Mit dem E-Bike beim 24-Stunden-Rennen - Rennbericht

Rad am Ring: Mit dem "Hot Rod" durch die Grüne Hölle

Von Heiko Truppel

Foto zu dem Text "Rad am Ring: Mit dem
| Foto: pd-f

05.08.2015  |  Die Grüne Hölle macht ihrem Namen keine Ehre: Sie ist blauschwarz und kalt. Sturzregen und Sturmböen peitschen durch die Wechselstation im Fahrerlager.

Der für kurz nach 13 Uhr angesetzte Start
zum 24-Stunden-Radrennen am Nürburgring wird zunächst um drei Stunden verschoben, dann nähert sich eine weitere, noch heftigere Unwetter-Front. Jetzt soll es um 19:45 Uhr losgehen, mit den E-Bikes als erster Startergruppe, gefolgt nach jeweils einer weiteren Viertelstunde vom großen Feld der klassischen Rennräder und den Teilnehmern des Mountainbike-Rennens.

Aber es sieht nicht danach aus, als würde hier überhaupt noch ein Wettbewerb stattfinden. Das Jedermann-Rennen wurde aus Sicherheitsgründen bereits komplett gestrichen. Ich will eigentlich nur weg. Aber da hängt dieses total verrückte Rad im Montage-Ständer, und ich will es unbedingt fahren!

„Wir bauen euch ein Hot Rod für den Ring“,

hat Heiko Böhle, Marketing-Manager bei Felt, am Telefon angekündigt. Basis für das ungewöhnliche Rennrad ist der „Outfitter“, ein E-Fatbike mit Camouflage-Lackierung, serienmäßig schon ein Hingucker.

Am Vorabend wurde dem Boliden im Fahrerlager ein Rennlenker verpasst, die hintere Profilwalze durch einen wuchtigen, eigentlich für Felts Cruiser-Modelle entwickelten Semislick-Reifen ersetzt. Vorne hängt ein aerodynamisches Carbon-Laufrad von Zipp mit gerade mal 23 Millimetern Bereifung in der Gabel, wie man es etwa bei Zeitfahr-Rädern findet.

Auf den wenigen Metern zur technischen Abnahme
ernten wir ungläubiges Staunen, Dutzende Smartphones und Kameras werden gezückt. Doch wie es sich für eine Diva gehört, hat das Rad seine Tücken. Der kleinste Gang fehlt, weil die Rennrad-Schaltung nicht zum Mountainbike-Ritzelpaket passt, und das vordere Laufrad ist mit seiner reduzierten Speichenzahl nicht für eine Scheibenbremse ausgelegt.

„Bremst vorne am besten gar nicht“, feixt Team-Chef Marc Schmiedtke. Zu allem Überfluss sind die Beläge noch nicht eingebremst, da das Rad erst vor Ort fertig wurde.

Manuel Szech, als erster Fahrer das Versuchskaninchen,

beherzigt Marcs Rat entweder zu sehr, oder verdrängt die mitschwingende Bedeutung, dass man schlimmstenfalls gar nicht mehr bremsen kann.

Vielleicht beflügeln ihn auch die plötzlich wieder aufgetauchten Menschenmassen, denn als das um die Verzögerung von sieben Stunden gekürzte Rennen endlich losgeht, wimmelt es im Start- und Zielbereich wie in einem Ameisenhaufen vor einer Lycra-Spinnerei.

Das Teilnehmerfeld besteht in den verschiedenen Kategorien

aus mehr als 5000 Fahrern, dazu kommen rund 500 Helfer sowie unzählige Freunde, Fans und Interessierte.

Jedenfalls bringt Manuel aus der ersten Runde eine Spitzengeschwindigkeit von über 90 km/h mit zurück. In der langsam hereinbrechenden Nacht wird er diesen Wert sogar noch auf beeindruckende 96,2 km/h steigern. Mich selbst verlässt schon weit vorher der Mut...

Sebastian Möller, unser zweiter Fahrer, hatte mich gewarnt:
„Greif unten und halt den Lenker gut fest!“ Schon bei den ersten Abfahrten an Hatzenbach und Schwedenkreuz packt der immer noch starke, böige Wind die Hochprofil-Felge im Vorderrad.

Das bullige Hinterrad liegt satt auf der Straße; trotzdem traue ich mich nicht so recht, mich in die Kurven zu legen. In der Fuchsröhre ist mein psychisches Limit erreicht, bei 70 Stundenkilometern mache ich Schluß. Die Bremsen funktionieren jedenfalls.

Viel größer ist allerdings die Angst vor Anfeindungen

von "Analog-Fahrern". Die Rennrad-Szene ist durch ein gewisses Traditionsbewusstsein geprägt – und wir fahren ein „Motor-Rad“. Doch die Befürchtungen sind weitgehend unbegründet.

Es ist wie auf einem Radweg in der Stadt: Fahrer in teils sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten teilen sich eine rechts und links begrenzte Strecke. Bergab bin ich die Oma, bergauf die anderen. Rücksicht ist daher angesagt.

Auf dem langen Anstieg Richtung Hohe Acht ziehe ich

mit möglichst großem Abstand an den Rennradlern vorbei, denn ich habe großen Respekt vor ihrer Leistung, und sehe selbst die durchtrainierten Fahrer kämpfen.

Ich dagegen muss nur auf der kurzen, den E-Bikes vorbehaltenen Steilstrecke mit bis zu 27 Prozent Steigung aus dem Sattel. Dieses Stück hat es allerdings in sich. In den Abfahrten überholen die Rennräder dann fast immer mit viel Platzreserve, obwohl es mich teilweise weit aus der Kurve trägt.

Aber eben leider nur fast immer.

Drei, vier Mal werde ich ohne Not und offenbar mit Absicht geschnitten. Manuel wird sogar beschimpft: „Ich hasse Dich!“ Trotzdem sind das in dem riesigen Fahrerfeld Einzelfälle. Die rein auf Muskelkraft setzenden Sportler wissen vermutlich nicht, dass auch wir bei Geschwindigkeiten über 25 km/h ein doppelt so schweres Rad komplett ohne Motorkraft bewegen.

Den größten Teil der Strecke zeigt die Unterstützungsanzeige nichts an. Der Akku, den wir jede Runde tauschen, würde wohl locker drei Runden lang halten. Es bleibt zu wünschen, dass der Sportsgeist hochgehalten wird, wenn sich die Rennradfahrer die Strecke mit mehr als einem guten Dutzend E-Bike-Teams teilen müssen.

In der Nacht gibt es auch innerhalb der E-Bike-Klasse

Verstimmungen: Ein französisches Team, deren Fahrer wirken, als hätte ein Gen-Techniker das Erbgut sämtlicher Paris-Roubaix-Sieger seit 1896 kombiniert, hat sich von Beginn an souverän an die Spitze gesetzt.

Plötzlich holt eine Mannschaft auf, die ein Antriebs-System fährt, das prinzipiell höhere Geschwindigkeiten unterstützt. Das lasse sich technisch nicht verhindern, erklärt mir ein Mitarbeiter von Bosch, dem Initiator und Organisator des E-Bike-Rennens auf dem Ring, der selbst mit drei Teams vertreten ist.

Es scheint wie im klassischen Radsport:
Dort, wo man auf Fairness nur vertrauen kann, macht sich zwangsläufig Misstrauen breit. Doch selbst bei den Franzosen verfliegt der Unmut schließlich. Ein möglicher Betrug lässt sich nicht nachweisen, und der Morgen verspricht einen Traum-Sonntag, der ungeachtet der Platzierung alle für ihre Mühen belohnen wird.

Als ich meine Runde übernehme, ist der Himmel klar, und ich genieße den sich ankündigenden Sonnenaufgang in der wunderschönen Eifel-Landschaft. Die eiskalten Temperaturen der Nacht nähern sich im Lauf des Vormittags wieder zweistelligen Werten, und mit der Wärme steigt die ohnehin schon gute Laune noch weiter.

Schließlich hatte ich meine letzte Runde absolviert

und versucht, etwas Schlaf nachzuholen. Da weckt mich Marc: Meine Team-Kollegen waren so schnell, dass im vorgegebenen Zeitrahmen noch eine Runde gefahren werden kann - und wenn ich es vor 12:45 Uhr ins Ziel schaffe, wäre noch eine weitere Runde drin.

Es geht um nichts mehr. Die Teams, die wir schlagen konnten, haben wir im Griff, der Abstand zur Mannschaft von "Riese & Müller" vor uns ist dagegen zu groß, um ihn noch aufzuholen. Wir sind alle mit demselben Rad gefahren, und haben durch den ständigen Austausch von Akku, Licht und Sattelstütze sicher eine ganze Runde verloren.

Aber ich sehe, dass ich noch eine Runde herausholen

könnte und gebe alles. Der Motor hat ab der Hedwigshöhe kaum noch etwas zu tun, denn ich trete hart in die Pedale. Unerbittlich läuft die Uhr. Als es vom Hohenrain auf die Zielgerade geht, schlängle ich mich in hohem Tempo durch Fahrermassen, die gemütlich Richtung Ziel rollen.

Aber der Streckenwart schwenkt die Fahne, es ist 12:46 Uhr. Direkt nach Überqueren der Ziellinie bremse ich, fahre an den Rand, klicke aus den Pedalen aus – und sämtliches Blut sackt aus meinem Kopf. Es dauert ein paar Minuten, bis es mir wieder einigermaßen gut geht.

Bei meiner Rückkehr an die Wechselstation

ist von Enttäuschung jedoch keine Spur: Meine Mitstreiter strahlen mit der hoch am Himmel stehenden Sonne um die Wette und klatschen ab. Und auch ich bin glücklich, ich habe auf einem der berühmtesten und schönsten Rennkurse der Welt das erste Radrennen meines Lebens bestritten...

Wir haben uns gut geschlagen, und das wichtigste, einzige ausdrücklich erklärte Missions-Ziel erfüllt: zusammen eine Menge Spaß zu haben, mit dem Erlebnis vor dem Ergebnis. Beim nächsten Mal dürfen es allerdings gerne echte 24 Stunden sein.

Heiko Truppel
ist Redakteur beim "pressedienst-fahrrad", und war sofort bereit, beim 24-Stunden-Rennen „Rad am Ring“ in der E-Bike-Klasse für das „Felt Factory Team“ an den Start zu gehen – "ohne auch nur ansatzweise zu ahnen, was mich erwartet..."

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