Startgruppen & Marshalls, Aero-Lenker-Verbot

Gravel-Rennen: Verändern immer mehr Regeln den Schotter-Sport?

Von Wolfgang Preß

Foto zu dem Text "Gravel-Rennen: Verändern immer mehr Regeln den Schotter-Sport?"
Ian “The Boz“ Boswell siegt beim Unbound 2021 | Foto: Life Time Events

09.01.2023  |  (rsn) - "Graveln macht einfach so viel Spaß. Die Events (...) geben Jedermännern und -frauen die perfekte Möglichkeit, gemeinsam mit den Profis anzutreten. Jeder fährt die gleiche Strecke, erträgt die gleichen Bedingungen und nimmt die gleichen Herausforderungen an, um ein unvergessliches Erlebnis zu haben." Das hat Ian "The Boz" Boswell gesagt, als er 2020 nach zehn Jahre bei Trek, Sky und Katusha-Alpecin seine Straßenkarriere beendete und mit dem “Frontiers Campaign Team“ begann, Gravel- und Mountainbike-Marathons zu fahren.

Neben den gleichen Startbedingungen für alle ist das "anything goes"- und "laissez faire"-Ethos vielen in der Gravel-Commuity besonders wichtig. Doch beides könnte bald anders werden. Das "Unbound Gravel", eines der ältesten und für viele das wichtigste Schotterrennen weltweit, führt für die kommende 23. Ausgabe Regeln ein: Die Elite startet getrennt vor den Amateuren, auf geteerten Abschnitten patroullieren Road Marshalls, um die Einhaltung der Straßenverkehrsordnung sicherzustellen, und Aero-Lenker werden verboten - letzteres kurioserweise nur für die Elite.

Unbound: Elite-Männer starten zehn Minuten vor dem Hauptfeld

Das "Unbound Gravel" begann 2006 als "Dirty Kanza" mit 34 Starter/innen, mittlerweile sind es rund 4000 Fahrer/innen, die sich immer am ersten Juni-Wochenende durch die Flint Hills in Kansas/ USA fräsen. Da ist nachvollziehbar, dass die Veranstalter den Start auf der nicht besonders breiten Hauptstraße von Emporia etwas entzerren: Die Elite-Männer starten auf der 200-Meilen-Strecke zehn Minuten vor dem Feld, zwei Minuten später die Elite-Frauen.

Das verkündete Kristi Mohn, Marketing-Managerin von Unbound, vergangene Woche in Ian Boswells Podcast "Breakfast with Boz". In einem schriftlich nachgelieferten Statement nannte Kimo Seymour, Präsident des "Unbound"-Veranstalters Life Time Events, mehr Sicherheit als Grund - und deutete an, dass die Regelung auch für die 100-Meilen-Runde kommen könnte.

In Sachen Verbot von Aero-Lenkern sind die Schotter-Freunde aus Kansas jedoch nicht die einzigen: Sie sind bei diversen vor allem größeren Gravel-Races nicht erlaubt, was bisher auch kaum Diskussionen zur Folge hatte. Ist es doch nicht wirklich zu bestreiten, dass das Liegen auf Aerobars in großen Gruppen und auf schlechten Wegen ein Sicherheitsproblem ist: Bis man in kritischen Situationen von den Bars an die Bremsen kommt, hat es oft schon gescheppert.

Kurios am Aerobar-Verbot beim "Unbound" ist allerdings, dass es nur für die Elite gilt - diejenigen Fahrer/innen, die noch am meisten Rennerfahrung im Starterfeld haben. Die Veranstalter begründen es damit, da hier das Tempo deutlich höher sei. Die Unfallgefahr dürfte damit jedoch kaum abnehmen, wenn im Hauptfeld weiterhin mitten im Getümmel und auf ruppigem Untergrund auf dem Lenker gelegen werden darf. Die Veranstalter setzen hier auf die Eigenverantwortung der Fahrer...

Startgruppen sollen Team-Arbeit verhindern

Der Grund für einen separaten Start der Elite dürfte aber nicht nur in der Sicherheit liegen. Im vergangenen Sommer gewann Lauren de Crescenzo zum zweiten Mal das SBT GRVL in Steamboat Springs in Colorado - vor allem, da sie sich erneut von ihren männlichen Team-Kollegen unterstützen ließ, mit Windschatten, frischen Trinkflaschen und Nahrung. Andere Teilnehmer/innen mussten auf dem 142-Meilen-Kurs diverse Male ihre Bidons selbst auffüllen, mit teilweise nicht wenig Wartezeit an den Brunnen.

De Crescenzos Verhalten hat zu diversen Diskussionen geführt, ob das bei einem "self supported race" noch ok ist; nach den (wenigen) Regeln des SBT war es nicht verboten. Die ambitionierten Elite-Fahrer/innen in einer eigenen Gruppe vorab starten zu lassen, könnte Teamarbeit weitgehend verhindern (soweit das Team zur Elite gehört).

Der Veranstalter Bobby Wintle (ua The Mid South) sagte damals dem Online-Magazin VeloNews, dass es eine heikle Situation sei, "wenn Fahrer gegen den ungeschriebenen Verhaltenskodex verstoßen, ohne tatsächlich Regeln zu verletzen. Aber es wäre irrational, deswegen Regeln einzuführen, die nur einen winzigen Prozentsatz der Starter betreffen. Das ist das große Fragezeichen. Der Wunsch nach Gleichbehandlung kommt von den Rennfahrern - aber sie sagen nicht, dass sie das wollen, was etwa die UCI zu bieten hat. Es gibt einen anderen Weg... Das Schöne an Gravel ist, dass wir sagen können, wir sind uns nicht sicher. Wir werden mit neuen Umständen, neuen Informationen, neuen Fragen und neuen Herausforderungen konfrontiert, und wir müssen nicht sofort alle Antworten haben."

Ist der Massenstart das wichtigste Merkmal eines Gravel-Rennens?

Das "Unbound" ist zudem nicht das erste Schotterrennen, das Startgruppen einführt. Der "Waffle Ride" in San Diego oder "Crusher in the Tushar" in Utah sind nur zwei Beipiele, auch andere Veranstalter denker darüber nach. Aber verliert Gravel mit dem Massenstart nicht eines seiner wichtigsten Merkmale? Denn Massenstarts ermöglichen es Fahrer/innen, in ähnlichem Tempo und Können gemeinsam zu fahren.

"Das ist eines der Hauptmerkmale, das uns von anderen Radsport-Events unterscheidet", sagte Amy Charity, Renn-Direktor von SBT GRVL: "Wir glauben, dass eine Startlinie und eine Startzeit für alle erfrischend einfach ist und den Fahrer/innen die Möglichkeit gibt, sich dort aufzustellen, wo sie sich wohlfühlen."

Laura King, Organisatorin von Rooted Vermont, sieht mit Startgruppen das Wesen der Gravel-Rennen in Gefahr: "Der Geist ändert sich, wenn die Felder geteilt werden. Leider ist das meiner Meinung nach die einzige Lösung für einen Veranstalter, wenn man dazu eine Regel für notwendig hält. Regeln wie 'keine Domestiken' sind nicht wirklich durchsetzbar, obwohl sie ein wenig abschreckend wirken", sagte sie.

Nochmal Amy Charity von SBT GRVL: "Die meisten von uns, die mit Gravel zu tun haben, sei es als Veranstalter oder als Fahrer, sind dazu gekommen, weil es fast keine Regeln gibt - außer ein paar ganz einfache: keine Unterstützung von außen, Befolgen der allgemeinen Straßenverkehrsregeln. Das war's auch schon. Wir glauben, dass ein minimales Regelwerk notwendig ist, aber es liegt an den Fahrerinnen und Fahrern, ihren eigenen Verhaltens-Kodex einzuhalten."
Man darf gespannt sein, wie es in Sachen Regeln weitergeht im Schotter-Sport...

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