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03.10.2021 | (rsn) - Mit dem Münsterland Giro (1.Pro) wird André Greipel (Israel Start-Up Nation) letztmals ein Profirennen bestreiten. Radsport-news.com sprach mit dem 39-jährigen Hürther über die Höhen und Tiefen seiner Karriere und über die Gründe, warum er bereits Ende 2021 und damit ein Jahr früher als geplant vom Rad steigen wird.
Herr Greipel, am Sonntag geht nicht nur Ihre Saison, sondern auch Ihre lange Karriere zu Ende. Wie fühlen Sie sich?
Greipel: Wie am Ende einer jeden Saison ist es etwas zäh, aber es fühlt sich definitiv anders an als in den Jahren zuvor, in denen man nur in die Winterpause ging, um sich dann wieder auf ein weiteres Jahr vorzubereiten. Natürlich ist auch etwas Wehmut dabei, der Radsport war mein Leben, ist es noch immer.
Tony Martin beendete seine Karriere mit der WM-Goldmedaille im Mixed Relay und erhielt danach stehende Ovationen von den Journalisten. Wünschen Sie sich einen ähnlichen Abschluss?
Greipel: Ich gehe ohne große Ambitionen in das Rennen. Ich muss mir nichts mehr beweisen. Die Beine dürften nicht das Problem sein, vielmehr der Kopf. Ob ich im Sprint noch mal reinhalten möchte? Das werde ich erst am Sonntag wissen.
Mit Martin, Marcel Sieberg und Ihnen beenden drei Fahrer, die den deutschen Radsport über Jahre geprägt haben, gleichzeitig die Karriere. Machen Sie sich Sorgen um den deutschen Radsport?
Greipel: Wir haben immer noch viele talentierte Fahrer, Pascal Ackermann, Nils Politt oder Maximilian Schachmann gehören zur absoluten Weltspitze. Aber was dahinter nachkommt, ist
fraglich.
Ihr Karriereende war ja erst für Ende 2022 geplant. Weshalb der Entschluss, nun doch ein
Jahr früher aufzuhören?
Greipel: Es war ein Prozess. Der Gedanke hat sich während der Saison immer weiterentwickelt und
bei der Türkei-Rundfahrt hatte ich meine Entscheidung gefasst. Man merkt, wenn der Moment gekommen ist, aufzuhören.
Nachdem Sie diese Entscheidung für sich getroffen hatten, haben Sie Ihre ersten beiden Siege seit über zwei Jahren eingefahren. Lag das auch daran, dass Sie befreit gefühlt haben?
Greipel: Nein, ich bin vielmehr weiterhin professionell rangegangen. Die Form und die Einstellung haben gepasst. Wir standen bei den beiden Siegen nicht mit unseren besten Teams am Start und haben einen richtig guten Job gemacht. Aber bei beiden Siegen habe ich gemerkt, dass es mich nicht mehr so richtig geflasht hat, als Erster über den Zielstrich zu fahren.
Auch nicht bei Ihrer letzten Tour de France in diesem Sommer?
Greipel: Ich sollte ja eigentlich den Giro fahren und wurde dort überraschend aus dem Aufgebot genommen. Dann habe ich dem Team gesagt: Dann nehmt mich auf die Long List für die Tour de France und Rick Zabel und ich werden alles daran setzen, in bestmöglicher Form am Start zu stehen. Ich denke, das haben wir gut hinbekommen. Es war ein schöner Abschluss und den brauchte ich auch für mich.
Sie haben gemerkt, dass es Zeit ist aufzuhören. Lag es an der abnehmenden Leistungsfähigkeit?
Greipel: Von der Leistung her hätte ich weiterfahren können. Aber der Radsport hat sich verändert. Das ist nicht mehr der Radsport, wie ich ihn vom Beginn meiner Karriere kannte. Die Art des Trainings hat sich verändert, ich habe mich versucht anzupassen, war aber doch ein Verfechter des alten
Systems. Man muss heutzutage viel mehr investieren in Sachen Trainingslager, muss sein Essen abwiegen und solche Sachen. Und mit 39 ist man dann auch müde.
Klammert man die beiden Siege in dieser Saison aus, so liefen die letzten drei Jahre nach Ihrem Abgang bei Lotto Soudal auch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr gut. Sie hatten Erkrankungen und Sturzverletzungen zu kämpfen. War das auch ein Zeichen Ihres Körpers, dass er von der langen Profikarriere geschafft ist?
Greipel: Nein. Dass ich mir 2019 den Parasiten eingefangen hatte, lag daran, dass ich ein Radrennen in Gabun fahren musste. Was soll man dagegen tun? Das Jahr 2020 werte ich gar nicht erst als Saison, es war ein Scheißjahr mit der Corona-Pandemie und meinem Sturz im Frühjahr. Der Heilungsprozess meiner Schulter dauerte länger als erwartet und als dann im August die Saison so richtig begann, war ich schon ziemlich ausgelaugt. In diesem Jahr war ich wieder auf einem guten Niveau, aber einfach nicht mehr bereit, Risiken einzugehen.
Hätten Sie sich nicht die letzten drei Jahre bei Arkéa Samsic (2019) und der Israel Start-Up Nation (ab 2020) sparen können und schon Ende 2018 aufhören sollen?
Greipel: Es waren auch schöne Lebenserfahrungen, gerade in einem französischen Team.
Ab Ende 2018 mussten Sie und Ihr bester Freund Marcel Sieberg und nach einer langen gemeinsamen Zeit bei Lotto Soudal und davor schon bei HTC Highroad getrennte Wege gehen. Wie schwer war das damals und wie hat das ihre Freundschaft verändert?
Greipel: Wir sind seitdem tatsächlich nicht mehr allzu viele Rennen gemeinsam gefahren. Wir haben aber insgesamt so unglaublich viele Rennen in unserer Karriere gegeneinander und miteinander bestritten. Das ist eine Lebensfreundschaft. Es war damals sicher keine leichte Situation, aber der eine musste den anderen verstehen. Nachdem klar war, dass es bei Lotto Soudal nicht weitergehen würde, musste jeder auch an sich denken, man hat ja eine Familie zu ernähren. Und wir sind ja nicht miteinander verheiratet.
Sie sind in diesem Jahr Teamkollege von Chris Froome, der seit seinem schlimmen Sturz beim Criterium du Dauphiné 2019 vergeblich versucht, wieder seine alte Form zu erlangen. Wie schätzen Sie seine Situation ein?
Greipel: Ich habe nur lobende Worte für ihn. Aber es ist traurig zu sehen, dass er nicht mehr auf dem Niveau fährt, auf dem er einmal für lange Zeit fahren durfte. Ich ziehe aber meinen Hut vor ihm. Viele andere Fahrer wären mit dieser schweren Verletzung gar nicht mehr zurückgekommen. Wichtig ist, dass er Freude am Radsport hat und nicht zu verbissen ist.
Sie waren einer der besten Sprinter und haben in Ihrer Karriere enorm viele Rennen gewonnen. Ist die Zahl von 158 Profisiegen korrekt?
Greipel: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich habe nicht mitgezählt und Zahlen sind mir auch nicht wichtig.
Sticht dabei aber ein Sieg besonders heraus?
Greipel: Ich kann mich noch an alle Sprints gut erinnern. Da müsste ich jeden Tour-Etappensieg, alle Erfolge bei der Vuelta oder beim Giro nennen. Die Qualität meiner Siege ist zwar nicht so hoch wie bei Mark Cavendish, aber dennoch bin ich stolz auf das, was ich erreicht habe und vor allem darauf, dass ich immer Teams hatte, die mir die Sprints vorbereitet haben.
Wie haben Sie sich in Ihrer Karriere menschlich und sportlich weiterentwickelt?
Greipel: Ich denke, menschlich bin ich immer der gleiche geblieben. Man lernt, mit Druck umzugehen. Insgesamt bin ich meiner Linie treu geblieben. Wenn man viel siegt, dann erhöht sich das Selbstvertrauen, bei mir würde ich sagen, auf ein gesundes Niveau. Ich war immer fair gegenüber allen Teammitgliedern, habe vom Mechaniker bis zum Busfahrer alle mit Respekt behandelt.
Sie haben Mark Cavendish erwähnt, mit dem Sie sich bei T-Mobile und den Nachfolgeteams heiße interne Duelle geliefert haben. Wie war das damals?
Greipel: Das wurde auch von den Medien aufgebauscht. Wir hatten eben zwei schnelle Männer im Team, Cav wurde immer für die Tour nominiert und ich bin hinten runtergefallen. Aber die Zeit hat mich auch positiv geprägt, ich habe gelernt, wie wichtig es ist, an den eigenen Zielen festzuhalten. Und Cav und ich haben auch Respekt voreinander und gehen professionell miteinander um.
Bei Lotto Soudal, für das Sie seit 2011 fuhren, sind Sie endgültig in die Weltspitze vorgestoßen. Lag es einfach daran, dass Sie in dem Team freie Fahrt hatten?
Greipel: Wenn man, wie ich 2009, 20 Rennen in einer Saison gewinnt, darunter vier Etappen bei der Vuelta, dann ist man sicher schon Weltspitze. Aber bei Omega – Pharma Lotto hatte ich damals die Chance, die Tour de France zu fahren. Das war das, was ich wollte.
Wie war es für Sie, über Jahre für ein belgisches Team zu fahren, quasi im Herzland des Radsports? Â
Greipel: Man lernt den Radsport nochmal auf eine ganz andere Art und Weise kennen. Es herrscht dort eine einzigartige Stimmung, jeder Angestellte im Team ist radsportverrückt.
So standen Sie auch etwas weniger im Fokus der deutschen Medien...
Greipel: Ich bin immer nur für mich gefahren, nicht für die Medien. Ich war und bin nicht mediengeil.
Sie haben in Ihrer langen Karriere so viele Erfolge eingefahren. Aber es gab sicherlich auch sportliche Enttäuschungen. Welche war die größte?
Greipel: Das war ganz klar die WM 2016 in Katar. Von der Kaderselektion bis hin zur Art und Weise, wie der BDR (Bund Deutscher Radfahrer) damals agiert hat, war das für mich die sportlich größte Niederlage. Ich war schon vor dem Rennen mental geschlagen, da mich diese Kapitänsfrage so sehr mitgenommen hat. (Greipel galt als Medaillenkandidat, das deutsche Team, in dem auch John Degenkolb und Marcel Kittel Ambitionen hegten, war dann aber bei dem Windkantenrennen chancenlos, d. Red.). Das Thema war dann für mich abgeschlossen und ich habe nach der WM gesagt, dass man mich doch in Zukunft bitte nicht mehr nominieren solle.
Braucht es im Radsport auch starke Ellenbogen, um eine erfolgreiche Karriere hinzulegen, ist mehr teaminterne Durchsetzungskraft gefragt oder muss man eher Teamplayer sein?
Greipel: Profi zu werden war ein Kindheitstraum, den habe ich mir erfüllt. Man braucht dabei keine Ellenbogen, um erfolgreich zu sein. Vielmehr muss man gut mit den anderen umgehen. Im Rennen entscheiden dann eh‘ die Beine und nicht die Ellenbogen.
Werden Sie nach Ihrem Karriereende weiterhin den der Gruppe der “Trainingstiere“ angehören, etwa als “Trainingstier“ light?
Greipel: Ich habe die Trainingstiere (Trainingsgruppe mit den Kölner Radprofis Greipel, Zabel, Nils Politt
und Juri Hollmann) ja gegründet, von daher habe ich lebenslanges Mitgliedsrecht. Wir sind ja nicht nur gute Profis, sondern auch gute Freunde. Da werde ich mich sicher nicht ganz ausklinken.
Haben Sie schon konkrete Zukunftspläne?
Greipel: Ich werde dem Radsport erhalten bleiben. Ich bin bei Factor (Radschmiede) als Repräsentant tätig, kümmere mich dort um Athleten und Teams. Wie konkret die Zusammenarbeit
dann im nächsten Jahr aussieht, müssen wir noch besprechen.
Das Ende einer langen Karriere ist auch immer die Zeit, danke zu sagen. Wem gilt Ihr Dank?
Greipel: In erster Linie natürlich meiner Familie, die mich in allem unterstützt hat. Sie hätte es auch mitgetragen, wenn ich noch ein Jahr weitergefahren wäre. Aber auch all meinen Trainern und Sponsoren, allen die sich im Radsport engagieren, gilt mein Dank. Und nicht zuletzt all meinen Teamkollegen, die mir die vielen Wege zu meinen Siegen geebnet haben.
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