RSN-Rangliste, Platz 7: Anna Kiesenhofer

Eine Mathematikerin und das Wunder von Tokio

Von Peter Maurer

Foto zu dem Text "Eine Mathematikerin und das Wunder von Tokio"
Anna Kiesenhofer - Olympiasiegerin | Foto: Cor Vos

25.12.2021  |  (rsn) – Es war die Geschichte des Sportjahres 2021 und die größte Überraschung des Radsports in der olympischen Historie. Gerade einmal zwei Straßenrennen absolvierte Anna Kiesenhofer (cookina Graz) in dieser Saison. Bei den Österreichischen Meisterschaften belegte sie Rang sechs, einen Monat später feierte sie den Sieg im Olympischen Straßenrennen von Tokio.

Mit einer Attacke schon auf dem ersten Kilometer überraschte sie die Konkurrenz  und erreichte das Ziel am Fuji Speedway mit einem Vorsprung von über einer Minute auf die großen Favoritinnen wie Annemiek Van Vleuten oder Elisa Longo Borghini, die sich mit Silber und Bronze begnügen mussten. Knapp 100 Kilometer teilte sich die Österreicherin dabei mit ihren Fluchtgefährtinnen auf, die restlichen 41 absolvierte sie als Solistin.

Auch wenn Glück und die Unachtsamkeit der Kontrahentinnen Elemente ihres größten Erfolgs waren, so spielte auch ihre Herangehensweise an das Rennen eine große Rolle. Denn die in Mathematikerin war nicht nur perfekt vorbereitet und hatte sich ideal an die heißen Rennbedingungen angepasst, auch jeden Kilometer, jeden Höhenmeter hatte Kiesenhofer zuvor analysiert und eingespeichert. Mit mathematischer Effizient hatte sie ihre Energiezufuhr berechnet, kein getretener Wattwert war Zufall, sondern Teil eines großen Plans.

Und diese Planung war das Resultat eines Misserfolgs, denn Kiesenhofer scheiterte 2019 an der Qualifikation für Olympia. Ursprünglich wollte die Zeitfahrspezialistin in ihrer Lieblingsdisziplin nach Tokio reisen, doch wenige Sekunden fehlten auf dem Quotenplatz. Also musste die 30-Jährige ihre Herangehensweise ändern, sattelte auf das schwere Straßenrennen um.

Die Verschiebung der Spiele um ein Jahr spielten ihr dabei in die Karten, die gebürtige Niederösterreicherin schaffte die Transformation in eine Bergspezialistin, die dank der Zeitfahrqualitäten auch über einen langen Zeitraum harte Wattwerte treten konnte. Eine Grundlage, die Kiesenhofer zwar nicht zu einer Topfavoritin machte, aber sicherlich einige Rennleiter hätte hellhörig werden lassen müssen.

Österreichs erste Radsportmedaille seit 1896

Denn schon im Jahr zuvor kämpfte Kiesenhofer gegen die starke Spanierin Mavi Garcia um den Sieg bei der Ardeche-Rundfahrt. Auch in der österreichischen Qualifikation setzte sie sich souverän gegen Mountainbikerin Mona Mitterwallner durch, die später U23-Weltmeisterin im Cross-Country und Mountainbike-Marathonweltmeisterin wurde.

Am 25. Juli fuhr sich Kiesenhofer dann endgültig in die Geschichtsbücher, sorgte für die erste Olympische Radsportmedaille für Österreich seit 125 Jahren, eine, mit der nicht einmal die kühnsten Optimisten geträumt hätten. Doch Kiesenhofer hatte sich den Plan zurechtgelegt, früh zu attackieren und das Rennen aktiv zu gestalten, alles in der Hoffnung, die beiden Anstiege hinauf zur Doushi Road und dem Kagosaka Pass zu überstehen, um dann um ein gutes Ergebnis zu kämpfen.

Als sie ihre Fluchtgefährtinnen Anna Plichta aus Polen und die Israelin Omer Shapira dann 41 Kilometer vor dem Ziel stehen ließ und einen Vorsprung von über fünf Minuten Guthaben auf das Feld der Favoritinnen noch hatte, konnte man schon erahnen, dass ihr der goldene Coup gelingen würde.

Eine neue Welt geöffnet

Ungläubig und jubelnd zugleich erreichte sie nach fast vier Stunden Fahrzeit die Zielgerade am Fuji Speedway als Siegerin. Kurz darauf legte sie sich auf den heißen Asphalt und ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Kiesenhofer hatte das Unmögliche geschafft und sich eine völlig neue Welt geöffnet, dem oft im Schatten stehenden Frauenradsport nicht nur in Österreich, sondern auch weltweit eine völlig neue Bühne geöffnet. Mit den folgenden Medienterminen und Empfängen hatte sie möglicherweise schwerer zu kämpfe, als auf den 137 Kilometern zur Goldmedaille.

Im Oktober wurde Kiesenhofer zu Österreichs Sportlerin des Jahres gekürt. Mit großem Abstand bezwang sie die mit Weltmeistertiteln ausgezeichneten Wintersportlerinnen, das rot-weiß-rote Sommermärchen hatte Bestand. Nach ihrem Olympia-Triumph sattelte Kiesenhofer wieder auf das Zeitfahrrad um, belegte einen starken siebten Rang bei den Europameisterschaften und landete ein wenig unglücklich auf dem 17. Platz bei den Weltmeisterschaften.

Zu Saisonende folgte noch ein zweiter Rang beim Chrono des Nations, bezwungen nur von Europameisterin Marlen Reusser aus der Schweiz, mit der sich die Österreicherin nicht nur die Wahlheimat teilt, sondern auch die Geschichte einer Quereinsteigerin mit akademischem Hintergrund. Denn die beiden Doktorinnen, die bis vor wenigen Jahren Vollzeit neben ihrer Radsportkarriere arbeiten gingen, wirbelten den Frauenradsport gewaltig durcheinander in diesem Jahr.

Mehr Informationen zu diesem Thema

31.12.2021Eine glänzende Saison voller Wow-Momente

(rsn) – Marlen Reusser ist die Nummer 1 der deutschsprachigen Straßenfahrerinnen im Jahr 2021. Die Schweizer Meisterin, die im Winter von Alé BTC Ljubljana zum Spitzenteam SD Worx wechselt, hat si

31.12.2021Die Radsport-News-Jahresrangliste der Frauen 2021

(rsn) – Wie bei den Männern, so hat radsport-news.com auch unter den Frauen mit eigenem Punkteschlüssel die beste Straßenfahrerin des deutschsprachigen Raumes – Deutschland, Liechtenstein, Luxe

30.12.2021Spagat zwischen Bahn und Straße in goldener Perfektion

(rsn) – Besser geht kaum: Lisa Brennauer (Ceratizit – WNT) war international wohl eine der besten Radsportlerinnen des Jahres 2021. Die Allgäuerin glänzte gleich reihenweise mit Spitzenresultate

29.12.2021Mit viel Angriffslust den Durchbruch in die Weltspitze geschafft

(rsn) – Neun Jahre ist es her, dass Elise Chabbey (Canyon - SRAM) bei den Olympischen Spielen von London mit ihrem Kajak durch den Slalom-Parcours im Lee Valley White Water Centre kurvte. Die damals

28.12.2021Auch ohne den großen Sieg der nächste große Schritt

(rsn) – Der große Sieg ist ausgeblieben und vor allem die erste Jahreshälfte der Saison 2021 war für Liane Lippert (Team DSM) zum Vergessen. Doch am Jahresende kann die Friedrichshafenerin trotzd

27.12.2021Ausgerechnet bei den persönlichen Highlights im Graben gelandet

(rsn) – Die Saison 2021 war noch keinen Monat alt, da hatte Christine Majerus (SD Worx) schon ihren alljährlichen Sieg in der Tasche: Seit 2015 ist es der Luxemburgerin – abgesehen von der arg ve

26.12.2021Ein Tiefschlag nach dem Olympiasieg trübte das Gesamtbild

(rsn) – Mit dem Bahnvierer hat sie am 3. August in Izu Olympia-Gold gewonnen und mit der Mixed Staffel wurde Lisa Klein am 22. September Weltmeisterin auf der Straße. Doch trotz der beiden viel bej

24.12.2021Mit Offenheit und Mut auf der Bahn zurück zum Glück

(rsn) – Olympiasieg, EM-Titel und WM-Titel: Das Jahr 2021 war für Mieke Kröger ein goldenes – zumindest in seiner zweiten Hälfte. "Es war wie immer: Die Klassiker sollten mir leichtfallen, tun

23.12.2021Schwerer Giro-Sturz machte 2021 zum schwersten Jahr

(rsn) – Als Clara Koppenburg (Rally Cycling) am 23. Mai zu den Lagunas de Neila hinauffuhr, war alles perfekt: Die damals noch 25-jährige Lörracherin führte die Schlussetappe der zur Women´s Wor

22.12.2021Überragender Roubaix-Auftritt krönte einen starken Herbst

(rsn) – Bis in den Herbst hinein war die Saison 2021 für Franziska Koch (Team DSM) nichts, was einen vom Hocker gerissen hätte. Die 21-Jährige entwickelte sich solide weiter und leistete starke A

21.12.2021“Ungefähr so überrascht, als wäre ich Bundeskanzler geworden“

(rsn) – Ein verrücktes Jahr geht für Hannah Ludwig (Canyon - SRAM) zu Ende. Für die 21-Jährige ging es 2021 trotz eines völlig verkorksten Frühjahrs völlig überraschend zu den Olympischen Sp

20.12.2021In Roubaix erfüllte sich ein Traum und erwachte ein neuer

(rsn) – Von der Sonne Gran Canarias über das kalt-regnerische Leipzig und Amsterdam in den norwegischen Schnee: So sahen die letzten zwei Wochen von Romy Kasper aus. Und als "durchwachsen" beschrie

Weitere Radsportnachrichten

16.06.2025Walscheid nach Ellbogenbruch: “Die Hoffnung stirbt zuletzt“

(rsn) – Max Walscheid (Jayco – AlUla) hat zwei Tage nach seinem Sturz bei Dwars door het Hageland, bei dem er sich am Samstag den Ellbogen gebrochen hat, seine Hoffnungen auf einen Start bei der a

16.06.2025O’Connor legt im Kampf um Tour-de-Suisse-Titel vor

(rsn) – Ben O’Connor (Jayco – AlUla) hat im Kampf um die Gesamtwertung bei der Tour de Suisse (2. UWT) schon auf der 1. Etappe um Küßnacht einen großen Vorteil gegenüber seinen Klassement-Ko

16.06.2025Gegen den Frust konzentriert sich Evenepoel auf sich selbst

(rsn) – Remco Evenepoel (Soudal – Quick-Step) trug nach seinem deutlichen Sieg im Zeitfahren beim Critérium du Dauphiné das Gelbe Trikot. Vier Tage später, am Ende der Rundfahrt, wich der Trium

16.06.2025Buchmann und seine Formkurve klettern in Richtung Tour

(rsn) – Während Florian Lipowitz (Red Bull – Bora – hansgrohe) mit seinem Podestplatz und als neuer deutscher Hoffnungsträger für die Gesamtwertung bei großen Rundfahrten in der vergangenen

16.06.2025Pogacar sieht wenig Verbesserungsbedarf nach Dauphiné-Triumph

(rsn) – Nach dem Zeitfahren von Saint-Péray auf Etappe 4 gab es kurzzeitig etwas Hoffnung bei der Konkurrenz von Tadej Pogacar (UAE – Emirates – XRG), der Weltmeister sei in diesem Sommer schla

16.06.2025Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir über die wic

15.06.2025Das gesamte Peloton verabschiedet Bardet mit einem Spalier

(rsn) - Im letzten Rennen seiner Karriere schloss sich für Romain Bardet (Picnic – PostNL) beim Critérium du Dauphiné (2.UWT) in gewisser Weise ein Kreis. Der Franzose zeigte sich in seiner gewo

15.06.2025Vingegaard kennt seine Baustellen nach Tour-Generalprobe

(rsn) – Man kann Jonas Vingegaard und seinem Team Visma – Lease a Bike nicht vorwerfen, dass sie es nicht versucht hätten. In den Bergen waren alle Versuche gegen Tadej Pogacar (UAE – Emirates

15.06.2025Van der Poel verpasst Grün, aber freut sich über harte Woche

(rsn) – Ein winziges Pünktchen hat Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck) am Ende des 77. Critérium du Dauphiné (2.UWT) gefehlt, um das ab Etappe 3 von ihm getragene Grüne Trikot auch mit

15.06.2025Evenepoel: “Manchmal nehmen sie einem die Moral“

(rsn) - Das 77. Critérium du Dauphine (2.UWT) gab einen Vorgeschmack, was wir von der kommenden Tour de France erwarten dürfen. Gesamtsieger Tadej Pogacar (UAE – Emirates – XRG) und der Zweitpla

15.06.2025Highlight-Video der 1. Etappe der Tour de Suisse

(rsn) - Die 1. Etappe der Tour de Suisse ist zur Angelgenheit der Ausreißer geworden. Bei einsetzendem Regen ließen es die Top-Favoriten auf den Gesamtsieg größtenteils ruhig angehen, doch gleichz

15.06.2025Highlight-Video der 8. Etappe des Critérium du Dauphiné

(rsn) - Lenny Martinez (Bahrain Victorious) hat am Plateau du Mont-Cenis die Schlussetappe des Critérium du Dauphiné gewonnen und sich eine gute halbe Minute vor den großen Favoriten ins Ziel geret

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Tour de Suisse (2.UWT, SUI)
  • Radrennen Männer

  • Giro d`Italia Next Gen (2.2u, ITA)