Analyse zum 112. Mailand-Sanremo

Stuyvens Siegbringer: das Näschen, Ewan und Kragh Andersen

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Das Podium des 112. Mailand-Sanremo, v. l.: Caleb Ewan (Lotto Soudal), Jasper Stuyven (Trek - Segafredo), Wout Van Aert (Jumbo - Visma) | Foto: Cor Vos

21.03.2021  |  (rsn) - Die 112. Austragung von Mailand-Sanremo bot ein altbekanntes Szenario: über Stunden hin Langeweile und dramatische letzte zehn Kilometer. Mit dem Sieger Jasper Stuyven (Trek - Segafredo) allerdings hätten wohl die wenigsten gerechnet. radsport-news.com analysiert das erste Monument des Jahres.

Dass der 28-jährige Stuyven sich den Sieg sicherte, war auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Der Belgier, der beim Omloop Het Nieuwsblad mit Rang 83 in die Saison gestartet war und auch in seinen folgenden Renneinsätzen ohne Ergebnisse blieb, hatte am Poggio die Beine, um bei der Attacke von Julian Alaphilippe (Deceuninck - Quick-Step) keine zu große Lücke entstehen zu lassen. So gelang ihm mit anderen Fahrern schon kurz vor dem Gipfel der Anschluss, vor allem deshalb, weil an der Spitze das Tempo herausgenommen wurde..

Auch in der darauf folgenden Abfahrt ließ sich Stuyven von der Tempobeschleunigung durch Thomas Pidcock (Ineos Grenadiers) nicht abschütteln. In einem Sprint der 17 Fahrer starken Spitzengruppe wären seine  Chancen trotz gegen Konkurrenten wie Caleb Ewan (Lotto Soudal), Michael Matthews (BikeExchange), Wout Van Aert (Jumbo - Visma), Peter Sagan (Bora - hansgrohe) oder Mathieu van der Poel (Alpecin - Fenix) sehr gering gewesen. Also musste noch eine Attacke her.

Ewan und Kragh Andersen spielten Stuyven in die Karten

Dabei spielte Stuyven in die Karten, dass mit Ewan ein so schneller Mann in der Gruppe war, mit dem selbst Van Aert und van der Poel nicht auf der Via Roma ankommen wollten. Also schaute man sich schon gegen Ende der Poggio-Abfahrt rund drei Kilometer vor dem Ziel an, weil man Ewan nicht zum Sanremo-Sieg chauffieren wollte.

Da bewies Stuyven das richtige Näschen für die entscheidende Attacke. Das Tempo war langsam, der Trek-Profi kam dagegen von hinten mit Schwung und fuhr gleich eine Lücke heraus. Die Uneinigkeit in der Verfolgergruppe, in der die Top-Favoriten Van Aert, Alaphilippe und van der Poel auf sich allein gestellt waren spielte dem 28-Jährigen zusätzlich in die Karten, so dass Stuyven seinen Vorsprung noch ausbauen konnte.

Dass sich Sören Kragh Andersen (DSM) 1500 Meter vor dem Ziel auf die Verfolgung machte und den Anschluss schaffte, entpuppte sich für Stuyven als großes Glück. Denn auf dem Schlusskilometer fuhr der Däne von vorne, Stuyven konnte im Windschatten dagegen etwas durchschnaufen und sich vor dem entscheidenden Sprint noch einige Körner sparen - die entscheidenden womöglich.

Die Verfolger nur in der Uneinigkeit einig

Aber natürlich war auch die Uneinigkeit der Verfolger auf den flachen letzten Kilometern ein Thema. Zuerst setzte Maximilian Schachmann (Bora - hansgrohe) nach, der am Poggio imponiert hatte und den Attacken der Favoriten folgen konnte. Doch am Hinterrad des Paris-Nizza-Siegers hing Michael Matthews (BikeExchange), gegen den Schachmann im Sprint chancenlos gewesen wäre. So war schnell die Luft wieder raus.

Nachdem Kragh Andersen mit Schwung attackiert hatte, wiederholte sich das Szenario mehrmals, bis sich Alaphilippe und fast zeitgleich van der Poel auf den letzten 400 Metern entschlossen, einen langen Sprint zu fahren. Am Ende blieb dem Weltmeister, der wie im Vorjahr auf den letzten Metern des Poggio das Finale eröffnet hatte, nur Rang 16.

Eine frühere Attacke am Poggio wäre wohl sinnvoller gewesen. Aber möglicherweise war Alaphilippes Respekt vor den Kontrahenten Van Aert und van der Poel zu groß. So drängte sich der Eindruck auf, dass keiner der drei Topfavoriten seine Karten zu früh auf den Tisch legen wollte. Die Quittung für dieses taktischen Spielchen war, dass Ewan dranbleiben konnte und danach weitere Konkurrenten aufschlossen. Zudem war das Tempo am Poggio für die allermeisten Helfer zu hoch, aber dann doch zu niedrig, um die Sprinter abzuhängen. 

Wie erwartet: Auch an der Cipressa passierte nichts

Der 299 Kilometer lange Klassiker war über quälend lange Kilometer an Ereignislosigkeit nicht zu unterbieten, es fehlten dazu einfach die topographischen Schwierigkeiten. Keiner der Favoriten wollte sich zu früh zeigen, also "keine unüberlegten Dinge tun", wie es van der Poel nannte. Auch an der Cipressa keine 30 Kilomter vor dem Ziel hielten Van Aert & Co die Beine still.

Eine erste Erkenntnis lieferte der vorletzte Anstieg aber dennoch. Jumbo - Visma war nicht so stark wie erwartet, mit Sam Oomen musste Van Aerts letzter Helfer hier schon die Segel streichen. Dagegen war Ineos Grenadiers zahlenmäßig noch sehr gut vertreten, auch wenn Filippo Ganna vorne fehlte. Die Briten übernahmen das Zepter im Feld und hielten auf der Abfahrt das Tempo so hoch, dass sich tatsächlich eine Lücke auftat. Zwar gerieten die Favoriten nicht ins Hintertreffen, doch die Helferschar war deutlich ausgedünnt. Nur mit Mühe und Not konnte die zweite Gruppe kurz vor dem Poggio aufschließen.

Im letzten Anstieg hielt zunächst weiter Ineos Grenadiers,das Tempo hoch und zeigte sich fast so dominant wie bei den großen Landesrundfahrten. Aber der Mut der Briten wurde nicht belohnt. Zwar schaffte es Thomas Pidcock in die entscheidende Gruppe, und der Neo-Profi ging auf der Abfahrt vom Poggio gut vier Kilometer vor dem Ziel kurz in die Offensive. Doch ein Top Ten-Ergebnis sprang für Ineos Grenadiers dann doch nicht heraus.

Was Ewan zum Sanremo-Sieg fehlte? Ein Helfer!

Die zweite große Überraschung am Poggio war aber Caleb Ewan. Der kleine Sprinter hielt sich ohne sichtliche Mühe an den vordersten Positionen und ließ sich auch von Alaphilippes Attacke nicht beeindrucken. In der Abfahrt behauptete der Australier seine günstige Position und schien alles im Griff zu haben - bis  Stuyven antrat. Hier hätte Ewan noch einen Helfer gebrauchen können, um die Lücke zuzufahren. Ein Tim Wellens, der am Poggio schon seine Arbeit getan hatte, Philippe Gilbert oder auch John Degenkolb hätte man zugetraut, in die Spitzengruppe zu springen. Nur: Dem war nicht so. Mit einem Helfer hätte Ewan das Rennen wohl gewonnen.

So aber steckte der 26-Jährige in der Zwickmühle: entweder Stuyven ziehen lassen und zu hoffen, dass jemand anderes die Lücke zufährt. Oder selbst nachzusetzen, was aber die Siegchancen auch nicht erhöht hätte. Denn Stuyven wäre sicher nicht mit Ewan gefahren und dem hätte im Sprint die Kraft gefehlt. So zeigte der Zweite von 2018 zwar, dass er der stärkste Sprinter war, vielleicht  sogar der stärkste Fahrer im Rennen, doch zum Sieg reichte es eben wieder nicht.

Sagan sendet sportliches Lebenszeichen

Die positive Überraschung des Rennens war sicherlich Peter Sagan (Bora - hansgrohe). Der 31-jährige Slowake, der nach überstandener Corona-Erkrankung noch auf der Formsuche war, musste am Poggio zwar eine Lücke aufgehen lassen, konnte diese aber auf der Abfahrt wieder schließen und hatte im Sprint mit die höchste Endgeschwindigkeit.

Am Ende wurde Sagan Vierter, wie schon 2012, 2015 und 2019. Das Ergebnis von Sanremo wird Sagan mit Blick auf die Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix viel Zuversicht geben. Zudem konnte Bora - hansgrohe zwei weitere Fahrer unter die besten 20 bringen. Der erneut bärenstarke Schachmann wurde Vierzehnter, Sprinter Pascal Ackermann kam mit der zweiten Verfolgergruppe sechs Sekunden hinter Stuyven ins Ziel und belegte einen respektablen 20. Platz.


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