Müllers Tour of Mersin-Tagebuch

Versöhnliche Bilanz nicht nur wegen der gewonnenen Goldstücke

Von Robert Müller

Foto zu dem Text "Versöhnliche Bilanz nicht nur wegen der gewonnenen Goldstücke"
Robert Müller fährt die Tour of Mersin | Foto: Robert Müller

28.04.2019  |  (rsn) - Hallo aus Mersin, Türkei! Zunächst noch ein Nachtrag zum Thema Klinke fahren von gestern. Es wurden nach der Etappe 12 Fahrer aus dem Rennen genommen, die das Zeitlimit von nur 15%, also knapp 21 Minuten, nicht geschafft hatten. Das waren laut Lucas Carstensen alle schwächeren Bergfahrer, die ehrlich waren und nicht Klinke gefahren sind und eigentlich wären nach seiner Einschätzung mindestens 30 Mann rausgeflogen. Damit waren die Ehrlichen die Dummen und wurden doppelt bestraft, denn eine Gruppe von 30 Fahrern hätte die Jury bei knapp 70 Startern wahrscheinlich nicht rausgenommen.

Es wurde zwar Protest eingelegt mit acht Zeugen und Strava-Daten gezeigt, die belegen, dass manche Fahrer mit unmöglichen 50 km/h berghoch gefahren sind, doch es brachte alles nichts. Außer uns Deutschen und den Schweizern schien sich niemand an dem grob unsportlichen Verhalten zu stören, denn das ist hier leider normal und wird wohl als legitimes Mittel gesehen, eine Rundfahrt durchzufahren. Dazu passt auch, dass es hier trotz Ankündigung keine Dopingkontrollen gibt und einige Ex-Doper im Feld vertreten und durchaus willkommen sind.

Den 30 km kurzen Transfer zum Start bewältigte ich heute mit dem Rad, denn die bereits letzte Etappe sollte nur über 120 km führen. Das Feld war nun mit nur noch 56 Fahrern sehr überschaubar. Ich wollte wieder auf den ersten Goldsprint nach 7km fahren, doch er war wieder sehr gut hinter einigen Kurven versteckt und lag direkt in einer Kurve. Als ich ihn sah war es bereits viel zu spät, um auch nur einen Platz gutzumachen und ich schrieb die Goldsprints ab, denn die restlichen drei sollten erst auf den Zielrunden kommen. Gleich im Anschluss begann der Anstieg zur ersten Bergwertung und war sehr steil, man konnte kaum im Stehen fahren, weil das Hinterrad trotz trockener Straße durchdrehte. Da noch keine Gruppe gegangen war, wurde hart gefahren, genau das was ich zu Beginn einer Etappe am letzten Tag einer Rundfahrt liebe.

Ich musste reißen lassen, fuhr diesmal jedoch in einer kleinen Gruppe und das 1 km Schild bis zur Bergwertung war schon In Sicht. Mir rann der Schweiß in die Augen und ich labte mich an dem Gedanken, nach der Etappe ins kühle Meer hüpfen zu können. An der Bergwertung angekommen war mein Rückstand noch nicht zu groß, doch in der ersten Kurve der Abfahrt rutschte der Fahrer direkt vor mir weg und nahm mich beinahe mit, das war haarscharf. Nun musste ich erst das Loch zu meiner Gruppe und dann zur ersten Gruppe zufahren, beides gelang zum Glück recht schnell.

Als ich wieder vorne war, fragte ich meinen Teamkollegen Stefan, ob Fahrer vorne raus seien und er verneinte. Also fuhr ich direkt die nächste Attacke mit, da es eine typische Situation des kurzen Stillstands war, in der sich jeder erstmal orientiert und kurz durchatmet. Wir konnten uns zwar absetzen, aber der Vorsprung war zunächst nicht groß und äußerst fragil, denn hinten wollten sie uns noch nicht so richtig ziehen lassen und wir fuhren auf einer geradeaus führenden Autobahn, waren also immer gut zu sehen. Ich hatte es nun also zum dritten Mal innerhalb von vier Etappen in die Gruppe des Tages geschafft, und das erneut mit nur einer Attacke.

Es ging in ekligen Wellen hoch und runter und rollte wegen des Windes nicht gut, deshalb mussten wir zu sechst wirklich hart fahren, um den Vorsprung langsam zu vergrößern. Der Fahrer von Minsk übernahm das Kommando und ermahnte uns, als wir endlich einen halbwegs akzeptablen Vorsprung hatten, „regulare“ zu fahren, also nicht zu schnell, denn die Etappe war noch lang. Als wir wieder an der Küste waren, machten wir eine 180-Grad-Wende und fuhren die Autobahn auf der anderen Seite wieder zurück, wobei wir das Verfolgerfeld sehen konnten und ich schätzte den Vorsprung auf etwa zwei Minuten.

Die Kommissäre hatten heute wohl die Schiefertafel vergessen, denn ich sah nicht einmal eine Zeitangabe, uns wurde nur hin und wieder etwas vom Motorrad aus zugerufen, was ich aber fast nie verstand. Mir war aber klar, dass wir nur an der kurzen Leine gelassen wurden und nicht nachlassen durften. Die zweite Bergwertung interessierte keinen und wir fuhren einfach durch und dann wieder runter zur Küste. Dort standen nun noch 10 Runden a 5 km, mit zwei Wenden die Promenade hoch und runte,r an und nach jeder Wende konnten wir unsere Verfolger sehen und mir war da schon bewusst, dass wir es wohl nicht bis ins Ziel schaffen würden.

Deshalb fasste ich nun doch wieder die drei noch ausstehenden Goldsprints ins Auge und gewann den ersten. Die vier Türken in der Gruppe schrien mich danach an und waren sauer auf mich, da sie die Reihenfolge anscheinend schon untereinander ausgemacht hatten, aber mir hatten sie nichts gesagt und ich wäre eh nicht darauf eingegangen. Die Moral in der Gruppe war nun nicht mehr die beste und sie führten nicht mehr richtig mit. Beim zweiten Goldsprint zwei Runden später wurde ich nur Dritter, doch nun waren sie etwas besänftigt und führten wieder engagierter mit. Trotzdem gingen wir kollektiv immer mehr kaputt und das Feld, angeführt von Bike Aid und Herrmann, kam uns immer näher. Ich hoffte nur, dass wir es noch bis zum letzten Goldsprint zwei Runden vor Ende schaffen würden, doch schon eine Runde davor begannen sie zu attackieren und mir war klar, dass damit unser Untergang eingeläutet war, denn wir fuhren kein gleichmäßiges Tempo mehr. Immerhin kamen wir noch bis zum letzten Goldsprint, bei dem ich knapp geschlagen Zweiter wurde, doch eineinhalb Runden und 7 km vor dem Ziel wurden wir eingeholt.

Im Massensprint hatte ich nicht mehr die Beine, um vorne reinzuhalten und rollte als 18. ins Ziel, womit ich den 16. Gesamtrang behielt, aber das nur am Rande. Den Sprint gewann ein Russe vor Aaron Grosser, der zu früh im Wind war und Zweiter wurde. Florian Obersteiner wurde Vierter und verteidigte damit sein Sprinttrikot. Die Rundfahrt gewann souverän Peter Koning, damit war es für Bike Aid ein sehr erfolgreicher Auftritt, ebenso für Herrmann und beide Teams haben auf der Jagd nach UCI-Punkten für die Deutschland-Tour Qualifikation wertvolle Zähler gesammelt.

Mein Fazit fällt versöhnlich aus, ich habe es dreimal in die Gruppe des Tages geschafft, bin zweimal in die Top Ten gefahren, zwei Stürzen verdammt knapp entkommen und habe eigentlich vier Goldstücke gewonnen. Leider habe ich aber das Goldstück, welches ich auf der zweiten Etappe von mir unbemerkt gewonnen hatte, nicht mehr bekommen, da ich nicht bei der Siegerehrung gewesen bin. Aber woher hätte ich es auch wissen sollen, wenn mir niemand Bescheid sagt und die Goldsprints oft so gut versteckt wurden, dass nur Ortskundige wussten wo sie waren?

Nach der Etappe bin ich noch 25 km ins Hotel gefahren und dann endlich ins Meer gesprungen. Nach drei Tagen Erholung, wovon ein Tag für den knapp 700 km langen Transfer in Richtung Osten draufgeht, geht es mit der viertägigen Tour of Mesopotamia weiter, die in Mardin an der Grenze zu Syrien startet.

In drei Tagen gleiche Stelle, gleiche Welle

Gez. Sportfreund Radbert

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