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26.12.2014 | (rsn) - Keinen Namen hörte man über die Lautsprecher im Zielbereich bei den Deutschen Meisterschaften in Baunatal häufiger als den von Romy Kasper. Auch wenn die 26-Jährige am Ende mit leeren Händen da stand und nach Rang drei im Vorjahr diesmal nur Siebzehnte wurde, so hatte Kasper das Rennen mit einer langen Flucht belebt.
„Lieber vorne sterben als hinten verstecken. Klar ist es etwas frustrierend, wenn man nicht belohnt wird. Aber ich denke, ich kann zufrieden sein – auch wenn es im ersten Augenblick schwer ist so ohne ‚Platzierung‘“, sagte sie radsport-news.com damals im Nordhessischen. „Ich habe alles versucht, nur eben nicht das nötige Quäntchen Glück gehabt.“
Zwei Wochen später im thüringischen Schleiz hatte sie es dafür umso mehr auf ihrer Seite. Mit Freudentränen in den Augen rollte Kasper am 16. Juli als Siegerin der 2. Etappe der Thüringen-Rundfahrt über den Zielstrich, nachdem sie ihre Fluchtgefährtin Reta Trotman (Maxx-Solar) im Finale bezwungen hatte.
„Es war so besonders, weil ich es endlich geschafft hatte, eine Flucht erfolgreich zu beenden“, so Kasper über ihren emotionalen Ausbruch, der auch damit zusammenhing, dass das Rennen quasi vor ihrer Haustür stattfand, denn sie wohnt und studiert in Leipzig. „Außerdem konnte ich mein Glück kaum fassen, da das Streckenprofil nicht unbedingt meins war und ich mit Reta Trotman eine Begleiterin hatte, die eigentlich stärker am Berg einzuschätzen war.“
Der Etappensieg war die Erfüllung eines Traumes und Kaspers persönlicher Saison-Höhepunkt in einem Jahr, in dem sie mit vielen weiteren Top-10-Ergebnissen bei der Energiewacht Tour, der Ronde van Overijssel, den Auensteiner Radsporttagen, der Ladies Tour of Norway oder der Boels Rental Ladies Tour punktete.
Doch die Sportwissenschafts-Studentin betont, dass in ihrer Rolle als Teamfahrerin auch andere Erfolge eine große Bedeutung haben. „Der 3. Platz beim Weltcup im Mannschaftszeitfahren oder der Doppelsieg von Ellen (van Dijk, d. Red.) und Lizzie (Armitstead, d. Red.) in Flandern sowie Lizzies Erfolg in Drenthe waren schöne Erlebnisse, weil ich einen Anteil daran hatte“, erklärt sie.
Und das ist das Entscheidende: Kasper hat sich in dieser Saison immer gut in Szene gesetzt, wenn sie die Möglichkeit dazu bekam. In erster Linie aber war es ihre Aufgabe, Helferdienste zu verrichten, und so sah man sie auch oft früh im Rennen vor dem Feld im Wind. So etwas geht nur, wenn man voll hinter seinen Kapitänen steht, und Kasper tut das.
„Wir verstehen uns fast blind und haben auch außerhalb der Rennen immer Spaß miteinander“, sagt sie etwa über Weltcup-Gesamtsiegerin Armitstead, mit der sie nun in die dritte gemeinsame Saison bei Boels-Dolmans geht. „Es macht einfach Spaß, mit dem Team unterwegs zu sein. Außerdem wird die Arbeit anerkannt und man bekommt als ‚Dank‘ auch mal einen Freifahrtschein wie in Thüringen.“
Um selbst in die Offensive zu gehen, braucht es für Kasper eben jene Erlaubnis von der Teamleitung. Spontane Attacken fahre sie normalerweise nicht, sagt die – „nicht wenn ich zum Arbeiten eingeteilt bin“. In Schleiz im Juli aber war ein solcher Tag, an dem Kasper von der Leine gelassen wurde – möglicherweise auch, weil sie bereits vor der Rundfahrt in der Teambesprechung scherzhaft angekündigt hatte, dass dieses zweite Teilstück ihr gehöre: „Ich kannte den Zieleinlauf und wusste, dass er mir entgegenkommt. Aber dass es dann wirklich klappt, hätte ich nicht erwartet.“
Kasper, die als Neunjährige beim PSV Forst in der Lausitz mit dem Radsport anfing, macht gerade ihren Master in Sportwissenschaften mit Schwerpunkt Rehabilitation und Prävention. „Ziel ist es, die Prüfungen bis 2016 zu schaffen“, erklärt sie. „Aber die Uni macht mir keinen Druck, dass ich fertig werden muss.“
Also versucht sie, den bestmöglichen Kompromiss zwischen Studium und professionellem Sporttreiben zu finden. Seitdem es vor drei Jahren ermöglicht wurde, neben dem Studium an einer normalen Universität trotzdem auch bei der Bundeswehr als Sportsoldatin angestellt zu sein, verdient Kasper dort ihren Lebensunterhalt, was eine große Hilfe darstellt.
Bevor es aber zu den Master-Prüfungen geht, steht 2015 eine erneut sehr umfangreiche Straßen-Saison auf dem Programm, in der Kasper wieder viel wird arbeiten müssen. Mit Evelyn Stevens und Chantal Blaak hat Boels-Dolmans zwei weitere Top-Fahrerinnen verpflichtet, die jeweils bei unterschiedlichen Rennen Ansprüche auf die Kapitänsrolle anmelden dürften.
Es sieht also so aus, als wäre Kaspers Helferrolle weiterhin manifestiert und als würde der Raum für Freiheiten möglicherweise ein Stück kleiner. Doch das macht ihr nichts aus. „Ich mag es zu arbeiten und einen Sieg meiner Kapitäne zu feiern“, betont sie. „Ich fühle mich in diesem Team zuhause, die Kolleginnen und die Betreuer sind wie eine Familie für mich.“
Die Krönung wäre folglich ein gemeinsamer Erfolg für alle beim WM-Teamzeitfahren in Richmond, nachdem die anvisierte Medaille in Ponferrada mit einem verletzungsbedingt geschwächten Team knapp verpasst wurde. „Die fehlenden sechs Sekunden tun heute noch weh“, gibt Kasper zu. Sie hatte sich in Spaniens Provinz bis über alle Limits gequält, als sie unverhofft nur noch zu viert waren und Kasper im schweren Finale ebenfalls abzureißen drohte.
Im Ziel war die Enttäuschung entsprechend groß und Kasper saß minutenlang völlig ausgepumpt auf dem Boden. Doch später am Team-Camper war es Armitstead, die ihre edle Helferin tröstete: „Sie hat mich in den Arm genommen, als ich geweint habe und meinte: ‚Romy, Du warst heute mein Superheld. Du hast alles gegeben und getan, was du konntest – hast einen großartigen Job gemacht!‘“