--> -->
06.07.2013 | (rsn) - Jetzt gilt es: Verstecken kann sich am achten Tag der Tour niemand mehr. Es geht in die Pyrenäen und über das diesjährige Dach der Tour zur ersten Bergankunft der 100. Frankreich-Rundfahrt. Der Schlussanstieg nach Ax 3 Domaines gehört zwar nicht zu den allerschwersten, doch er wird diejenigen entlarven, die nicht in bester Verfassung zur Tour gekommen sind. Immerhin ist das einer der wenigen Berge, an denen Jan Ullrich Lance Armstrong einmal Zeit abnehmen konnte. Auffällig: Alle bisherigen Sieger in Ax 3 Domaines vollendeten im Pyrenäen-Ski-Ort einen frühen Ausreißversuch erfolgreich.
Die Strecke: 195 km, Bergankunft, 1 Berg der Ehrenkategorie, 1 Berg der 1. Kat., 1 Berg der 4. Kat.
Vier Mal war die Tour in Ax 3 Domaines bereits zu Gast, und jedes Mal war die Streckenführung dorthin beinahe gleich. Zwar wurde immer an verschiedenen Orten gestartet, doch vor dem Schlussanstieg stand jeweils der Col de Pailhères auf dem Programm und das Profil ähnelte auch sonst dem heutigen: Zunächst geht es rund 100 Kilometer flach von Castres in den Süden an den Fuß der Pyrenäen. Unterwegs passieren die Fahrer bei Kilometer 26,5 in Saint-Ferréol zwar die erste Bergwertung (2,2 km, 5,4 %, 4. Kat.) des Tages, doch die dürfte höchstens ein paar Ausreißer interessieren.
Bei Kilometer 119,5 wird in Quillan der Zwischensprint abgenommen, anschließend beginnt die Straße anzusteigen - zunächst nur gemächlich, dann ab Kilometer 150 so richtig: Dort beginnt der 15,3 Kilometer lange und im Schnitt acht Prozent steile Anstieg zum Port de Pailhères, der mit seiner Passhöhe auf 2.001 Metern in diesem Jahr das „Dach der Tour“ darstellt und zur Ehrenkategorie gehört. Es folgt eine 20 Kilometer lange, weniger steile Abfahrt ins Ax-Tal nach Ax-les-Thermes, wo sofort der Schlussanstieg beginnt.
Für 7,8 Kilometer steigt die Straße dort bei durchschnittlich 8,2 Prozent an, ehe rund einen Kilometer vor dem Ziel die Bergwertung der 1. Kategorie am Ortseingang des Ski-Orts Ax 3 Domaines erreicht ist. Die letzten 1.000 Meter des Tages sind dann beinahe flach, doch Vorsicht: Wer kurz vor der Bergwertung Probleme bekommt und nicht mehr rund treten kann, der wird auch dort gegen die davon spurtende Konkurrenz noch einige Sekunden einbüßen.
KulTour - Die Region: Willkommen in „Klein Venedig“
Castres, das auf dem Pilgerweg von Santiago de Compostela liegt, wird wegen seiner bunten, förmlich in den Fluss Agoût hineingebauten Häuser auch „Klein Venedig“ genannt. Die 45.000-Einwohner-Stadt ist die Hauptstadt des Departements Tarn und versprüht ein ganz besonderes Flair - vor allem abends, wenn rund 30 dieser alten Häuser am Wasser bunt beleuchtet werden. Zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt gehören neben dem alten Bischofspalast, der heute das Goya-Museum beheimatet - das zweitgrößte französische Museum für Werke von spanischen Künstlern nach dem Louvre in Paris - vor allem auch der davor gelegene Garten „Jardin de l’Évêché“, der im 17. Jahrhundert von André Le Nôtre angelegt wurde, dem Gärtner von König Ludwig XIV.
ReTour - Tour-Historie: Ullrich attackiert Armstrong
Das Plateau de Bonascre, wie das Ziel der heutigen Etappe auch genannt wird, war im Jahr 2001 erstmals Zielort der Frankreich-Rundfahrt und wurde seitdem drei weitere Male angefahren. Erster Sieger dort war Félix Cárdenas, der sich mit seinem Tageserfolg als Ausreißer damals zwischen drei Etappensiege des alles dominierenden Lance Armstrong (L’Alpe d’Huez, Chamrousse, Pla d’Adet) schob.
Doch nur zwei Jahre später war es eben jener Armstrong, der hinauf zum Plateau und in den Ski-Ort Ax 3 Domaines Probleme bekam, als Haimar Zubeldia, Alexander Winokurow und Jan Ullrich nacheinander angriffen. Nur einen Tag nach seinem überlegenem Zeitfahrsieg in Cap d’Ecouverte weckte „Ulle“ Erinnerungen an 1997 und ließ seine Fans vom zweiten Tour-Sieg träumen. Auch wenn der Deutsche das Ziel nur sieben Sekunden vor dem US-Amerikaner im Gelben Trikot erreichte - die Euphoriewelle schwappte sofort wieder nach Deutschland hinüber.
Die Etappe ging an diesem Tag übrigens an Ausreißer Carlos Sastre, der fünf Jahre später ebenfalls Tour-Sieger werden sollte. Und auch bei der dritten und vierten Tour-Ankunft am Plateau de Bonascre siegten Ausreißer: 2005 der Österreicher Georg Totschnig und 2010 Frankreichs Christophe Riblon.
Die Radsport-News-Prognose: Vier Ausreißersiege sind genug
Der Blick in die Geschichtsbücher hat es bereits verraten: Auch wenn das heute eine Bergankunft ist, so ist der Sieg eines kletterstarken Ausreißers durchaus möglich. Vor dem Schlussanstieg nämlich wartet nach langer und flacher Anfahrt bereits der schwere Col de Pailhères, und dort könnte ein guter Kletterer einen großen Vorsprung herausfahren. Weil der Schlussanstieg dann nur knapp acht Kilometer lang ist, ist es möglich, einige Sekunden dieses Vorsprungs bis ins Ziel zu retten - eben so, wie es Cárdenas, Sastre, Totschnig und Riblon jeweils gelang.
Dagegen spricht, dass das Plateau de Bonascre in diesem Jahr erstmals die erste Bergankunft der Tour ist. Angesichts der noch recht geringen Abstände in der Gesamtwertung ist es unwahrscheinlich, dass die Favoriten auf den Gesamtsieg einen starken Kletterer einfach so wegfahren lassen.
Gut möglich also, dass sich Chris Froome, Alberto Contador und Co. nach einer Tempojagd unter dem Diktat der Sky-Mannschaft am Pailhères im Finale selbst um den Tagessieg bekämpfen werden. Der Ausgang dabei ist völlig offen, wobei der fast flache Schluss-Kilometer sprintstarke Kletterer wie Alejandro Valverde, Joaquim Rodriguez oder Cadel Evans bevorteilen sollte wenn sich denn vorher niemand absetzen konnte, und die Favoriten in einer Gruppe von fünf bis zehn Mann dem Ziel entgegenjagen.