seinem Dachzimmer, den Blick starr nach vorne auf den alten Wandschrank gerichtet, auf den Aufkleber der Band "The Picadillys - Stimmung, Show, Tanz".

Nach einem Jahr ist er neu geboren. Weihnachten 1996 wiegt Nüttli noch 67 Kilogramm. Aus dem korpulenten Schweizer ist ein hagerer Mann geworden, bei dem die Haut "lätschig" herunter hängt.

Frühjahr 1997. Jean Nuttli, der Hobbysportler, hat Puls 200, er fährt auf der Rolle, er wiegt 67 Kilogramm.

Er setzt noch einen drauf. 1997 nimmt er aus Spaß an einem Rennen teil. "Um zu sehen, ob ich mithalten kann." Es gewinnt der Profi Michael Themann, Nuttli wird Zweiter. Es ist der Beginn einer Radsportkarriere, von der er noch kurz zuvor nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Auf der Rolle hatte sich der Mann mit dem Ruhepuls von 38 die nötige Härte geholt, den Grundstein zu seinen Qualitäten als Zeitfahrer. "Er ist unglaublich", sagt seine Mutter, "er hat einen riesigen Willen."

Am 11. Oktober 2000 wird Nuttli Dritter der Schweizer Zeitfahrmeisterschaften, als das Telefon klingelt. "Jean, pack deine Sachen, du fährst nach Plouay zur Weltmeisterschaft", sagt sein Nationaltrainer. Jean reist ohne spezielle Vorbereitung nach Frankreich - und wird als Amateur Elfter der Profis. "Ohne den Fehler wäre ich noch besser gewesen." Unerfahren war er kurz vor dem Ziel dem Motorrad hinterher gerast, das die Strecke verlassen hatte. Nuttli verlor über 30 Sekunden. ?Ein elfter Platz ist schon gut, aber die anderen hätten noch blöder geschaut, wenn ich noch weiter vorne gewesen wäre, sagt er und hängt sein typisches "oder" an das Ende des Satzes.

Anstatt die Elite erst einmal verschnaufen zu lassen, holt er schon zum nächsten Schlag aus. Beim renommierten "Chrono des Herbes" pulverisiert er Boardmans Streckenrekord, nimmt Gontschar fast eine Minute ab und schlägt so ganz nebenbei Fahrer wie Zeitfahre-Olympiasieger Watschislaw Jekimow und Christophe Moreau.

Der Manager der Profi-Equipe Phonak, Jean-Jacques Loup, wird aufmerksam und Jean Nüttli unterzeichnet einen Vertrag für die Saison 2001.

Frühjahr 2001. Jean Nuttli, der Radprofi, hat Puls 200, er hat soeben im Training auf der Rolle den Stundenweltrekord von Chris Boardman gebrochen.

2001 holt Jean Nuttli vier Siege (u.a. Schweizer Meister im Einzelzeitfahren) und wird 13. bei der WM in Lissabon. Auf halber Distanz ist er fast zeitgleich mit dem späteren Sieger Jan Ullrich. Auf der zweiten Streckenhälfte plagen ihn Beinkrämpfe. Der Traum von einer Medaille platzt.

Einen anderen großen Traum möchte er sich erfüllen: den Stundenweltrekord auf der Bahn. Beim ersten Versuch in Bordeaux scheitert er mit 47,093 Kilometern, erzielt jedoch einen Schweizer Rekord. Jean Nüttli glaubt, dass er die aktuelle Stundenbestmarke, gehalten von Boardman (49,441 km), brechen kann.

Nuttli: "Nichts ist unmöglich - oder? Wenn man etwas geschafft hat wie ich, dann schreckt einen nichts mehr. Mein Wille ist immens groß."

Selbst wenn er es nicht schafft, Jean Nuttli kann nicht mehr verlieren.

Weitere Radsportnachrichten

18.04.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wie geht´s zum Liveticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morgen

18.04.2024TotA-Sturz: Harper kommt mit leichter Gehirnerschütterung davon

(rsn) – Entwarnung für Chris Harper: Der Australier von Jayco – AlUla ist bei seinem Sturz rund 25 Kilometer vor dem Ziel der Königsetappe der Tour of the Alps ohne schlimmeren Verletzungen dav

18.04.2024Die Aufgebote für das 8. Lüttich-Bastogne-Lüttich der Frauen

(rsn) – Mit der 8. Ausgabe des Lüttich-Bastogne-Lüttich der Frauen endet die Ardennenwoche. Während das Männerrennen von Lüttich aus nach Süden zum Wendepunkt in Bastogne und von dort wieder z

18.04.2024Die Aufgebote für das 110. Lüttich-Bastogne-Lüttich

(rsn) – Zum krönenden Abschluss der sogenannten steht am 21. April die 110. Ausgabe von Lüttich-Bastogne-Lüttich an. La Doyenne, wie das 1892 erstmals ausgetragene und damit älteste Eintagesrenn

18.04.2024Steinhauser: Giro-Test mit Prädikat sehr gut

(rsn) – Den Feinschliff für sein Grand-Tour-Debüt holt sich Georg Steinhauser (EF Education – EasyPost) derzeit bei der 47. Tour of the Alps (2.Pro). In wenigen Wochen geht es für den Allgäue

18.04.2024Belgrade Banjaluka: Ausreißer Albrecht zum Auftakt Zweiter

(rsn) – Zum Auftakt von Belgrade Banjaluka (2.2) hat das Team P&S Metalltechnik – Benotti einen starken Auftritt hingelegt. Auf der 140 Kilometer langen 1. Etappe zwischen Belgrad und Bijeljina b

18.04.2024Auf der Königsetappe macht Carr die schwachen Tage vergessen

(rsn) – Mit einem Soloritt über rund 30 Kilometer hat sich Simon Carr (EF Education – EasyPost) die Königsetappe der 47. Tour of the Alps (2.Pro) gesichert. Der 25-jährige Brite setzte sich üb

18.04.2024Hartmann: Aus “nur durchkommen“ wurden 74 km an der Spitze

(rsn) – Elena Hartmann bekam ihre völlig durchnässten Handschuhe kaum mehr von ihren frierenden Fingern. Als die 33-Jährige vom Team Roland oben auf der Mur de Huy 5:41 Minuten nach Siegerin Kata

18.04.2024Extrembedingungen beim Flèche, aber kein Schlechtwetterprotokoll

(rsn) – Zwei Rennen unter Extrembedingungen hart an der Grenze des Schlechtwetterprotokolls der UCI bot der Flèche Wallonne am Mittwoch: Nachdem beim Start der Männer um 11:15 Uhr in Chareleroi no

18.04.2024Trotz wenig Schlaf: Benoot holt ein “exzellentes Ergebnis“

(rsn) – Vor dem Start des 88. Flèche Wallonne in Charleroi hatte Tiesj Benoot (Visma – Lease a Bike) noch mehr über die Geburt von Töchterchen Loes gesprochen, die am Abend zuvor zur Welt gekom

18.04.2024Lüttich-Bastogne-Lüttich im Rückblick: Die letzten zehn Jahre

(rsn) – Lüttich-Bastogne-Lüttich bildet traditionell den krönenden Abschluss der Ardennenwoche. La Doyenne, das älteste Eintagesrennen der Welt, ist mit seinen kurzen, teils extrem steilen Anst

18.04.2024Lopez: “Einer der härtesten Tage meines Lebens“

(rsn) – Die 3. Etappe der Tour of the Alps 2024 wird den Teilnehmern lange in Erinnerung bleiben. Zwar hatte der 124,8 Kilometer lange Abschnitt rund um Schwaz in Tirol nur wenig an Spektakel zu bie

RADRENNEN HEUTE

    Radrennen Männer

  • Tour of the Alps (2.Pro, ITA)
  • Belgrade Banjaluka (2.2, BIH)