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03.06.2020 | (rsn) - Marco Brenner ist noch keine 18 Jahre alt und schon erregt er mit dem simplen Fakt, dass er seinen ersten Profi-Vertrag unterschrieben hat, großes Aufsehen. Ist das gerechtfertigt? Mit absoluter Sicherheit kann diese Frage wohl erst in einigen Jahren beantwortet werden. Doch, dass Brenners Ja-Wort zum Team Sunweb auch international Beachtung findet, ist kein Zufall oder gar ein reines Phänomen des Corona-Lochs. Es gibt gute Gründe.
Der Augsburger ist der jüngste Fahrer, der je einen Vertrag in der Pro- oder WorldTour unterschrieben hat - und das gleich für vier statt der bei Neu-Profis obligatorischen zwei Jahre. Seit dem Durchmarsch von Remco Evenepoel in der vergangenen Saison und den zahlreichen Erfolgen weiterer sehr junger Fahrer wie Tadej Pogacar, Egan Bernal und Co. sind auch Junioren bei den großen Teams begehrt. Die ersten Kontaktaufnahmen geschehen immer früher.
Brenner hat sich schon in seinem ersten Junioren-Jahr als ganz besonderes Juwel empfohlen: Er siegte in Serie, holte kurz nach seinem 17. Geburtstag schon Bronze im WM-Zeitfahren der Junioren in Yorkshire. Der Augsburger wird von vielen bereits als absolutes Ausnahme-Talent bezeichnet und während der Weltmeisterschaften machten Gerüchte von einem VO2-Max-Wert (misst die Sauerstoffaufnahmefähigkeit, Anm. d. Red.) in den Regionen des jungen Jan Ullrich die Runde. Schon während der Saison, als Brenner noch 16 war, klopften die ersten WorldTour-Rennställe an.
Die erste schwere Entscheidung des 'Ausnahme-Talents'
Im Dezember stand Brenner vor den Toren Rosenheims mit den WorldTour-Profis von Bora - hansgrohe auf der Bühne, als deren Kader für 2020 vorgestellt wurde. Denn auch Ralph Denks Junioren-Team Auto Eder Bayern, für das Brenner 2019 und 2020 fuhr beziehungsweise fährt, wurde dort präsentiert. Als einen Monat später dann bekannt wurde, dass Brenner schon zur Saison 2021 einen Profi-Vertrag anvisiert und somit von den Junioren gleich in die WorldTour durchmarschieren will, galt für Außenstehende als sicher: Er landet bei Bora - hansgrohe.
Doch seine drei Kreuze hat er nun trotzdem unter einen Vertrag bei Sunweb gesetzt, dem zweiten unter deutscher Flagge fahrenden WorldTour-Rennstall. Auch deshalb ist die Entscheidung des Junioren Brenner ob seines ersten Profi-Vertrags höchst interessant. Denn einige vermochte es gerade angesichts seines Werdegangs in Bayern zu überraschen, dass er Sunweb gegenüber Bora - hansgrohe vorzog. Doch die Unterschrift bei Teamchef Iwan Spekenbrink macht durchaus auch Sinn.
Zwar verabschiedeten sich in den vergangenen Jahren viele gestandene Profis wie Tom Dumoulin, Ellen van Dijk oder zuvor auch Marcel Kittel und John Degenkolb von Sunweb, weil sie mit der sehr strikten und positiv ausgedrückt prinzipientreuen Führung des Teams - andere kritisieren sie als dogmatisch und über-reguliert - nicht mehr klar kamen. Doch gerade junge Fahrer fühlen sich bei Sunweb oft sehr wohl.
Sunweb mit flacherer Hierarchie als Bora - hansgrohe
Natürlich gab es in den vergangenen Jahren deutlich erfolgreichere Rennställe. Sunweb rangierte am Saisonende 2019 nur auf Platz 15 der Team-Weltrangliste. Doch gerade das kann für Brenner, wenn er mit 18 Jahren in die WorldTour kommt, auch ein Vorteil sein: Die Hierarchie im Sunweb-Kader ist weniger steil, als beispielsweise beim zweitbesten Team der Welt, Bora - hansgrohe, mit dessen Stars Peter Sagan, Pascal Ackermann, Emanuel Buchmann oder Maximilian Schachmann.
"Ich kam zu dem Schluss, dass ich bei Sunweb sportlich weiter kommen kann", erklärte Brenner seine Entscheidung im Interview mit radsport-news.com. "Sunweb hat schon in der Vergangenheit gezeigt, dass sie junge Fahrer gut aufbauen können - und sie haben einen sehr jungen Kader. Letztes Jahr habe ich außerdem bei den Talent-Tagen des Teams in St. Anton schon einige Eindrücke bekommen und Kontakt mit Trainern und Ernährungsberatern und allen möglichen Experten vom Team gehabt. Das hat mich überzeugt."
Development Team das Ass im Ärmel von Sunweb
Sunweb hat vor allem aber noch einen weiteren Vorzug: das Development Team. Denn auch wenn Brenner direkt in den WorldTour-Kader wandern wird, so erlauben die UCI-Regularien, dass Rennställe mit Development-Teams ihre Fahrer während der Saison hin- und herschieben dürfen. Sollte Brenner die Anpassung an die höchste Rennklasse zunächst also doch schwerer fallen, kann er bei Sunweb problemlos auch für einige Wochen oder Monate nochmal einen Schritt zurück machen. Dieser doppelte Boden war Brenner und seinem Manager Ken Sommer angesichts des großen Schritts von den Junioren in die WorldTour wichtig.
Hinzu kommt, dass Sunweb mit einem Altersdurchschnitt von 24,2 Jahren über den mit deutlichem Abstand von 2,3 Jahren vor UAE Team Emirates jüngsten WorldTour-Kader verfügt, während Bora - hansgrohe mit 28,4 Jahren den ältesten Kader hat. Bei den 'Roten' ist Brenner mehr unter beinahe Gleichaltrigen, was es zwischenmenschlich leichter für ihn machen könnte.
Dennoch betonten Brenner und Sommer, dass die Entscheidung "super, super schwer" gefallen sei. "Wir sind uns sicher, dass er auch bei Bora - hansgrohe hätte erfolgreich werden können", so Sommer.
Denk: "Entwicklungskurve wäre bei uns flacher verlaufen"
Und die Raublinger hatten sich auch ins Zeug gelegt, wie Ralph Denk gegenüber radsport-news.com betonte: "Es ist nicht ganz üblich bei so einem jungen Fahrer, aber ich habe unseren Scout Christian Schrot (auch Cheftrainer bei Auto Eder Bayern) und Trainer Dan Lorang darauf angesetzt, einen genauen Plan für Marco zu erarbeiten", so der Bora-Teamchef, der ebenfalls einen Vertrag von mehr als zwei Jahren angeboten hatte.
"Ich denke, wir haben einen sehr klaren Weg vorgezeichnet, wie wir uns seine Entwicklung zum WorldTour-Spitzenfahrer vorstellen. Und so viel kann ich, glaube ich, sagen: Die wäre bei uns flacher gewesen, als er es sich gewünscht hat - also behutsam und langsam à la Pascal, Emu, Sam Bennett oder Patrick Konrad und Gregor Mühlberger. Die wurden alle bei uns Profis und haben sich toll entwickelt", so Denk.
"Aber er hat sich anders entschieden und das akzeptieren wir. Ich wünsche ihm alles Gute. Es gibt jedenfalls keine verbrannte Erde, und wer weiß: Vielleicht sieht man sich ja auch nochmal wieder. Die Tür ist von unserer Seite für die Zukunft sicher nicht zu." Erst vor wenigen Monaten wechselte Lennard Kämna, das andere große deutsche Rundfahrer-Talent von Sunweb nach Raubling, weil er wiederum dort die besseren Entwicklungschancen sieht.
Und sollten im Jahr 2020 tatsächlich noch Radrennen stattfinden, so wird Brenner dann auf der Jagd nach weiteren Siegen in der Junioren-Klasse auch noch die Farben der Raublinger tragen. Denn an einem großen Ziel arbeitet er auch mit ihnen noch: die Weltmeisterschaften in Aigle/Martigny, die ihm als starkem Kletterer entgegenkommen.