RSNplusMit neuer Sattelstütze zum Sanremo-Sieg

Kamikaze-Mohoric fährt rasend auf Dropper Post ab

Von Joachim Logisch

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Völlig überraschend gewann Matej Mohoric die 113. Ausgabe von Mailand-Sanremo. Den Slowenen hatten sicher die wenigsten auf der Favoritenliste. | Foto: Cor Vos

21.03.2022  |  (rsn) - Waghalsiger Mut und eine technische Innovation machten im Finale von Mailand-Sanremo den Unterschied und Matej Mohoric (Bhrain Victorious) zum Ãœberraschungssieger! Wird der Dropper Post, die versenkbare Sattelstütze, den Straßenradsport verändern?

Es war grenzwertig, wie sich der Slowene die Abfahrt vom Poggio wie ein Kamikaze hinunterstürzte. Wie knapp er an einem Sturz vorbeischrammte, zeigte Mohoric direkt nach der Zieleinfahrt auf der Via Roma, als er seine rechte Hand schüttelte. Das Stück mehr an Sicherheit gegenüber den Top-Favoriten um den zweimaligen Tour-Sieger Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) und Wout Van Aert (Jumbo – Visma), Sanremo-Sieger von 2020, war möglicherweise die versenkbare Sattelstütze, die er im Rennen eingesetzt hatte.

“Wir hatten schon den ganzen Winter über den Plan gesprochen, heute mit dem Dropper Post zu fahren, weil mir das Rennen wegen seiner sehr technischen Abfahrt am Ende sehr gut liegt. Die versenkbare Sattelstütze ist besser für die Leistung und sicherer als der Super Tuck (der verboten wurde)", verriet Mohoric, der die Innovation vorher im Training getestet hatte, mit einem verschmitzten Lächeln in der Sieger-Pressekonferenz. "Nach dem ersten Versuch war ich überrascht, wie viel Unterschied es macht, wie viel besser die Kontrolle auf dem Rad ist, wie viel sicherer man sich fühlt und wie viel einfacher es ist, Fehler zu korrigieren, wenn man zu weit geht", schilderte er seine Erfahrung begeistert.

Nach seiner waghalsigen Abfahrt rettete Mohoric zwei Sekunden vor Turgis (TotalEnergies) und die Favoriten van der Poel, Pogacar und Van Aert. | Foto: Cor Vos

Im Rennen mit den Konkurrenten über den Dropper Post gescherzt

Mohoric war sich auch sicher, dass er gegen keine geltenden Regeln verstoßen hatte. “Laut den Regeln darf man nur etwas benutzen, was bereits auf dem Markt ist. Wir haben also die Mountainbike-Sattelstütze benutzt. Es ist eine ganz normale Sattelstütze, die wir online gekauft haben. Unsere Räder sind wegen der runden Fassung kompatibel mit Mountainbike-Sattelstützen. Wegen der Kabelkanäle kann man das alles von außen nicht sehen. Es ist alles sehr ordentlich und sauber verarbeitet. Ich habe am Lenker einen normalen Gripshifter (Schalter) installiert (der die abgesenkte Sattelstütze wieder nach oben drückt), auch das funktioniert wie beim Mountainbike, denn es ist ein Mountainbike-System", gab er Details bekannt.

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Der 27-Jährige konnte es kaum erwarten, die Sattelstütze im Ernstfall zu testen. "Ich habe im Rennen schon mit meinen Konkurrenten über meinen Dropper Post gescherzt. Ich habe dann die James Bond-Titelmelodie gesungen", erzählte er lachend. "Sie haben mich ausgelacht, aber sie waren auch ein bisschen neidisch, weil ich etwas hatte, was sie nicht hatten. Ab jetzt müssen wir über einen weiteren Knopf (am Lenker) nachdenken. Es ist wie in der Formel 1. Es begann mit Gas und Bremse, jetzt haben sie 80 Knöpfe, die entscheiden, wie sich das Auto bewegt."

Oben auf dem Poggio war es endlich so weit: "Ich habe den Sattel (mit dem Gesäß) runtergedrückt. In der Abfahrt habe ich ihn dann ein oder zwei Mal wieder hochgeholt, um richtig treten zu können. Aber meistens hatte ich den Sattel ganz unten. Ich denke, dass dies die Zukunft für Straßenrennen ist, denn es ist viel sicherer", prognostizierte er nach dem perfekt gelungenen Versuch. "Ich glaube, bisher wurde sie noch nie bei Straßenrennen eingesetzt. Sie war wohl zu schwer. Aber dieses System wiegt kaum mehr als eine normale Sattelstütze. Nächstes Jahr wird bestimmt jedes Rennrad einen Drop Post haben – auch auf dem freien Markt."

Der Dropper Post allein machte nicht den Unterschied

Einen weiteren Vorteil des Dropper Post sah Mohoric auch darin, dass "man im Rennen sein Rad schnell einem Teamkollegen geben und dann die Sattelhöhe anpassen" könne. Deshalb vermutete er auch, dass die Konkurrenten bald nachziehen werden.

Für den Erfolg hatte der Slowene erstmals eine versenkbare Sattelstütze eingesetzt, die ihm erlaubte, schneller bergab zu fahren. | Foto: Cor Vos

Doch die Innovation allein war es nicht, die dem Sanremo-Fünften von 2019 den Sieg beim ersten Monument des Jahres einbrachte. Es waren auch sein Können und sein waghalsiger Mut, die mit den Unterschied ausmachten. Mohoric reagierte schnell, als Sören Kragh Andersen (DSM) direkt vor der Abfahrt vom Poggio, gefolgt von Pogacar, Van Aert und Mathieu van der Poel, attackierte. Mohoric, der die zweite Gruppe anführte, hatte oben auf der Kuppe etwa 25 Meter Rückstand. Doch keine 400 Meter später dockte der ehemalige U23-Weltmeister schon am Favoriten-Quartett an, um nach der nächsten leichten Kurve kurzentschlossen an allen vorbeizujagen. In der Anfahrt zur nächsten 90-Grad-Kurve saß er direkt vor Pogacar. Danach hatte er fünf Meter Vorsprung.

Mohoric nahm die nächste Kurve so knapp, dass er in der 20 Zentimeter breiten Regenrinne vor der Mauer am Rande der Straße landete, als er kurz den Kopf runternahm. Aus dem Randstreifen konnte er sich gerade noch mit einem beherzten Sprung zurück auf die Straße befreien. Sein Vorsprung betrug nun schon zehn Meter und vergrößerte sich mit jeder Kurve weiter - und das, obwohl er in den engsten Ecken vom TV-Motorrad deutlich sichtbar aufgehalten wurde. Keiner der Topfavoriten wagte in der Abfahrt so viel wie der Slowene. Möglicherweise dachten sie, dass sie ihn in der flachen Passage vor dem Ziel nochmal stellen könnten.

Kragh Andersen (rechts) hatte oben auf dem Poggio die erste Attacke gesetzt. Pogacar folgte ihm umgehend. . | Foto: Cor Vos

Auch die herunter gesprungene Kette konnte Mohoric nicht stoppen

Van der Poel versuchte noch verzweifelt, Mohoric wieder einzuholen. Doch auch der Niederländer hatte der waghalsigen, ja halsbrecherischen Fahrt des Slowenen nichts entgegenzusetzen. Bis auf wenige Millimeter ließ der sich in einer weiteren Kurvenausfahrt an die Hauswand neben der Straße heraustragen, um ja keine Geschwindigkeit zu verlieren. Unten auf der Küstenstraße angekommen hatte er 1,6 Kilometer vor dem Ziel 100 Meter Vorsprung. Hier hätten die Verfolger noch einmal die Chance gehabt, heranzuspringen. Aber unterm Teufelslappen war sich die Gruppe um Van Aert plötzlich uneinig, wer die Nachführarbeit leisten sollte.

So konnten die Verfolger auch nicht die kurze Verlegenheit des Spitzenmannes nutzen, dem kurz vor der Via Roma sogar für einen kurzen Moment die Kette heruntersprang. Mohoric ließ einen Tritt aus, bis sich sein Antriebsstrang wieder gefangen hatte, um dann sofort seine wilde Jagd fortzusetzen. Mit letzter Kraft rettete er nach 293 Kilometern den Sieg gegen den von hinten heranbrausenden Anthony Turgis (TotalEnergies).

Die Teamkollegen von Bahrain Victorius feiern ihren Sieger . | Foto: Cor Vos

“Ich bin zwei Mal fast gestürzt, aber ich blieb ruhig. Beim ersten Mal kam ich in die Rinne und sprang zurück auf die Straße. Beim zweiten Mal rutschte ich mit beiden Reifen in der letzten scharfen Kurve der Abfahrt weg. Da habe ich bestimmt zwei oder drei Sekunden verloren. Aber ich wusste, dass das passieren kann und habe nicht aufgegeben. In der letzten Kurve, 600 Meter vor dem Ziel fiel mir die Kette runter, weil ich schaltete und es dort ziemlich holprig ist. Zum Glück habe ich Shimano, darum konnte ich das mit einem Knopfdruck reparieren", schilderte er im Ziel seine Schlusskilometer.

Nach dem Verbot des Super Tuck hatte radsport-news.com übrigens schon letztes Jahr im März orakelt, ob jetzt der Dropper Post kommt! Droht ihm das gleiche Schicksal wie dem Super Tuck?

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