Analyse zum 113. Mailand-Sanremo

Mohoric bestraft Jumbo und UAE für deren frühe Offensiven

Foto zu dem Text "Mohoric bestraft Jumbo und UAE für deren frühe Offensiven"
Frech: Matej Mohoric (Bahrain Victorious) hat mit einem mutigen Abfahrts-Coup vom Poggio Mailand-Sanremo gewonnen und all die harte Arbeit von UAE und Jumbo zunichte gemacht. | Foto: Cor Vos

20.03.2022  |  (rsn) - Die favorisierten Tadej Pogacar und Wout Van Aert sowie ihre Teams UAE Team Emirates und Jumbo – Visma hatten alles dafür getan, den Sieg bei Mailand-Sanremo zu holen. Doch am Ende waren der Slowene und der Belgier sowie alle anderen Siegaspiranten chancenlos gegen den Abfahrtskünstler Matej Mohoric (Bahrain Victorious), der sich den größten Erfolg seiner Karriere sicherte.

Viel vorzuwerfen hatten sich Pogacar, Van Aert und ihre Helfer auf den ersten Blick nicht. Schließlich taten sie alles, um das Rennen an sich zu reißen. Im Nachhinein könnte man aber vielleicht zumindest mit dem Blick auf Jumbo - Visma sagen: zu viel.

___STEADY_PAYWALL___ Schon in der Cipressa-Steigung knapp 30 Kilometer vor dem Ziel schraubten erst Jumbo – Visma und dann UAE  Emirates das Tempo so dermaßen hoch, dass die reinen Sprinter wie Fabio Jakobsen (Quick-Step Alpha Vinyl) schon früh aus der Verlosung waren und der zumindest mit Außenseiterchancen ins Rennen gegangene Peter Sagan (TotalEnergies) nach Defekt nicht mehr der Anschluss gelang.

Keine 30 Mann waren nach der Cipressa noch beisammen, und das UAE Team Emirates hielt das Tempo weiter hoch, so dass von hinten niemand mehr herankam.

Am Poggio setzte sich zunächst Jumbo – Visma an die Spitze des Feldes. Der Plan dahinter: Ein Tempo anschlagen, das für Van Aert genau richtig war und das Pogacar davon abhielt, zu attackieren. Damit war aber UAE wiederum nicht einverstanden. Denn klar war: Pogacar musste am Poggio Van Aert loswerden, wollte er gewinnen.

Pogacar attackiert am Poggio ganze vier Mal vergebens

Deshalb schickte der Slowene mit Diego Ulissi seinen letzten verbliebenen Helfer nach vorne, der die erste Attacke von Pogacar vorbereitete. Im Gegensatz zur Strade Bianche konnte der Toursieger mit seinem Antritt aber nicht alle Kontrahenten abschütteln, denn Van Aert saß an seinem Hinterrad.

Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) attackiert zum dritten Mal, aber Alex Aranburu (Movistar) bleibt am Rad und zieht die Konkurrenz mit. | Foto: Cor Vos

Als Pogacar das feststellte, nahm er kurz die Beine hoch. Doch das war wohl der Moment, in dem der UAE-Kapitän das Rennen hätte für sich entscheiden können. Hätte er 8,1 Kilometer vor dem Ziel direkt nochmals attackiert – niemand hätte ihm wohl folgen können. Die Frage ist nur: Hatte Pogacar nicht die Beine, nochmals einen draufzusetzen. Oder nicht den Mut? Denn mit einer neuerlichen Attacke hätte sich der Slowene auch ganz aus der Verlosung um den Sieg nehmen können, nämlich wenn er damit über sein eigenes Limit gegangen wäre.

Auch Roglic reiht sich in den Angriffsreigen ein

Stattdessen verschnaufte Pogacar für 400 Meter und attackierte schließlich 7,7 Kilometer vor dem Ziel erneut. Doch dieses Mal hatte sein Antritt nicht die Qualität der vorherigen Attacke. So konnte sich Alex Aranburu (Movistar) problemlos an das Hinterrad des Slowenen heften und 13 weitere Fahrer schließlich wieder aufschließen. 7,2 Kilometer vor dem Ziel folgte schließlich der dritte Antritt von Pogacar, der aber als reine Verzweiflungstat mit der Brechstange gedeutet werden konnte.

Nachdem auch dieser Vorstoß wirkungslos blieb, spielte Jumbo – Visma mit Primoz Roglic seinen zweiten Trumpf. Der Angriff von Pogacars Landsmann kam eigentlich im genau richtigen Moment. Pogacar war nach seinen drei Attacken wohl genau so am Limit wie der Rest der Spitzengruppe. Diesen Moment wollte der Jumbo-Profi für sich nutzen. Würde man ihn ziehen lassen, hätte er den Sieg sicher. Würde die Konkurrenz nachsetzen, dann hätte zwar der Trumpf Roglic bei Jumbo – Visma nicht gestochen, die Chancen für Van Aert waren aber weiterhin intakt. Allerdings hatte auch Roglic auf den letzten 1000 Metern des Poggio nicht die Beine, um sich alleine abzusetzen, immerhin aber setzte er damit Pogacar und auch Mathieu van der Poel (Alpecin – Fenix) unter Zugzwang.

Sören Kragh Andersen (Team DSM) hielt sich lange zurück und ritt im oberen Teil des Poggio-Anstiegs die insgesamt wohl vielversprechendste Attacke bergauf - kam aber auch nicht weg. | Foto: Cor Vos

Nachdem Roglic wieder gestellt war, probierte es Pogacar ein letztes Mal mit einer Attacke. Aber der Slowene war 6,5 Kilometer vor Schluss einfach selbst zu sehr angeknockt, um noch richtigen Schaden anrichten zu können.

Eine entscheidende Rolle sollte schließlich Sören Kragh Andersen zukommen – wie schon im letzten Jahr, als er unfreiwillig Jasper Stuyven den Weg zum Sieg ebnete. Diesmal sprengte der Däne mit seiner Attacke kurz vor der Kuppe des Poggios die Favoritengruppe, nur Pogacar und mit Verzögerung Van der Poel und Van Aert konnten ihm folgen. Das Quartett hatte einige Meter Vorsprung auf die Verfolger, die von Michael Matthews angeführt wurden. Direkt dahinter positionierte sich auf den ersten bergabführenden Metern Mohoric, der damit 5,4 Kilometer erstmals in den aller vordersten Reihen zu sehen war.

Mohoric stürmt schon zu Beginn der Abfahrt nach vorne

In einer Linkskurve setzte sich der spätere Sieger schließlich an die Spitze seiner Gruppe und Mads Pedersen (Trek – Segafredo) konnte das Hinterrad des wagemutigen Abfahrers nicht halten. Auf einer längeren bergabführenden Geraden nutzte Mohoric die freie Fahrbahn vor sich, um zum Spitzenquartett aufzuschließen und genau rechtzeitig zur nächsten scharfen Kurve hatte er sich an die Spitze der Gruppe gesetzt. Somit war Mohoric in der Pole Position und konnte die Kurve bestmöglich ansteuern. Hier fuhr der mit High-Speed ums Eck rasende Slowene die entscheidenden Meter auf Pogacar und Co heraus, um eine Lücke zu reißen und am Ende bis ins Ziel alleine zu bleiben.

Entscheidend waren am Ende also Mohorics Abfahrtsqualitäten, die noch durch den Einsatz einer absenkbaren Sattelstütze verstärkt wurden. Dank der Mountainbike-Technologie konnte Mohoric seine Sitzposition auf der Abfahrt vom Poggio verändern. Er saß nun wahlweise sechs Zentimeter tiefer, um beim Rollenlassen aerodynamischer zu sein und mit tieferem Schwerpunkt besser durch die Kurven steuern zu können, oder auf Normalhöhe, um auf den geraden Abschnitten wieder voll ins Pedal treten zu können.

Das Team Jumbo - Visma brauchte alle Helfer bis zur Kuppe auf dem Poggio auf, so dass Wout Van Aert nach der Abfahrt niemand mehr hatte, um Mohoric zu jagen. | Foto: Cor Vos

Die Vorteile durch die absenkbare Sattelstütze waren so groß, dass Mohoric auch zwei Beinahestürze, die genau wie das Kamera-Motorrad vor ihm in den engen Kurven der Abfahrt etwas Zeit kosteten und ein kleines Kettenmalheur in der vorletzten Kurve verkraftete, ohne dass ihm noch der Sieg streitig gemacht werden konnte.

Für Jumbo – Visma und UAE Team Emirates rächte sich am Ende schließlich, dass sie an Cipressa und Poggio so offensiv gefahren waren. Denn alle Helfer waren aufgebraucht und die Kapitäne auf sich alleine gestellt. So taten sich Van Aert, Pogagacar & Co schwer, eine effektive Nachführarbeit zu organisieren. Keiner wollte sich zu sehr für den Rivalen aufopfern, um dann am Ende übersprintet zu werden. So wurden mehrmals die Beine hochgenommen, so dass Mohoric allein bis ins Ziel durchziehen und dort die Arme in die Höhe schmeißen durfte.

 

Mehr Informationen zu diesem Thema

26.03.2022Aldag: “Mohoric testete Abfahrten in Motorradmontur“

(rsn) - Im Gespräch mit radsport-news.com verrät Rolf Aldag, der letztes Jahr noch bei Bahrain mit Matej Mohoric zusammenarbeitete, warum der Slowene ein so waghalsiger Abfahrer wurde und warum nich

22.03.2022Nizzolo fällt mit Handgelenksbruch für die Klassiker aus

(rsn) - Giacomo Nizzolo (Israel - Premier Tech) hat sich bei einem Sturz im Finale von Mailand-Sanremo einen Bruch im linken Handgelenk zugezogen und fällt für die weiteren Frühjahrsklassiker aus.

21.03.2022Kamikaze-Mohoric fährt rasend auf Dropper Post ab

(rsn) - Waghalsiger Mut und eine technische Innovation machten im Finale von Mailand-Sanremo den Unterschied und Matej Mohoric (Bhrain Victorious) zum Überraschungssieger! Wird der Dropper Post, die

21.03.2022Prekäre Ausfallrate stoppt Bora auch bei Mailand-Sanremo

(rsn) - "Wir hätten auch gern gewonnen“, sagt Ralph Denk mit einer Mischung aus Trotz, Galgenhumor und unbeugsamem Siegeswillen am Team-Bus von Bora - hansgrohe in Sanremo zu radsport-news.com. In

20.03.2022Pogacar kannte Mohorics Abfahrtsplan - es half nichts

(rsn) – Das Radsportjahr ist noch nicht einmal drei Monate alt und schon jetzt bestimmen die slowenischen Fahrer das Geschehen, speziell auf der WorldTour, fast nach Belieben. Mit Ausnahme des Omloo

20.03.2022Sanremo-Dritter van der Poel trauert Siegchance hinterher

(rsn) – Nach Rang 13 im Jahr 2020 und Platz fünf im Vorjahr näherte sich Mathieu van der Poel (Alpecin – Fenix) als Dritter von Mailand-Sanremo ein weiteres Stück dem Sieg beim ersten Monument

20.03.2022Kragh Andersen nach Attacke im Korsett der Favoriten gefangen

(rsn) - Wieder einmal stellte Sören Kragh Andersen (DSM) seine Fähigkeiten an kürzeren Anstiegen unter Beweis. Der Däne attackierte bei Mailand-Sanremo auf der Kuppe des Poggio und sorgte für die

19.03.2022Pogacars Attacken kosteten Van Aert zu viele Körner

(rsn) - Wout Van Aert (Jumbo - Visma) war neben Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) als erster Kandidat auf den Sieg beim 113. Mailand-Sanremo gehandelt worden. Der Gewinner der Ausgabe von 2020 war per

19.03.2022Pogacar: “Mohoric dreht ziemlich durch, wenn es bergab geht“

(rsn) - Mit einer Attacke auf der Abfahrt vom Poggio hat sich Matej Mohoric (Bahrain Victorious) den Sieg bei Mailand-Sanremo gesichert.. Die Konkurrenten hatten dem riskanten Ritt des Slowenen nichts

19.03.2022Highlight-Video des 113. Mailand-Sanremo

(rsn) - Nach einer waghalsigen Attacke in der Abfahrt vom Poggio hat Matej Mohoric (Bahrain Victorious) die 113. Auflage von Mailand-Sanremo für sich entschieden. Der Slowenische Meister triumphierte

19.03.2022Mohoric triumphiert nach Husarenritt vom Poggio

(rsn) - In den Tagen vor der 113. Austragung von Mailand-Sanremo wurde angesichts der Teilnahme von Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) viel über neue Kletterrekorde am Poggio spekuliert. Matej Mohor

19.03.2022Denk zur Personalmisere: “Es entsteht ein Teufelskreis“

(rsn) – Es läuft derzeit alles andere als rund beim deutschen WorldTour-Rennstall Bora – hansgrohe. Nach einem durchaus erfolgreichen Saisonstart mit gleich fünf Siegen bis Mitte Februar wird di

Weitere Radsport-Markt-Nachrichten

28.04.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morg

28.04.2024Dorn in der Türkei am Berg und beim Zwischensprint der Stärkste

(rsn) - Vor allem für die Teams Bike Aid und rad-net - Oßwald verlief die zurückliegende Woche erfolgreich. Santic - Wibatech, MYVELO und Rembe Sauerland konnten gegen WorldTour-Konkurrenz zuminde

28.04.2024Famenne Classic: De Lie feiert seinen ersten Saisonsieg

(rsn) - Arnaud De Lie (Lotto - Dstny) hat bei der Famenne Ardeche Classic (1.1) seinen ersten Saisonsieg eingefahren. Der Belgier setzte sich nach hügeligen 195 Kilometern rund um Marche-en-Famenne

28.04.2024Lidl - Trek gewinnt trotz Stürzen Auftakt der Vuelta Femenina

(rsn) – Trotz eines Sturzes in der letzten Kurve hat Lidl – Trek das Teamzeitfahren zum Auftakt der 10. Vuelta Femenina (2.WWT) für sich entscheiden können. Obwohl Ellen van Dijk und Eleanor Bac

28.04.2024Highlight-Video der 5. Etappe der Tour de Romandie

(rsn) – Dorian Godon (Decathlon – AG2R La Mondiale) hat zum Abschluss der 77. Tour de Romandie (2.UWT) seinen zweiten Tagessieg eingefahren. Der Franzose entschied bei regnerischem Wetter die 5. E

28.04.2024Zangerle verpasst für sein Team nur knapp den Heimsieg

(rsn) –Lukas Kubis (Elkov – Kasper) hat in Österreich das 62. Kirschblütenrennen gewonnen, das erstmals als UCI-Rennen der Kategorie 1.2 ausgetragen wurde und zugleich der zweite Stopp der Road

28.04.2024Carlos Rodriguez feiert Gesamtsieg vor Vlasov und Lipowitz

(rsn) – Beinahe noch eine Spur deutlicher als auf der 1. Etappe ging es im Sprint der Schlussetappe der Tour de Romandie (2.UWT) zu. Der Sieger war dabei derselbe: Dorian Godon (Decathlon – AG2R L

28.04.2024Lechner lässt in Tschechien nichts mehr anbrennen

(rsn) – Am letzten Tag der Gracia-Rundfahrt (2.2) hat Corinna Lechner (Wheel Divas) nichts mehr anbrennen lassen und sich den Gesamtsieg der tschechischen Rundfahrt gesichert. Auf der 5. Etappe, di

28.04.2024Van den Broek gewinnt als erster Niederländer Türkei-Rundfahrt

(rsn) – Wegen Regen und Wind musste die Schlussetappe der 59. Türkei-Rundfahrt (2.Pro) abgesagt werden. Frank van den Broeck (dsm-firmenich – PostNL) verteidigte so kampflos sein Führungstrikot

28.04.2024Lipowitz mit seiner Giro-Generalprobe mehr als happy

(rsn) – Auch wenn er im Vorjahr bei der Czech Tour die Gesamtwertung gewann, so ist die diesjährige Tour de Romandie als Durchbruch in der Karriere von Florian Lipowitz (Bora – hansgrohe) zu bewe

27.04.2024Reusser zurück im Feld und auf dem Weg zu Olympia

(rsn) - Knapp ein Monat ist seit dem schweren Sturz bei der Flandern-Rundfahrt vergangen, der für die 32-jährige Marlen Reusser (SD Worx - Protime) schwere Folgen hatte. Ober- und Unterkiefer, die

27.04.2024Huys saust im Zeitfahren allen davon

(rsn) – So schnell wie Tabea Huys (Maxx Solar Rose Women Racing) war noch nie eine Athletin auf dem 13,5 Kilometer langen Zeitfahrparcours der Gracia-Rundfahrt in der Tschechischen Republik. Seit 20

JEDERMANN-RENNEN DIESE WOCHE
  • Keine Termine