Interview zur Tour de France

Holczer: Die Fahrer sind ehrgeiziger als der Chef

04.07.2007  |  (Ra) – Obwohl Hans-Michael Holczer am Sonntag den ersten nationalen Straßenmeistertitel für sein Team Gerolsteiner feiern konnte, war die Freude nicht ungetrübt. Die Schlagzeilen lieferte nämlich Jörg Jaksche im seinem Doping-Geständnis. Das wiederum kann Auswirkungen auf die Starterliste der Tour de France haben, zu der Gerolsteiner mit einem jungen, ambitionierten Team antritt. „Ein Etappensieg würde mich glücklich nach Hause fahren lassen“, so Holczer im Gespräch mit Radsport aktiv.

Herr Holczer, Fabian Wegmann holt den ersten Meistertitel für Gerolsteiner und alle reden über Jörg Jaksche und sein Doping-Geständnis. Können sie sich über diesen Sieg unbeschwert freuen?

Holczer: Sicherlich ist das Thema Doping derzeit so beherrschend, dass es nicht nur das Tagesgeschäft in den Hintergrund drängt, sondern auch so eine außergewöhnliche Geschichte wie den Sieg von Fabian Wegmann. Diesem Titel bin ich 20 Jahre hinterhergerannt. Aber als Fabian im Ziel war, hatte ich gar keine Kraft zum Jubeln. Die Freude kam dann aber später.

Was hat sie am Jaksche-Geständnis am meisten erschüttert?

Holczer: Zwei Dinge: einmal die exakte Beschreibung der Dopingpraktiken, die teilweise wirklich ekligen Details der ganzen Geschichte. Zum anderen die Methodik, die dahinter steckte. Wir kennen ja bereits die Schilderungen von Jesus Manzano, der Ähnliches von seinem früheren Team Kelme berichtet. Ich hätte aber nie gedacht, dass dass es bei einigen anderen Teams offenbar genauso zuging.

Befürchten Sie nicht, dass die Tour in diesem Jahr unter ähnlich chaotischen Umständen wie 2006 starten wird?

Holczer: Ich hatte sogar befürchtet, dass sie unter schlimmeren Umständen startet. Aber in den letzten Monaten hat sich ja Einiges getan. Im vergangenen Jahr waren die, ich nenn sie mal „außerordentlichen Umstände“ ja dadurch verursacht worden, dass wir im Rahmen der „Operacion Puerto“ juristisch abgesicherte Unterlagen aus Spanien erhielten, aufgrund derer reagiert werden konnte. Allerdings kann sich die Situation, nicht zuletzt auch in Folge von Jaksches Geständnis, auch stündlich ändern.

Winokurow wird von Jaksche indirekt des Dopings beschuldigt, Valverde soll Valv./Piti auf der Fuentes-Liste sein. Werden in diesem Jahr auch wie 2006 zwei der größten Favorten noch ausgeschlossen?

Holczer: Dazu kann ich überhaupt nichts sagen. Ich kann auch die juristische Wirksamkeit von Jaksches Aussagen nicht bewerten. Der Unterschied zum letzten Jahr ist ja der, dass derzeit nach meinem Kenntnisstand nichts Bewertetes auf dem Tisch liegt. Nur die UCI und die Tour-Organisatoren können Fahrer auszuschließen. Die Teams haben da keine Exekutivgewalt.

Glauben Sie, dass am 7. Juli in London – bis auf das nicht berücksichtigte Team Unibet – alle ProTour-Teams am Start stehen werden?

Holczer: Eine Antwort darauf wäre zu spekulativ. Ich habe keine Ahnung, was im Hintergrund läuft. Die Teams werden ihren Teil der Hausaufgaben erledigen. Am Donnerstag auf der Sitzung der Profi-Rennställe geht es etwa um die Frage, ob mehrere Mannschaften aus der AIGCP ausgeschlossen werden. Das hat aber keinen Einfluss darauf, ob diese Teams bei der Tour starten werden. Ich kann für meine Mannschaft nur sagen, dass wir keine Mitteilung von der UCI bekommen haben, wonach ein Gerolsteiner-Fahrer bei den Trainingskontrollen aufgefallen sei.

Mit welchen Zielen tritt Gerolsteiner bei der Tour an?

Holczer: Unsere beiden Fahrer für’s Klassement sind Bernhard Kohl und Markus Fothen. Bernhard schielt auf das Weiße Trikot und Markus möchte in der Gesamtwertung seinen 15. Platz aus dem letzten Jahr verbessern. Für Gruppen, vor allem auf schwereren Etappen, haben wir Fabian Wegmann und Stefan Schumacher. Und bei den Sprints schauen wir mal, ob Heinrich Haussler und Robert Förster für eine Überraschung sorgen können. Wir haben eine sehr junge Truppe am Start, was die Geschichte für mich sehr interessant macht. Wir werden die Fahrer aber auf keinen Fall mit Erwartungen überhäufen, an denen sie zerbrechen könnten.

Haben nicht die Fahrer selber diese hohen Erwartungen?

Holczer: Da sind die Fahrer ehrgeiziger als der Chef. Ich bin vorsichtig mit dem Formulieren von Zielen. Bei der Tour ist jede Etappe heiss umkämpft. Ein Etappensieg würde mich schon glücklich nach Hause fahren lassen.

Schumacher, Wegmann, Haussler und Förster wollen Etappensiege, Bernhard Kohl hat es auf das Weiße Trikot des besten Jungprofis abgesehen und Markus Fothen will einen Platz in den Top Ten. Ist das nicht zu viel an Ambitionen für ein Team mit einem Durchschnittsalter von 26,7 Jahren?

Holczer: Nein, denn kein Fahrer wird dem anderen im Weg stehen. Wir haben unsere Leute für’s Klassement und die für die Etappen. Wir gehen ohne einen eindeutigen Laeder ins Rennen, jeder bekommt seine Chance. Und sollten wir tatsächlich in die Verlegenheit kommen, ein Trikot zu verteidigen, dann werden wir uns schon was einfallen lassen.

Sie haben mit Robert Förster und Heinrich Haussler Sprinter im Team, für die jeweils ein Anfahrer (Wrolich und Krauss) nominiert wurde. Kann so eine Doppelspitze funktionieren?

Holczer: Förster und Haussler sind ganz unterschiedliche Typen. Förster hat gerne zwei, drei Anfahrer um sich, während Haussler sich lieber allein durchschlägt. Für Förster haben wir Sven Krauss nominiert, weil die beiden sich blind verstehen, wie sie schon beim Giro gezeigt haben. Wrolich wird von seiner Erfahrung profitieren. Wir brauchten noch einen Mann, an dem sich die Jungen im Team orientieren können. Paco ist dafür genau der Richtige.

Wann werden Fothen und Schumacher um den Toursieg mitfahren können?

Holczer: Auch das ist mir zu spekulativ. Wir lassen die Kirche im Dorf und warten mal ab, wie sich die beiden entwickeln werden.

Werden wir 2007 einen sauberen Toursieger erleben?

Holczer: Lassen Sie es mich so sagen: Es wäre nicht realistisch, Illusionen über eine absolut saubere Tour zu schüren, analog gesehen kann das keine Sportart. Aber nach meiner Einschätzung wird sie deutlich sauberer sein.

Mit Hans-Michael Holczer sprach Matthias Seng

Mehr Informationen zu diesem Thema

28.08.2009Rapp: 2010 wohl keine Deutschland Tour

(rsn) - Nachdem ARD und ZDF in diesem Jahr doch von der Tour de France berichtet hatten, war auch die für 2009 abgesagte Deutschland Tour wieder in den Mittelpunkt von Spekulationen gerückt. Im Inte

20.08.2009"Für ganz vorne fehlte noch ein bisschen was"

(rsn) – Nach schwachem Saisonstart hat Gerald Ciolek (Milram) in den vergangenen Monaten beständig gute Leistungen gezeigt, auch wenn es bisher erst zu einem Sieg reichte. Im Interview mit Radsport

20.04.2009"Ich bin froh, dass im Radsport soviel kontrolliert wird"

(sid) - Linus Gerdemann gehört zu den deutschen Hoffnungsträgern bei der diesjährigen Tour de France. Im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID) spricht der Milram-Kapitän über seine F

19.03.2009"Wir sind als böse Ketzer dargestellt worden"

(sid) - Der wochenlangen Schlammschlacht folgt der Showdown im Nobelhotel: BDR-Präsident Rudolf Scharping stellt sich am Samstag auf der Bundesversammlung des Bundes Deutscher Radfahrer zur Wiederwah

17.03.2009Claußmeyer: "Wir leben von unserer Stärke als Team"

(rsn) - Aus dem Continental-Team Sparkasse wurde zur neuen Saison das Team Nutrixxion Sparkasse. In Gespräch mit Radsport News erklärte Teamchef Mark Claußmeyer die Zusammensetzung des Teams, die S

04.03.2009„Letztendlich geht es immer um den Erfolg“

(rsn) – Mit neuem Hauptsponsor und einigen namhaften Neuzugängen wie Sebastian Sielder und René Haselbacher ist das österreichische Team Vorarlberg-Corratec in die neue Saison gegangen. Im Interv

26.02.2009„Kein Sieg im letzten Jahr – das hat mich gewurmt“

(rsn) – Paul Martens steht in seiner zweiten Saison beim niederländischen Rabobank-Team. Im letzten Jahr gelang dem 25-Jährigen trotz guter Leistungen kein Sieg. Das soll in dieser Saison anders w

24.02.2009„Ich habe mich als Co-Kapitän sehr wohl gefühlt“

(rsn) – Als Vierter der Andalusien-Rundfahrt zeigte Martin Velits (Milram) schon früh in der Saison sein großes Potenzial. Im Interview mit Radsport News sprach der 24-jährige Slowake über seine

13.02.2009"Schlimmer kann es nicht mehr kommen"

(rsn) - Der Australier William Walker, 2005 Vize-Weltmeister in der U23-Klasse, zählt zu den großen Talenten des Radsports. Das konnte der 23-Jährige in den letzten beiden Jahren im Rabobank-Trikot

11.02.2009"Ich will mich 2009 für höhere Weihen empfehlen"

(rsn) - Christian Müller (26) galt in seiner U23-Zeit als eines der größten deutschen Zeitfahrtalente. Nach einer guten Neo-Profi-Saison 2005 bei CSC lief in den folgenden drei Jahren nur wenig zus

07.02.2009"Wir sind eines der jüngsten Continental-Teams"

(rsn) - Das Bochumer Continental-Team Vlassenroot startet 2009 unter dem Namen Seven Stones. Im Gespräch mit Radsport News erklärt der Sportliche Leiter Lars Diemer, was hinter der Namensänderung s

05.02.2009"In Topform zu den Ardennenklassikern"

(rsn) - Robert Gesink ist das größte niederländische (Kletter-)Talent seit vielen Jahren. 2008 machte der 22-jährige Rabobank- Profi in mehreren großen Rennen mit Spitzenplatzierungen bereits von

Weitere Radsportnachrichten

28.03.2024Die Aufgebote aller Teams zur Flandern-Rundfahrt der Männer

(rsn) – Der Ostersonntag wirft seine Schatten voraus: Am 31. März versammelt sich das WorldTour-Peloton in Antwerpen zum Start der 270,8 Kilometer langen Ronde van Vlaanderen. Das Heiligtum des bel

28.03.2024Märkl will auch bei der Ronde “vor das Radrennen“

(rsn) – Wie schon beim E3 Saxo Classic schaffte Niklas Märkl (DSM Firmenich – PostNL) auch bei Dwars door Vlaanderen den Sprung unter die Ausreißer des Tages. Doch während sein Fluchtbegleiter

28.03.2024Trotz Sturz: Pedersen ist für Ronde-Start zuversichtlich

(rsn) – Ausgerechnet kurz vor der Flandern-Rundfahrt, dem Höhepunkt der flämischen Klassikersaison, wurde Lidl – Trek mächtig gebeutelt. Bei Dwars door Vlaanderen waren mit Gent-Wevelgem-Sieger

27.03.2024Nach Van-Aert-Crash: Kanarieberg hat bei Klassikern wohl ausgedient

(rsn) – Positionskampf bei Höchstgeschwindigkeiten, auf breiter Straße abschüssig in Richtung Ronse: Das waren die Bilder, die die flämischen Klassiker auf der N48 in der Anfahrt zum engen Recht

27.03.2024Teamchef Stam bestätigt: Vollering verlässt SD Worx

(rsn) – Demi Vollering wird SD Worx – Protime nach der Saison 2024 verlassen. Das bestätigte Sportdirektor Danny Stam am Mittwochmittag gegenüber GCN. "Ja, das ist definitiv sicher", sagte der N

27.03.2024Rennarzt-Wagen baut Unfall mit Soudal-Teamfahrzeug

(rsn) – Der Unfall zweier wichtiger Begleitfahrzeuge im Männerrennen von Dwars door Vlaanderen hat am Mittwoch für eine halbstündige Unterbrechung des Frauenrennens gesorgt. Da die Frauen hinter

27.03.2024Van Aert erleidet beim Dwars-Crash multiple Brüche

(rsn) – Die Ronde van Vlaanderen wird am Sonntag ohne ihren großen Lokalmatador Wout Van Aert (Visma – Lease a Bike) über die Bühne gehen. Der 29-jährige Belgier war am Mittwoch bei Dwars doo

27.03.2024Politt entgeht mit Glück van Aerts Sturz bei Dwars door Vlaanderen

(rsn) – Zweimal landete Nils Politt (UAE Team Emirates) schon in den Top Ten bei Dwars door Vlaanderen, diesmal schrammte er mit dem zwölften Rang knapp vorbei. Angesichts des schweren Sturzes gut

27.03.2024Küng: “Mehr als Platz zwei wäre nicht möglich gewesen“

(rsn) – Immer gut dabei war Stefan Küng (Groupama – FDJ) bei seinen Renneinsätzen in diesem Frühling, aber ein richtig zählbares Ergebnis fehlte dem Schweizer bislang noch. Doch mit seinem dr

27.03.2024Vos gewinnt Dwars door Vlaanderen und feiert 250. Sieg

(rsn) – Marianne Vos (Visma – Lease a Bike) hat die siebte Austragung von Dwars door Vlaanderen (1.Pro) gewonnen. Nach Platz 3 im Vorjahr setzte sie sich im Zweiersprint gegen Shirin van Anrooij (

27.03.2024Visma feiert mit Jorgenson, muss aber Van-Aert-Aus verschmerzen

(rsn) – Obwohl Matteo Jorgenson (Visma – Lease a Bike) die 78. Ausgabe von Dwars door Vlaanderen als Solist gewonnen hat, verlebte seine Mannschaft einen schwarzen Tag. Wout van Aert (Visma – Le

27.03.2024Van Aert und Stuyven nach Sturz bei Dwars door raus

(rsn) – Ein Sturz an der Spitze des Hauptfeldes hat für ein großes Favoritensterben bei Dwars door Vlaanderen (1.UWT) gesorgt. 67 Kilometer vor dem Ziel erwischte es auf breiter Straße bei trocke

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine