RSNplusAnalyse zu den Top Ten der Tour de France 2025

Angst, natürlicher Schwund und finanzielle Ungleichheit

Von Kevin Kempf

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Kevin Vauquelin (Arkea - B&B Hotels) war der beste Franzose dieser Tour. | Foto: Cor Vos

28.07.2025  |  (rsn) – Die Tinte in den Radsport-Geschichtsbüchern ist gerade erst getrocknet: Tadej Pogacar (UAE – Emirates – XRG) hat bei der Tour de France 2025 im direkten Duell mit seinem großen Widersacher Jonas Vingegaard (Visma – Lease a Bike) seinen vierten Gesamterfolg gefeiert. Doch kurz hinter den beiden Superstars finden sich auf der Klassementstafel - mit vielen Minuten Rückstand - vor allem Fahrer wieder, die normalerweise deutlich kleinere Croissants backen.

Die Hälfte der Top Ten – nämlich Oscar Onley (Picnic – PostNL / 4.), Tobias Johannessen (Uno-X Mobility / 6.), Kevin Vauquelin (Arkea – B&B Hotels / 7.), Ben Healy (EF Education – EasyPost / 9.) und Jordan Jegat (TotalEnergies / 10.) - hat ein solches Ergebnis bei einer Grand Tour noch nicht zuvor geschafft. Der 25-jährige Johannessen galt als ehemaliger Sieger der Tour de l’Avenir schon lange als Rundfahrthoffnung. Zwischenzeitlich drohte wegen Knieproblemen allerdings das Karriereende. Bei seinen ersten beiden Grand Tours probierte er sich vor allem als Ausreißer, sein erster Versuch, aufs Klassement zu fahren, bestätigte die seit der U23-Zeit in ihn gesetzten Erwartungen.

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So ist der Norweger nur bedingt eine Überraschung, anders sieht es bei den vier anderen Neulingen aus. Sowohl Vauquelin als auch Healy und Onley galten als sehr talentiert, das Hochgebirge war aber bislang nicht ihr Terrain. Vauquelin wurde letztes Jahr noch 91. der Grande Boucle, bei der er eine Etappe als Ausreißer gewann. Onley schlug sich mit seinen 21 Jahren als Hügelspezialist als 39. wacker. Healy war fünfmal in der Gruppe des Tages unterwegs und wollte diese Rolle auch dieses Mal einnehmen, bevor er durch eine erfolgreiche Flucht auf der 10. Etappe die Gesamtführung übernahm und das Klassement zum Ziel wurde.

Florian Lipowitz (Red Bull - Bora - hansgrohe) und Oscar Onley (Picnic - PostNL) kämpften um das Weiße Trikot und den dritten Podiumsrang. | Foto: Cor Vos

Jegat ist der mit Abstand unbekannteste Name des Quintetts. Er ist ein ausgewiesener Kletterer, dem allerdings vor dieser Tour niemand die Klasse für ein Top-Ten-Resultat unterstellt hätte. Er fuhr aber eine sehr stabile Tour, war immer im Bereich der besten Zehn, die er letztendlich erreichte, als er auf der 20. Etappe als Ausreißer zum zweiten Mal Zeit gewann. Leidtragender war mit Ben O’Connor (Jayco – AlUla) ein erfolgreicher Rundfahrer, der zuvor allerdings ebenfalls in der Gruppe des Tages mehrere Minuten herausgefahren hatte.

Neben den fünf Neulingen erzielten auch Florian Lipowitz (Red Bull – Bora – hansgrohe / 3.) und Felix Gall (Decathlon – AG2R / 5.) ihre besten GT-Ergebnisse. Sieger Pogacar egalisierte logischerweise sein Top-Resultat. Somit haben lediglich Vingegaard als Zweiter und Primoz Roglic (Red Bull – Bora – hansgrohe) als Achter nicht ihr bestes Karriereresultat bei einer dreiwöchigen Rundfahrt erzielt. Die neuen Namen führten auch dazu, dass Pogacar, Vingegaard, Lipowitz, Onley und Gall mit durchschnittlich 26 Jahren und 37 Tagen die jüngste Top Fünf bei einer Tour de France seit 1971 bildeten, als Eddy Merckx, Joop Zoetemelk, Lucien Van Impe, Bernard Thevenet, und Joaquim Agostinho im Schnitt 25 Jahre und 236 Tage alt waren.

Hat die Konkurrenz Angst?

Aber wieso finden sich plötzlich so viele “neue“ Namen in der Spitze der Gesamtwertung der Tour wieder? Zum Vergleich: Beim Giro waren es mit Isaac Del Toro (UAE – Emirates – XRG), Giulio Pellizzari (Red Bull – Bora – hansgrohe) und Brandon McNulty (UAE – Emirates – XRG) drei Ersttäter, bei der Vuelta 2024 war Lipowitz der einzige und vor einem Jahr schafften Matteo Jorgenson (Visma – Lease a Bike) und Derek Gee (Israel – Premier Tech) erstmals den Sprung auf die erste Ergebnisseite des Klassements.

Zunächst liegt die Vermutung nahe, dass die Anwesenheit von Vingegaard, Remco Evenepoel (Soudal – Quick-Step), Roglic und vor allem Pogacar viele Konkurrenten abschreckte. Denn mit diesen Namen an Bord schien für den Rest kaum etwas zu holen. Doch ein genauerer Blick verrät, dass nicht viele potenzielle Herausforderer die Tour links liegen ließen. Antonio Tiberi (Bahrain Victorious), Gee und Richard Carapaz (EF Education – EasyPost) waren die Fahrer, die den großen Vier am ehesten Konkurrenz hätten machen können. Der Olympiasieger von Tokio wäre gern dabei gewesen, musste aber kurz vor dem Start der Tour seine Teilnahme absagen.

Ist der Feind von einst der Freund von jetzt?

Natürlich fehlten auch andere starke Rundfahrer: die beiden UAE-Profis Del Toro und Juan Ayuso seien genannt, Pellizzari hat beim Giro sein Talent bestätigt und sein Teamkollege Daniel Felipe Martinez, letztes Jahr noch Giro-Zweiter, war wie Mikel Landa (Soudal – Quick-Step) ebenfalls nicht dabei. Doch diese Fahrer wären keine Konkurrenten der Großen Vier gewesen, sie wären als Helfer am Start erschienen.

Es ist nicht erst eine Entwicklung der letzten Jahre, dass die finanzstärksten Rennställe die besten Rundfahrer verpflichten – an Roberto Heras‘ Wechsel zu US Postal von Lance Armstrong im Jahr 2000, nachdem der Spanier gerade die Vuelta a España gewonnen hatte, sei erinnert. Momentan scheint dieser Trend aber immer größere Formen anzunehmen.

Tobias Johannessen (Uno-X Mobility) fuhr erstmals in seiner Karriere in die Top 10 einer Grand Tour. | Foto: Cor Vos

UAE hat in seinem Kader derzeit zehn Fahrer, die im Verlauf ihrer Karriere die Top Ten einer GT erreicht haben: Joao Almeida, Ayuso, Del Toro, Felix Großschartner, Rafal Majka, Brandon McNulty, Pogacar, Pavel Sivakov, Marc Soler und Adam Yates. Visma kommt mit Jorgenson, Wilco Kelderman, Steven Kruijswijk, Sepp Kuss, Cian Uijtdebroeks, Vingegaard und Simon Yates immerhin auf sieben. Lidl – Trek und Ineos Grenadiers bringen es auf die gleiche Anzahl, Red Bull – Bora – hansgrohe liefert noch sechs Top-Ten-Fahrer.

Auf der anderen Seite steht bei Alpecin – Deceuninck eine dicke Null. XDS – Astana, Intermarché – Wanty, Decathlon – AG2R und seit neuestem Arkea – B&B Hotels haben einen solchen Rundfahrer im Kader, vier weitere Equipen (Cofidis, Jayco – AlUla, Soudal – Quick-Step und Picnic - PostNL) stellen derer zwei.

Daraus kann man schließen, dass die finanzkräftigsten Mannschaften ihre Pfeile auf die besten Rundfahrer richten. Im Falle von UAE gilt das in zwei Richtungen; einerseits werden Toptalente wie Ayuso und Del Toro aufgebaut, andererseits werden Topstars wie Adam Yates verpflichtet. Visma, Lidl und Red Bull setzen vor allem auf teure Einkäufe, wobei Lipowitz die Ausnahme ist.

Geld regiert die Radsportwelt, soviel ist klar. Die Yates-Brüder haben ihre persönlichen Ambitionen bei kleineren Mannschaften zugunsten fetter Verträge und Helferrollen für die beiden besten Rundfahrer dieser Generation aufgeopfert. Dass Simon dabei gerade noch den Giro d’Italia gewinnen konnte, war dabei vor allem dem taktischen Versagen der Konkurrenz geschuldet. Auch junge Talente wie Del Toro und Ayuso haben sich für viel Geld lange dem besten Team der Welt verpflichtet – und gerade der Spanier merkt inzwischen, dass er seine eigenen sportlichen Ziele hinter Pogacar nicht immer nachjagen kann.

Ein bisschen Schwund ist überall

Wenn 184 Radsportler Seite an Seite dicht an dicht 3302 Kilometer bei teilweise extremen Bedingungen Frankreich hoch- und runterfahren, dann sind Unfälle nicht auszuschließen. Verletzungen, Krankheiten und Ausfälle gehören zum Metier – und davon bleiben auch die Großen nicht verschont.

Mit Evenepoel, Carlos Rodriguez (Ineos Grenadiers), Almeida und Mattias Skjelmose (Lidl – Trek) erwischte es in diesem Jahr gleich vier Profis, die die Top Ten des Klassements anvisiert hatten. Das klingt zunächst viel, Skjelmose und Rodriguez zeigten vor ihren Aufgaben aber schon, dass sie nicht in der gewünschten Form im Rennen dabei waren. Almeida war als Helfer für Pogacar vorgesehen und Evenepoel geriet im Gebirge auch schnell in Schwierigkeiten, wobei er dafür nach seinem Ausscheiden eine Erklärung ablieferte.

Jordan Jegat (TotalEnergies) war die Sensation dieser Tour | Foto: Cor Vos

Fazit: Zweiklassengesellschaft

So lässt sich nicht direkt eine klare Ursache für die augenscheinlich schwache Top-Ten-Besetzung dieser Tour finden, viel mehr ist es wohl eine Kombination aus der Übermacht der Großen Vier – die jetzt vielleicht nur noch zu dritt oder sogar zweit sind – und der finanziellen Ungleichheit im Peloton.

Aus der Überlegenheit entsteht Angst, die zum Ausweichen auf andere Rennen führt. Thymen Arensman (Ineos Grenadiers), Einer Rubio (Movistar), Simon Yates und Michael Storer (Tudor) waren zwar bei der Tour, aber sie hatten den Giro schon in den Beinen. Enric Mas (Movistar) quälte sich durch Frankreich, sein Fokus liegt aber seit geraumer Zeit eigentlich auf der Vuelta.

Die finanzielle Ungleichheit macht es dann noch einfacher, um für gutes Geld die eigenen Ambitionen aufzugeben und sich in ein Helferkorsett zwängen zu lassen. Es entsteht – oder entstand – eine Zweiklassengesellschaft innerhalb der WorldTour. Die aktuelle Weltrangliste führt UAE – Emirates – XRG mit 25.482 Punkten an. Visma – Lease a Bike folgt mit etwas mehr als 10.000 Punkten Rückstand. Dritter ist Lidl – Trek mit 14.599 Zählern.

Schlechtestes WorldTeam zurzeit ist Intermarché – Wanty mit 4.606 Punkten. Cofidis, Arkea – B&B Hotels und Jayco – AlUla liegen in Schlagdistanz. Man muss Jayco und Arkea addieren, um in Summe 42 Punkte mehr zu erhalten, als Pogacar allein auf sich vereint.

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