--> -->
06.07.2024 | (rsn) - In den letzten Jahren war die erste Woche der Tour de France meist von Massenstürzen geprägt. Diesmal hat es bei den Zielankünften deutlich weniger schwere Unfälle gegeben. Die Profis führen das auf die Öffnung der Drei-Kilometer-Regel vor dem Ziel zurück. Sie wurde auf vier oder fünf Kilometer erweitert.
Die Regel besagt, dass im Fall von Stürzen oder Defekten auf den letzten Kilometern alle Fahrer zeitgleich mit der Gruppe gewertet werden, der sie vor dem Zwischenfall angehörten. Dadurch soll der Druck auf diejenigen Fahrer verringert werden, die bei einer Sprintentscheidung nur ganz vorne mitfahren, um keine Zeit im Gesamtklassement zu verlieren. Die Regel gibt es seit 2005, ihre Ausweitung auf bis zu fünf Kilometer soll der immer komplizierteren Infrastruktur auf den Straßen Rechnung tragen.
“Der Vorteil ist, dass, je dichter wir zum Ziel kommen, desto eher pushen die Sprinterteams und nehmen nicht mehr raus, denn wir müssen am Ende vorn sein, um ein Ergebnis zu erzielen. Je früher die Gesamtwertungsteams rausgehen, desto dünner wird die Gruppe vorn. Wenn man mit grob 30 Mann noch in die Kurve reinsticht, ist es deutlich einfacher, als wenn man 30 weitere Gesamtklassementfahrer und ihre Helfer dabei hat. 60 gegenüber 30 ist natürlich deutlich einfacher und übersichtlicher“, erklärte Sprint-Anfahrer Nikias Arndt (Bahrain Victorious), warum es seiner Ansicht nach diesmal bei Massenankünften etwas entspannter zugeht.
“Die Öffnung der 3-Kilometer-Regel hat wirklich etwas gebracht“, stimmte auch John Degenkolb (dsm – firmenich – PostNL) zu. “Die GC-Teams machen auf den Kilometer genau Platz und halten sich aus dem Gedränge vorn raus Das finde ich sehr, sehr gut. Das ist das, was wir in den letzten Jahren immer vermisst haben. Man hätte eigentlich denken sollen, dass das bei der 3-Kilometer-Regel auch hätte funktionieren können, aber es hat irgendwie nie jemand gemacht. Irgendwie haben trotzdem immer alle mit reingehalten. Jetzt scheint es wirklich zu funktionieren.“
Die Erweiterung auf bis zu fünf Kilometern ist nach Arndts Meinung aber nicht der einzige Grund für die zurückgegangene Zahl von schweren Massenstürzen. “Die 5- oder 4-Kilometer-Regel nimmt definitiv den Stress ein bisschen raus, denn es wird geguckt, wo die letzten gefährlichen Stellen sind. Ich habe aber auch das Gefühl, dass alle Fahrer im Feld dieses Jahr ein bisschen Respekt haben und erstmal heil durchkommen wollen. Die Sprints werden hart gefahren und es wird auch hektisch, trotzdem wird mit gesundem Menschenverstand gefahren“, sagte der 32-Jährige.
Dem stimmte auch Pascal Ackermann (Israel – Premier Tech) zu: “Mir ist auch aufgefallen, dass wir alle ein bisschen mehr Respekt voreinander haben. Vielleicht haben die ersten beiden Etappen das Ganze entzerrt, dass weniger Fahrer (wegen der schon früh entstandenen großen Zeitabstände, d. Red.) die Chance aufs Gelbe Trikot hatten. Das ist eine gute Tendenz – und wenn wir die kleinen Dinge, wie auch die 5-Kilometer-oder die 3-Sekunden-Regel, zusammenspielen lassen, hilft das auf jeden Fall.“
Vermutlich haben auch die Distanzierungen in den Sprintankünften von Phil Bauhaus (Bahrain Victorious) und Jasper Philipsen (Alpecin – Deceuninck) dazu geführt, dass etwas weniger aggressiv in die Sprints gegangen wird. “Das wird auch in den Köpfen der Sprinter sein und die werden da auch vorsichtig sein, dass man sein Etappenergebnis nicht verliert“, meinte Arndt, der aber betonte: “Es muss auch wirklich ganz, ganz fair bewertet werden.“ Diese Fairness hatte er bei der Entscheidung gegen seinen Kapitän Bauhaus vermisst.
Als Tour-de-France-Debütant verfügt Nico Denz (Red Bull – Bora – hansgrohe) nach sieben Etappen kaum über Erfahrung. Dass es aber etwas anders geworden ist, hat der Tour-Rookie mitbekommen: “Das sei eine komische Tour, habe ich von anderen Seiten gehört, weil sie so wenig stressig ist. Mir fällt auf, dass die Leute in den Abfahrten nicht mehr verzweifelt innen reinstecken, weil sie nochmal ein, zwei Positionen gut machen wollen“, sagte der 30-Jährige gegenüber RSN.
Denz erwähnte besonders den Respekt, mit dem untereinander umgegangen werde. “Auch gestern im Finale waren alle GC-Teams da, wo sie sein wollten“, sagte er am Rande des ersten Zeitfahrens. “Da gab es kein Drag Race auf die Kurve, sondern man hat sich gegenseitig den Platz gegeben und sich nicht unnötig das Leben schwer gemacht. Da ist eine sehr schöne Beobachtung.“
Sein Fazit: “Wenn man ein bisschen mitdenkt, dann ist es einfach. Wenn man auf jede Kurve zufährt, als wäre es die letzte, dann kostet das natürlich auch Körner. Wenn man aber fünf Leute nebeneinander hat, die verstehen, dass man sich nicht gegenseitig umfahren muss, sondern dass man miteinander kräftesparender weiterkommt, dann ist es nur gut.“
Doch Denz fürchtete: “Das wird nicht so bleiben!“