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17.07.2013 | (rsn) - Nachdem die Tour in den vergangenen Jahren stets im Einzelzeitfahren entschieden wurde, wollte Christian Prudhomme für die 100. Ausgabe seines Rennens dafür sorgen, dass sich das ändert. Deshalb hat die ASO den letzten „Kampf gegen die Uhr“ in diesem Jahr nicht nur so weit nach vorne gezogen wie erst zwei Mal in der Geschichte des Rennens (1948 und 1975), sondern auch so angelegt, dass die Etappe den Kletterern entgegenkommt. Prudhomme sagt über den Kurs, dass er „der schwerste ist, den Jean-Francois Pescheux je entworfen hat“. Trotzdem oder gerade weil die Zeitfahrstrecke zwischen Embrun und Chroges aber so bergig ist, wird der heutige Tag sehr wichtig sein, denn hier kann man sehr viel Zeit verlieren.
Die Strecke: 32 km, bergiges Einzelzeitfahren, 2 Zwischenzeiten, 2 Berge der 2. Kategorie
Ja, die heutige 17. Etappe ist ein Einzelzeitfahren. Aber nein, die reinen Rouleure werden den Sieg wohl kaum unter sich ausmachen. Viel zu schwer ist der 32 Kilometer lange Kurs zwischen Embrun am Nordost-Ende des Stausees Serre-Poncon und dem 2.500-Seelen-Dorf Chorges im Nordwesten.
Gleich nach dem Start in Embrun beginnt die Straße auf den ersten 6,5 Kilometern mit durchschnittlich sechs Prozent zur Côte de Puy-Sanières anzusteigen. Es folgt eine ebenso lange und sehr kurvige Abfahrt zurück ans Wasser, die sofort in die zweiten Steigung mündet: 6,9 Kilometer bei 6,3 Prozent geht es nun hinauf zur Côte de Réallon bei Kilometer 20.
Oben angekommen, bleibt es kurz flach, bevor dann die rund zehn Kilometer lange gemäßigte Abfahrt in den Zielort Chorges folgt - weniger kurvig als die erste Abfahrt, aber immer noch auf kleinen Sträßchen und somit technisch anspruchsvoll wie der gesamte Kurs. „Die Abfahrten sind so anspruchsvoll, dass ich überlege, ob es überhaupt Sinn ergibt, das Zeitfahrrad herauszuholen“, sagte Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin nach seiner Streckenbesichtigung Mitte Juni.
Übrigens: Am Ende beider Anstiege befinden sich die Zwischenzeit-Messpunkte, an denen auch die beiden Bergpreise (jeweils 2. Kategorie) des Tages vergeben werden. Der Fahrer, der die Anstiege heute also jeweils in der schnellsten Zeit absolviert, bekommt Punkte für die Bergwertung. Ein ähnliches Szenario gab es schon einmal vor 13 Jahren im Prolog, als eine 950 Meter lange Steigung isoliert gemessen wurde und der dort Schnellste am Ende des Tages das Bergtrikot bekam: Marcel Wüst.
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Die Szenerie des Tages könnte malerischer kaum sein. Der Serre-Poncon ist einer der größten und wichtigsten Stauseen Europas (Fassungsvermögen: mehr als eine Milliarde Kubikmeter Wasser), und das Elektrizitätswerk in der 124 Meter hohen Staumauer am Südwestende des Sees produziert zehn Prozent des jährlich in Frankreich durch Wasserkraft erzeugten Stroms. Durch seine enorme Länge aber vergisst man sehr schnell, dass es sich um einen Stausee handelt, wenn man sich im Osten dem heutigen Startort Embrun nähert. Wassersport wird hier groß geschrieben, und das türkisfarbene Wasser sowie das mediterrane Klima, das Embrun den Spitznamen „Klein-Nizza“ eingebracht hat, wecken unweigerlich Urlaubsstimmung.
Beeindruckend ist auch die nur wenige Meter über dem Wasser gebaute Brücke der N94. Wenn man sie überquert, bekommt man leicht das Gefühl, man würde direkt auf dem Wasser fahren. Embrun ist übrigens eine Stadt des Ausdauersports. Jährlich finden hier ein Marathon und Mitte August auch ein großer Langdistanz-Triathlon statt. Ein im Radsport berühmter Einheimischer des heutigen Startorts ist Eric Boyer, der bis kurz vor der Tour de France 2012 noch Teamchef des Cofidis-Teams war.
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Während Chorges völliges Neuland für die Tour de France ist, war Embrun immerhin schon drei Mal Etappenort der Frankreich-Rundfahrt. Und auch wenn es jeweils nur Etappenstarts waren, die Embrun zelebrieren durfte, so stand die Stadt ein Mal doch stark im Blickpunkt. 2008 nämlich begannen gleich zwei Etappen innerhalb von drei Tagen am Ufer des Serre-Poncon. Ursprünglich sollte nur die 17. Etappe, auf der Carlos Sastre in L’Alpe d’Huez das Gelbe Trikot übernahm, hier starten. Doch drei Monate vor Beginn der Frankreich-Rundfahrt sah sich die ASO gezwungen, auch den Start der 15. Etappe von Digne-les-Bains nach Embrun zu verlegen. Der Grund: Steinschlaggefahr machte die Überquerung des Col de Larche zu gefährlich, und so legte man die Strecke ein Tal weiter in den Norden.
Es ging nun über den 2.744 Meter hohen Col Agnel nach Prato Nevoso, wo Simon Gerrans als Ausreißer siegte und Bernhard Kohl den anderen Favoriten einige Sekunden abnahm, um in der Gesamtwertung vorübergehend auf Rang zwei vorzurücken. Über die Leistungen des Österreichers staunte im Juli die ganze Radsport-Welt, bis der für Hans-Michael Holczers Gerolsteiner-Team fahrende Kletterer nach der Tour des Dopings überführt wurde.
Die Radsport-News-Prognose: Froome der klare Favorit
Auch wenn die ASO den sehr guten Zeitfahrern in diesem Jahr nicht zu sehr helfen wollte und den zweiten Kampf gegen die Uhr deshalb bergig gestaltet hat, so könnte die Realität die Verantwortlichen der Tour-Organisation im Jahr 2013 erneut einholen. Denn mit Chris Froome steht ein Top-Favorit am Start, der zwar im Flachen schon stark ist, auf bergigen Zeitfahrkursen aber erst recht über sich hinauswachsen kann. Der Brite dürfte heute alles in Grund und Boden fahren und gegen die reinen Kletterer trotz der schweren Strecke viel Boden gutmachen.