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25.03.2023 | (rsn) – Wenn die Männer sich am Sonntagmittag nach knapp 100 Kilometern ihrem ersten Anstieg nähern, fällt bei Gent-Wevelgem (1.WWT) auch der Startschuss für die Frauen in Ypern. Zum zehnten Mal steht das Rennen für sie auf dem Programm, noch nie aber war es so lang. 162,5 Kilometer muss das Women's WorldTour-Peloton zurücklegen, bevor in Wevelgem die Ziellinie wartet und die Nachfolgerin von Vorjahressiegerin Elisa Balsamo (Trek – Segafredo) gefunden ist.
Balsamo steht auch diesmal mit der 1 auf dem Rücken wieder am Start, Top-Favoritin ist die Weltmeisterin von 2021 aber nicht. Denn sie trifft auf ein bestens aufgestelltes Team SD Worx, das sowohl Lokalmatadorin Lotte Kopecky als auch Sprint-Ass Lorena Wiebes und die Schweizerin Marlen Reusser mit dabei hat – drei mögliche Siegerinnen für drei unterschiedliche Szenarien.
Während bei den Männern der Ausgang des Rennens in den letzten Jahren immer offener wurde, deutet bei den Frauen rein statistisch sehr viel auf eine Massenankunft hin: Seit 2016 Chantal Blaak in Wevelgem triumphierte, kamen nur noch einmal weniger als 20 Frauen in der ersten Gruppe an. Das war bei der Herbstaustragung im Corona-Jahr 2020, als Jolien D'Hoore gewann.
Dementsprechend haben die meisten Teams ihre endschnellsten Frauen mit dabei, so dass auch Charlotte Kool und De-Panne-Siegerin Pfeiffer Georgi (beide Team DSM), Marta Bastianelli und Chiara Consonni (beide UAE Team ADQ) sowie Clara Copponi (FDJ – Suez), Daria Pikulik (Human Powered Health), Maria Giulia Confalonieri und Amalie Dideriksen (beide Uno-X) mit am Start stehen.
Doch die Statistik einmal beiseitegeschoben sprechen taktische Überlegungen auch für ein sehr angriffslustiges Rennen: Alle Teams wissen, dass im Falle einer Gruppenankunft das SD-Worx-Duo Wiebes und Kopecky die besten Karten hat. Deshalb dürfte die Konkurrenz vorher bei den zwei Überfahrten am Kemmelberg zur Attacke blasen. Die Frage ist nur, ob irgendjemand in der Lage sein wird, Kopecky hier abzuschütteln. Bei einem hart gefahrenen Rennen ist sie die Favoritin Nummer eins, bei einem Massensprint ihre Teamkollegin Wiebes.
Doch bei Gent-Wevelgem kommt auch ein drittes Szenario ins Spiel: Im flachen Finale auf den letzten gut 30 Kilometern vom Kemmelberg nach Wevelgem fand sich in den vergangenen Jahren stets ein großes Feld zusammen – und dann hagelte es Attacken. Die Helferinnen der besten Sprinterinnen waren ständig gefordert und mussten hinterherjagen. Findet sich in diesem Angriffsreigen einmal eine Gruppe, die gewillt ist, zusammenzuarbeiten, könnte das der Schlüssel zum Sieg gegen die SD-Worx-Übermacht sein.
Die Schwierigkeit ist dabei allerdings, eine Gruppe zu kreieren, in der von der niederländischen Spitzenmannschaft überhaupt niemand dabei ist. Denn die von Lars Boom und Anna van der Breggen am Sonntag geleitete Equipe neigt dazu, in Spitzengruppen das Mitarbeiten sein zu lassen, wenn die Konstellation nicht dem Traumszenario entspricht. Und kilometerlang Fahrerinnen wie Christine Majerus oder Lonneke Uneken, die selbst auch noch recht gut sprinten, oder Reusser mitzuschleppen, die mit ihrer Zeitfahrstärke im Finale immer noch für ein Solo gut wäre, ist gefährlich.
Das Rätsel, wie man SD Worx in Wevelgem knackt, es wird für die Konkurrenz ein sehr schweres werden. Eine große Hoffnung dabei ist der Wind: Da es zunächst gen Norden nach Veurne und dort über die windanfällige De Moeren-Passage geht, die am Donnerstag schon bei Brügge-De Panne das Peloton in Stücke riss, könnten Windstaffeln zum Tragen kommen – und das bei angekündigtem Dauerregen. Allerdings soll die Luft eher von Norden, als von Nordwesten blasen. Das würde Rückenwind statt Schiebekante bedeuten.
In diesem Fall dürfte es für eine Teilung des Feldes doch eher auf die Hellinge Scherpenberg, Baneberg, Monteberg und vor allem Kemmelberg ankommen, wo dann Fahrerinnen wie Katarzyna Niewiadoma (Canyon – SRAM) oder Grace Brown (FDJ - Suez) zur Attacke blasen könnten. Wirklich viele Spezialistinnen für die Hellinge stehen aber gar nicht am Start.