Müllers Tour-de-Singkarak-Tagebuch

Nach vergeblicher Verfolgung stand ich wie ein Eimer auf der Kuppe

Von Robert Müller

Foto zu dem Text "Nach vergeblicher Verfolgung stand ich wie ein Eimer auf der Kuppe "
Robert Müller (Zweiter von rechts) bei der Tour de Singkarak | Foto: Robert Müller

03.11.2019  |  (rsn) - Hallo aus Batusangkar Sumatra, Indonesien! Nachtrag zu gestern: da wir zum Abendessen in ein anderes Hotel fahren mussten, verlängert sich die Transferzeit von gestern um eine halbe Stunde auf dreieinhalb Stunden. Ein Australier, der gestern am Anfang der Etappe vor mir gestützt war, erzählte mir heute beim Frühstück, dass er keine Erinnerung mehr daran habe. Er hatte eine Gehirnerschütterung erlitten und weiß von den 15 Minuten nach dem Sturz nichts mehr. Seine erste Erinnerung sei dann gewesen, dass er auf dem Rad saß und hinter seinem Teamauto fuhr und sich fragte, was er da gerade tat und warum.

Als er seine Verletzungen bemerkte, reimte er sich zusammen, dass er wohl gestürzt sein musste und sich gerade in der Verfolgung des Feldes befand. Nach langer Aufholjagd schaffte er auch den Anschluss und ist heute trotz Kopfschmerzen und Sturzverletzungen natürlich wieder gestartet.

Mein iranischer Freund Mohammed erzählte mir vor dem Start, dass er gestern nach der ersten Bergwertung in der ersten Gruppe fahrend einen Speichenbruch vorne hatte und sehr lange auf sein Begleitfahrzeug warten musste. Als es dann endlich zur Stelle war, bekam er ein Ersatzlaufrad, dass ebenfalls eine Acht aufwies und an der Bremse schliff. Er und sein Team waren nämlich direkt von einer Rundfahrt in Malaysia angereist und hatten dort drei Vorderräder verbraucht, weshalb sie nun kein intaktes Ersatzlaufrad mehr haben. Außerdem leidet einer seiner Teamkollegen an Magen-Darm-Beschwerden, was auch daran zu erkennen war, dass er die Träger seiner Radhose nicht trug, um im Notfall die Hose schneller runterziehen zu können.

Der Transfer am Morgen zum Startort fand auf der heutigen Rennstrecke statt, somit konnten wir sie uns bereits ansehen. Die Etappe führte über 112 Kilometer mit zwei Bergwertungen gegen Ende und einer “Fast-Bergankunft“, da nach der letzten Bergwertung keine Abfahrt mehr folgte und das Ziel am höchsten Punkt der Etappe auf 940 Meter lag. Ich ging am Anfang wieder Attacken mit und als sich drei Fahrer absetzen konnten, versuchte ich, an einem Anstieg noch hinzuspringen, schaffte es jedoch knapp nicht und stand auf der Kuppe wie ein Eimer.

Damit war das Thema durch und wir sortierten uns im Feld, in dem Sapura sofort die Kontrolle übernahm, an dritter Stelle ein. Diese Position stand uns nach den ungeschriebenen Regeln des Radsports aufgrund von Loics Platzierung in der Gesamtwertung auch zu. Dort ließ es sich gut fahren und Loic verzichtete darauf, um den einen Punkt zu sprinten, den es in beiden Sprintwertungen aus dem Feld heraus noch zu holen gab, um sich bei Sapura nicht unbeliebt zu machen.

Da das Tempo im Feld bis zum Beginn der Anstiege nach etwa 55 Kilometern nicht langsam war, betrug der Maximalvorsprung der Spitzengruppe nur etwas über zwei Minuten. Bereits im langen Anstieg zur ersten Bergwertung holten wir sie wieder ein. Mir ging es da noch halbwegs gut, obwohl es eklig zu fahren war. Nach einer schnellen Abfahrt ging es dann in den Anstieg zur zweiten Bergwertung und als dort richtig schnell gefahren wurde, musste ich wieder abreißen lassen.

Am 500-Meter-Schild vor der Bergwertung bekam ich leichte Krämpfe, das durfte doch nicht wahr sein. Oben lag ich noch nicht allzu weit zurück und hatte eigentlich die Hoffnung, auf den letzten 20 welligen Kilometern innerhalb der Kolonne wieder nach vorne fahren zu können. Doch plötzlich blockierten nach einer Kurve stehende Begleitfahrzeuge vor mir die gesamte Straße und ich musste hart auf Null abbremsen, wobei ich fast in die Autos gekracht wäre.

Als ich dann mit einem zu dicken Gang wieder Geschwindigkeit aufnehmen wollte, bekam ich in beiden Oberschenkeln Krämpfe und das war es dann für mich gewesen. Mit einer kleinen Gruppe rollte ich frustriert ins Ziel und war ratlos, warum ich bei einer nicht so langen und eigentlich nicht so harten Etappe schon wieder Krämpfe bekommen hatte. Im Zielbereich war die Hölle los, es gab zunächst nur Wasser zu trinken und ich bahnte mir leicht genervt meinen Weg zum Teambus, wobei ich nochmal einen Krampf bekam, als ich eine Treppe hinunter lief.

Die Etappe hat wie gestern der Vorjahressieger und Träger des Gelben Trikots Jesse Ewart solo gewonnen. Loic wurde Vierter und verteidigte damit auch seinen vierten Platz in der Gesamtwertung. Mein Teamkollege beim Veloclub Ratisbona Regensburg, Peter Förster, wurde starker Achter. Nach dem Mittagessen musste ich ein Interview für eine Schule geben und es stand der Transfer zum neuen Hotel an. Für gerade einmal 45 Kilometer brauchten wir auf engen verstopften Straßen eine Stunde und 45 Minuten.

Im Rennen haben wir heute den Äquator überquert und sind von der Nord- auf die Südhalbkugel gefahren. Dafür gab es für jeden ein offizielles Zertifikat mit Nummer, Stempel und Unterschrift von irgendeinem wichtigen Beamten. Die Strecke war heute sehr schön, wir fuhren in einem Tal an einem Fluss entlang und an Reisfeldern in der Berglandschaft vorbei.

Morgen geht es über 130 Kilometer und es stehen drei Bergwertungen und wieder knapp 2000 Höhenmeter auf dem Programm. Zum dritten Mal liegt das Ziel höher als der Start. Dieses Jahr sind die Etappen hier noch bergiger als in den letzten zwei Jahren, was mir nicht gerade entgegen kommt. Deshalb werde ich mich voll in den Dienst meines Zimmerkollegen Loic stellen, denn er ist hier bisher sehr gut unterwegs.

Radfahrzeit: 3:28 h

Transferzeit: 3:35 h

Souvenir des Tages: ein Modell des Turms von Bukittinggi

Morgen gleiche Stelle, gleiche Welle.

Gez. Sportfreund Radbert

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