--> -->
27.09.2025 | (rsn) – Sie waren die wohl beste Mannschaft des Tages, und doch blieb das Schweizer Nationalteam im WM-Straßenrennen von Kigali nach 164 Kilometern ohne Medaille. Ein vierter Platz durch Elise Chabbey und Rang neun von Marlen Reusser standen am Ende zu Buche, obwohl beide nach dem Rennen das Gefühl hatten, sie hätten Weltmeisterin werden können. "Ich denke ich hätte heute die Beine gehabt", sagten beide - Reusser am Mikrofon von radsport-news.com und Chabbey beim Schweizer Fernsehen.
Dass sie trotzdem eben nicht Weltmeisterin wurden, sondern die Kanadierin Magdeleine Vallieres, und dass sie auch weder Silber noch Bronze erringen konnten, lag am Ende wohl vor allem an etwas zu langem Warten mit der eigenen Attacke und ein wenig vielleicht auch an der Art und Weise, wie die dann durchgezogen wurde.
In erster Linie aber schwammen den Favoritinnen, zu denen die beiden Schweizerinnen zweifelsfrei gehörten, die Felle davon, weil unter eben jenen Favoritinnen keine Einigkeit herrschte und man die Spitzenreiterinnen zu weit weg ließ beziehungsweise nicht konsequent genug verfolgte.
Bei den Spitzenreiterinnen waren nacheinander beziehungsweise teilweise sogar gleichzeitig auch Noemi Rüegg und Ginia Caluori sowie Jasmin Liechti dabei. Das ganze Schweizer Team fuhr ein überragendes Rennen und schien immer die Oberhand in diesem Rennen zu haben. Durch die Anwesenheit ihrer Teamkolleginnen an der Spitze sahen sich die Schweizerinnen im Feld auch nicht zur Führungsarbeit verpflichtet. ___STEADY_PAYWALL___
Noemi Rüegg prägte das Rennen für die Schweiz lange in der Spitzengruppe mit Mireia Benito aus Spanien. | Foto: Cor Vos
Genauso konnten aber auch die Italienerinnen, die Barbara Malcotti vorne hatten, und die Niederländerinnen, mit Riejanne Markus an der Spitze vertreten, argumentieren. Und weil sie das auch alle taten, arbeitete in der vorentscheidenden Phase fast nur Frankreich mit Juliette Labous, um den Abstand in Grenzen zu halten.
So ging es mit noch etwas mehr als einer Minute Rückstand auf Vallieres, Niamh Fisher-Black (Neuseeland), Mavi Garcia (Spanien), Riejanne Markus (Niederlande) und auch Antonia Niedermaier (Deutschland) auf die letzten 15 Kilometer von Kigali. Reusser attackierte in die Schlussrunde hinein, kam mit 1:02 Minuten Rückstand über den späteren Zielstrich am Convention Center und schien zu diesem Zeitpunkt durchaus auch noch Siegchancen zu haben.
"Mein Angriff war erstmal für mich selbst. Ich dachte: Jetzt oder nie! Ich bin eine Zeitfahrerin, machen wir ein Einzelzeitfahren. Vielleicht schaffe ich auf eine Runde zwei Minuten gutzufahren – let's try!", lachte sie im Interview mit RSN nach dem Rennen. Sie war der Annahme, sie habe 1:45 Minuten Rückstand gehabt. Ohne Funk musste man sich auf den Blick auf die Anzeigetafel verlassen, und nach 150 Kilometern kann man eben auch mal über Kreuz schauen.
Marlen Reusser attackiert in die Schlussrunde hinein. Die gerade erst eingeholte Barbara Malcotti zieht nochmal im Windschatten mit. | Foto: Cor Vos
So oder so: Reusser versuchte es, sie wollte mit der Brechstange nun nach vorne fahren und das Ruder im letzten Moment noch herumreißen. Kurz nach der Zeitfahr-Weltmeisterin lancierte auch Kim Le Court (Mauritius) noch eine Attacke aus der Favoritinnengruppe heraus und an ihrem Hinterrad folgte Chabbey. Das Duo brauchte rund drei Kilometer, um zu Reusser und der von vorne zurückgekommenen Barbara Malcotti (Italien) vorzufahren – oder besser: Le Court brauchte drei Kilometer, Chabbey saß nur an deren Hinterrad.
Acht Kilometer vor Rennende schienen die Schweizerinnen das Rennen vollständig in ihrer Hand zu haben: Reusser und Chabbey fuhren gemeinsam mit Le Court und der ermüdeteren Malcotti nur 25 Sekunden hinter den fünf Spitzenreiterinnen um den Golfplatz von Kigali herum und auf den nach selbigem benannten 800 Meter langen 8-Prozent-Anstieg zu.
"Als Elise mit Kim und sonst niemand zu uns kam, das war erstmal super cool. Aber dann mussten wir entscheiden, was wir tun und haben uns gegenseitig gefragt, wie wir uns fühlen: 'Ja, ich mich gut – ich mich auch gut'", erzählte Reusser. Da sie selbst gerade ein hartes Solo gefahren war, während die französischsprachige Landsfrau sich am Hinterrad von Le Court vorbringen ließ, setzte die Schweiz nun alles auf die Karte Chabbey. Reusser gab nochmal bis zum Golfplatz-Anstieg Vollgas, verkürzte den Rückstand zur Rennspitze bis auf 20 Sekunden und lancierte dann Chabbeys Attacke.
"Ich denke die Strategie war eigentlich gut. Nur was ich nicht so ganz hinkriege ist, warum diese 20 Sekunden nicht zu 0 werden konnten", rätselte Reusser nach dem Rennen und erzählte: "Als Elise ging, war ich sicher: Jetzt haben wir's! Sie ist ja wie eine Bombe dort hoch und ich hab' schon gelächelt, weil ich 100 Pro sicher war: Elise hat das Ding in der Tasche! Ich war auch wirklich, wirklich happy."
Doch im Ziel musste Reusser feststellen: Sie hatten es eben doch nicht. Chabbey wurde 41 Sekunden hinter Vallieres und 14 Sekunden hinter dem dritten Podestplatz von Garcia Vierte – die Holzmedaille. "Vielleicht haben wir etwas zu lange gewartet", überlegte der Schweizer Frauen-Nationalcoach Edi Telser nach dem Rennen. "Sie kommt bis auf zwölf Sekunden ran, aber das ist halt etwas zu wenig gewesen."
Tatsächlich verkürzte Chabbey ihren Rückstand zur Spitze im Golfplatz-Anstieg nach ihrer Attacke zunächst ein wenig. Doch nachdem sie die vorne zurückfallenden Niedermaier über- und Markus eingeholt hatte, ging die Lücke nach vorne langsam wieder etwas weiter auf. Was dabei auffiel: Chabbey wollte sich von Markus in der Führungsarbeit ablösen lassen, die nach längerer Flucht ermüdete Niederländerin aber verweigerte das.
Elise Chabbey kommt als Vierte ins Ziel des WM-Straßenrennens. | Foto: Arne Mill / Swiss Cycling
Vielleicht hat Chabbey auch da einen Tick zu lange gehadert, anstatt allein durchzuziehen. Denn dass sie noch mehr Reserven hatte, als Markus, schien klar und wurde dann im Kopfsteinpflasteranstieg von Kimihurura drei Kilometer vor Schluss auch sofort deutlich. Dort ließ sie die Niederländerin mit dem ersten Antritt schon stehen. Allerdings standen da auch schon wieder 25 Sekunden Rückstand zur Spitze auf der Uhr – und hinauf zum Ziel war Vallieres dann auch nochmal gut 15 Sekunden schneller als die Schweizerin.
Ob Chabbey die Kanadierin ohne die kurzen Diskussionen mit Markus am Ende geschlagen hätte, scheint daher fraglich. Silber oder zumindest Bronze wäre wohl drin gewesen. Für den WM-Titel jedoch hätte es wohl tatsächlich eine frühere Attacke durch das Schweizer Kapitänsduo gebraucht. Oder, wie Le Court im Gespräch mit RSN meinte, auch eine andere Fahrweise nach Reussers Vorstoß in der Schlussrunde selbst.
"Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum Elise mir nicht geholfen hat. Sie meinte nur: 'Meine Teamkollegin ist vor uns.' Und wenn Marlen in der Spitzengruppe gewesen wäre, hätte ich das auch verstanden. Aber das war sie nicht. Es gab immer noch eine Gruppe viel weiter vorne. Und ich glaube, wenn Elise mir geholfen hätte, hätten wir beide Kraft sparen und schneller zu Marlen kommen können und dann vielleicht alle zusammen auch besser an die Spitze ranfahren können", analysierte die 29-Jährige.
"Sie wären dann immer noch zu zweit gewesen gegen mich. Aber sie waren dagegen, meinten ich sei die Stärkste, ich sollte Tempo fahren. Die Taktik war, finde ich, sehr dumm. Am Ende habe ich das Podium verloren, aber sie auch."
Vielleicht wäre längere Zusammenarbeit tatsächlich besser gewesen, um zu dritt die Spitzenreiterinnen erstmal einzuholen, anstatt unten am Golfplatz alles auf die Karte Chabbey zu setzen, mit ihr hart zu attackieren und sie dann allein fahren zu lassen.
Doch vielleicht war es auch einfach zu spät. Denn dass Vallieres ihren Vorsprung im Schlussanstieg nochmal ausbauen konnte zeigte schließlich auch: Der Kanadierin half es, dass sie schon länger vorne war und in der Schlussrunde nicht mehr ganz so schnell fahren musste, wie die, die von hinten Zeit aufzuholen hatten. In der Höhenlage von Kigali schließlich fällt das längere Fahren am Limit eben mehr ins Gewicht, als auf Meereshöhe und so ist das Aufholen dort auch härter, als anderswo.
Diese Lehre sollten sich auch die Männer für den Sonntag hinter die Ohren schreiben.