Ullrichs Erben

Christian Knees: Der Mann mit dem starken Motor

Von Matthias Seng

21.04.2006  |  Sie sind jung, talentiert und ehrgeizig: deutsche Neo-Profis. Immer mehr von ihnen machen sich bei den Profi-Teams einen Namen. Der Radsportboom, ausgelöst durch Jan Ullrichs Tour-Erfolge, schlägt sich auch in der großen Zahl deutscher Talente nieder. In einer Serie von Radsport aktiv berichten die Nachwuchsfahrer von ihren Erfahrungen in ihren neuen Teams, ersten Erfolgen und Niederlagen.

Das Lob kam von höchster Stelle „Christian Knees ist eine der großen Überraschungen in unserem Team“, äußerte sich Milram-Teamchef Gerry Van Gerwen vor einigen Wochen auf einer Pressekonferenz über den 25jährigen Newcomer aus Bornheim bei Bonn. „Alessandro Petacchi ist schon auf mich zugekommen und hat gesagt: Den will ich in meinem Zug dabei haben.“ Aber Van Gerwen attestierte dem jungen Deutschen auch noch andere Qualitäten. „Er ist definitiv mehr als ein ‚Zugfahrer’. Wir kennen seine Stärken noch gar nicht so genau“, so der Holländer weiter, “aber wir wissen, dass er besondere Qualitäten hat.“

Mit seinem Überraschungssieg bei „Rund um Köln“ am Ostermontag hat Christian Knees seinem Chef wahrscheinlich weitere Aufschlüsse über sein Leistungsvermögen gegeben. Sich selber aber hat der 1,94 Meter lange Allrounder mit seinem Coup womöglich am meisten überrascht: „Ich dachte bisher immer, dass ich bei Rundfahrten ganz gut zurechtkomme – mein Sieg bei einem bedeutenden Eintagesrennen ist für mich selber eine Sensation.“ Dabei haben Knees’ starke Auftritte bei Mailand-San Remo und bei der Flandern-Rundfahrt schon andeuten lassen, dass er genug Power hat, auch bei den Klassikern vorne zu landen.

Tatsächlich sind Knees’ Qualitäten breiter gestreut, als man für einen Fahrer seiner Größe und seines Gewichts vermuten würde. In seinem ersten Profijahr 2004 schloss er die nationalen Rundfahrten als bester deutscher Fahrer ab. Im vergangenen Jahr wäre er bei einer Gesamtwertung von Luxemburg-Rundfahrt, Belgien-Rundfahrt und Ster Elektrotour Zweiter hinter Fabian Cancellara geworden. Und bei der Deutschland-Tour bewies der Blondschopf ungeahnte Kletterqualitäten, als er als 32. auf dem Rettenbachferner ankam und damit viertbester deutscher Fahrer wurde.

Zu Saisonbeginn 2006 zog der ProTour-Neuling als Lokomotive die beiden Milram-Sprintstars Petacchi und Zabel und machte damit schnell auf sich aufmerksam. „Die Geschichte mit dem Zug hat im Januar bei der Katar-Rundfahrt begonnen“, erinnert sich Knees heute. „Dort habe ich für Erik Zabel gearbeitet. Das hat schon ganz gut geklappt.“ Im Februar dann übernahm er bei der Ruta del Sol für Supersprinter Alessandro Petacchi die gleiche Rolle. „Da bin ich drei Tage am Stück praktisch von vorne gefahren. Dabei sind wohl Alessandro und die Teamleitung auf mich aufmerksam geworden.“ Die Belohnung folgte prompt: Bei Tirreno-Adriatico fuhr Knees sein erstes ProTour-Rennen.

Der Coup bei seinem Heimrennen ist der vorläufige Höhepunkt in Christian Knees’ Karriere. Auch wenn er in den letzten Wochen mit Lob von allen Seiten verwöhnt wurde, stellt er keine weiteren Ansprüche und gibt sich zufrieden mit seiner Helferrolle. „Ich werde weiterhin in erster Linie für meine Kapitäne arbeiten“, betont der Sieger von Köln. „Es ist ja nicht nur eine Quälerei, sondern auch eine Riesenehre, für die beiden weltbesten Sprinter arbeiten zu dürfen.“

Christian Knees nahm für seinen ersten Profisieg einen langen Anlauf. Bis 2003 fuhr er in der U-23-Klasse. Danach folgten zwei wichtige Lehrjahre bei der deutschen GS2-Mannschaft Wiesenhof.

„Bei Wiesenhof war ich anfangs noch ein unbeschriebenes Blatt“, erinnert er sich, „entwickelte mich aber schnell zu einem der Leistungsträger. Und in der letzten Saison habe ich meine guten Leistungen aus dem ersten Jahr bestätigt.“ Vier kleinere Rundfahrten hat Knees in seiner Wiesenhof-Zeit unter den ersten Sieben beendet, bei der Sachsen-Tour wurde er sogar Zweiter. „Ich bin meinem alten Team dankbar“, sagt Knees. „Ich hatte viele Freiheiten und konnte mich gut weiterentwickeln.“

Zu Milram gelangte er dann über den damaligen Manager von Wiesenhof, Jörg Strenger. „Er hat den Kontakt zu Milram hergestellt, als klar war, dass sich der Sponsor zurückzieht und das Team aufgelöst wird.“ Überrascht war Knees weniger davon, für ein Elite-Team fahren zu können, vielmehr, dass es überhaupt Pläne für einen neuen ProTour-Rennstall gab. Als sich die Konturen von Team Milram herausschälten und Knees ein Angebot unterbreitet wurde, gab es für den jungen Rheinländer nicht viel zu überlegen. „Ich hatte zwar auch nach anderen Mannschaften Ausschau gehalten, aber kein konkretes Angebot auf dem Tisch liegen“, schildert er seinen Aufstieg in ein ProTour-Team. „Mir hat das Konzept von Team Milram gleich gut gefallen, deshalb musste ich nicht lange überlegen.“

Knees unterschrieb einen Zwei-Jahres-Vertrag – und hat es bis heute nicht bereut. Ihm imponiert bei der deutsch-italienischen Formation die Mischung aus Professionalität und ausgeprägtem Teamgeist. „Oft wird ja gesagt, nur in kleineren Teams gehe es familiär zu. Aber ich fühle mich hier bei Milram sehr wohl. Ich freue mich immer wieder darauf, die anderen Fahrer und die Betreuer zu sehen – und ich habe das Gefühl, es geht den anderen mit mir auch so.“

Auch mit der Verständigung gebe es in der deutsch-italienischen Mannschaft keine Probleme. Teamsprache ist Englisch, notfalls funktioniere die Verständigung aber auch mit Händen und Füßen. „Ich bin dabei, ein bisschen italienisch zu lernen“, so Knees, der selbst Englisch spricht, „um mich besser mit meinen italienischen Teamkollegen verständigen zu können.“ Zudem habe die Teamleitung von Anfang an Wert darauf gelegt, dass alle Fahrer schnell untereinander in Kontakt kommen. Während den Trainingslagern und den Rennen herrsche im Hinblick auf die Zimmerbelegung eine Art rotierendes System. „Da wird ein deutscher Fahrer mit einem italienischen zusammengelegt, und beide müssen sich dann irgendwie miteinander verständigen. So wurde von Anfang an Grüppchenbildung verhindert.“

Für die gute Stimmung im Team sei es extrem wichtig gewesen, dass schnell die ersten Siege eingefahren wurde. Knees: „Petacchi hat gleich sein erstes Rennen gewonnen, da ist natürlich einiges an Druck von uns allen genommen worden. Und auch danach wurden kontinuierlich Siege eingefahren. Das hat uns allen gut getan.“

Jetzt hat Knees selber die Milram-Siegesserie verlängert. Ob dadurch jetzt nicht der Druck auf ihn selber zunimmt? „Im Gegenteil“, sagt der Aufsteiger mit Nachdruck „Ich kann jetzt viel befreiter fahren. Ich habe mit meinem ersten Profisieg jetzt schon die Erwartungen übertroffen, alles, was jetzt kommt, ist nur noch Zugabe.“

Eine Zugabe der besonderen Art wartet Anfang Mai auf den „Mann mit dem starken Motor“, wie Teammanager Gianluigi Stanga seinen Fahrer anerkennungsvoll nannte. Knees ist für den Giro d’Italia gesetzt – als wichtiger Helfer für Alessandro Petachi. “Ich freue mich sehr darauf“, sagt er. „Es wird meine erste dreiwöchige Rundfahrt sein.“ Bisher hat Knees alle Herausforderungen bei Team Milram mit Auszeichnung bestanden – warum nicht auch diese?

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