--> -->
26.07.2025 | (rsn) - Wer braucht einen Wetterfrosch, wenn er Kaden Groves kennt? Gewinnt der Australier, muss es geregnet haben. So war es auf der 6. Etappe des Giro d’Italia in diesem Jahr, als Groves im extrem chaotischen und komplett verregneten Finale von Neapel die improvisierte Vorarbeit seines Teams Alpecin - Deceuninck mit einem Sprintsieg krönte. Als Regenmeister erwies er sich auch auf dem 17. Tagesabschnitt der Vuelta im letzten Herbst. Die Etappe von Amuero nach Santander war ebenfalls eine ziemlich feuchte. Und erneut wurden die Ausreißer knapp vor dem Zielstrich noch eingefangen und die Sprintzug-Spezialisten des niederländischen Rennstalls platzierten ihren Vollender perfekt.
Nach der Erfahrung der 20. Etappe dieser Tour taugt Groves sogar als Regenvorhersager. Denn er schmuggelte sich noch auf trockenem Geläuf in die Fluchtgruppe des Tages. Die meteorologischen Verhältnisse hat der Australier also gut antizipiert. ___STEADY_PAYWALL___
Dennoch ist es recht ungewöhnlich für einen Massensprintexperten. Denn er hat sich ja gerade darauf spezialisiert, mit seinem Punch am Ende die Konkurrenz in die Schranken zu weisen. Sieben Siege bei der Vuelta kamen so zusammen, zwei beim Giro, nicht alle unter strömendem Regen, um der Wahrheit Ehre zu verschaffen. Aber auf die Wettervorhersage hatte er sicher Acht gegeben. Und so mischte er sich unter die Ausreißer, setzte auch zum rechten Zeitpunkt die Attacke und zog dann gut gekühlt auf gut geschmiertem Parcours im Zeitfahrmodus durch. “Es Ist ein Traum, bei der Tour zu gewinnen, und dann noch in der dritten Woche und auf diese Art. Es ist überhaupt mein erster Sieg als Solist“, sagte er, kaum dass er die Tränen der Freude und Tropfen des Regens aus dem Gesicht gewischt hatte.
Dass es ein emotionaler Sieg für Kaden Groves war, war dem Australier deutlich anzumerken. | Foto: Cor Vos
Bei seinem Soloritt durch den Regen offenbarte er auch exzellente Fähigkeiten im Bikehandling. Das ist kein Wunder. Zwar fand er erst verhältnismäßig spät zum Radsport. Erst als 16-Jähriger begann der Australier sich ernsthaft mit Radsport zu beschäftigen. Vorher war er aber ein ambitionierter Motocross-Fahrer. “Das hat mir sicher beim Bikehandling geholfen“, blickte er später zurück. Radsport entdeckte er - ähnlich wie die Wintersportumsteiger Florian Lipowitz und Primoz Roglic - zunächst als Rehasport. Dann gefiel ihm das Motor-lose Fahren auf zwei Rädern aber.
Dass er sich als Ausreißer versuchte, dürfte neben den meteorologischen Bedingungen auch mit den Neuerungen im Parcours zusammenhängen. Bekanntlich bauten die Streckenplaner der ASO noch den Pariser Stadtberg Montmartre in die Abschlussetappe ein. Das erfreut die Klassikerspezialisten. Die Sprinter aber frustriert es eher. “Es war immer mein Kindheitstraum, mal auf den Champs-Élysées zu sprinten. Von daher ist man schon traurig, dass man wahrscheinlich nicht sprinten kann“, sagte Phil Bauhaus RSN während dieser Tour. Thor Hushovd, 2006 glücklicher Sieger auf den Champs-Élysées, kann zwar die Organisatoren ein wenig verstehen. “Für Leute, die Radsport nicht so richtig verstehen, ist es doch seltsam: Sie sehen über 20 Etappen, wie wichtig es ist, eine Etappe zu gewinnen. Und bei der 21. Etappe sehen sie, dass alle nett miteinander reden und gute Freunde sind und nur auf den letzten paar Metern sprinten sie“, meinte er zu RSN. Er sieht in der Veränderung auch einen Trend für die Zukunft. Der Ex-Sprinter und jetzige Teamchef von Uno-X gab aber auch zu: “Als Sprinter wäre ich ziemlich enttäuscht.“
Hat Hushovd Recht, und nimmt die Tour-Organisation auf das eher nicht so tief mit dem Radsport vertraute Massenpublikum Rücksicht, dann stirbt der reine Massensprint bei den Grand Tours wohl aus. Und damit verliert auch das Berufsbild Sprinter im Straßenradsport an Attraktivität. Bauhaus beobachtet schon in den vergangenen Jahren markante Veränderungen im Geschäft. “Die Schere, die wird immer größer zwischen den Sprintern, die eher etwas schwerer sind und etwas schwächer im Verhältnis von Watt pro Kilo und den leichteren Fahrern. Für uns wird es immer schwieriger.“
Für Sprinter wie Groves (l.) und Jasper Philipsen könnte es in Zukunft immer schwieriger werden, ihre Stärken in Siege umzumünzen. | Foto: Cor Vos
Auch Rolf Aldag erkennt hier schon einen Trend weg von den Massensprints hin zu Etappen mit schwierigerem Profil. “Es ist in der Tat interessant. Ich weiß nicht, wodurch es jetzt primär getrieben ist. Ich glaube, Zuschauerzahlen spielen schon eine Rolle“, sagte er RSN am zweiten Ruhetag. Und er sieht, wie mit dem Streckendesign Einfluss genommen wird auf die Dramatik im Rennen. “Das Streckendesign gerade im ersten Teil der Tour dient schon dazu, um es wirklich spannend und unvorhersehbar zu machen. Ich glaube, das ist sehr bewusst gemacht“, meinte er. Er gab zu, von dieser Entwicklung hin und her gerissen zu sein. Die Veranstalter kann auch er verstehen, wie schon Hushovd. Er fragte sich aber auch: “Stirbt der reine Sprinter vielleicht aus?“ Und beantwortete die Frage mit einem kurzem „Ja.“
Im immer schwieriger machen des Parcours sah er noch weitere Gefahren. “Ich glaube, wo wir aufpassen müssen, ist dieses nur immer schwerer, mehr Berge und härter. Denn das ist dann auch nicht mehr spannend, weil wir dann nämlich die Situation haben, dass die Abstände schon unter den ersten Zehn immer größer werden. Wenn es so weiter geht, kommt der Gesamtzehnte auf eine Stunde Rückstand mit der letzten Woche. Ist das dann noch spannend?“
Natürlich muss man erst einmal abwarten, wie die 21. Etappe dieser Tour wird. Sprintspezialist Kaden Groves hat darauf allerdings schon seine eigene klare Antwort gegeben. Obwohl er nach dem Ausstieg sowohl des Nummer-1-Sprinters Jasper Philipsen als auch des Klassikerstars Mathieu van der Poel am Sonntag mit Sicherheit die erste Option seines Rennstalls gewesen wäre, dachte er keinen Moment ans Kraft sparen – und suchte seine Chance in der Flucht am Tag zuvor. Gut möglich, dass in Zukunft Sprintspezialisten aufs Ausreißerfach umschulen müssen oder explosive Talente gleich auf der Bahn bleiben.