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02.07.2022 | (rsn) – Es war beeindruckend, wie Fabio Jakobsen (Quick-Step Alpha Vinyl) am Samstag im dänischen Nyborg aufgetreten ist. Nicht nur sportlich, bei seinem Sieg gleich im ersten Massensprint seiner Tour-de-France-Karriere unter extremem Druck durch die öffentlich viel diskutierte Nominierungsentscheidung seines Teams – sondern auch menschlich in der Pressekonferenz danach.
Voller Demut sprach der 25-Jährige über seine Emotionen nach dem bislang größten Triumph seiner Karriere und setzte dann zu einer zweieinhalbminütigen Danksagung (siehe unten im O-Ton) an all diejenigen an, die ihm auf seinem Weg zurück seit seinem Horror-Sturz bei der Polen-Rundfahrt vor zwei Jahren geholfen haben – von seiner Familie über sein Team bis hin zu seinem 85-jährigen Osteopathen Cor van Wanrooij.
___STEADY_PAYWALL___ "Nicht nur ihm, sondern auch all den anderen bin ich unendlich dankbar. Sie sind der Grund, warum ich hier bin. Das habe ich nicht alleine geschafft", sagte Jakobsen und dachte im Moment seines größten Sieges auch an Kollegen und Kolleginnen, die nach lebensgefährlichen Unfällen nicht mehr ins Peloton zurückgekommen sind - wie beispielsweise seine im Winter in Spanien verunglückte Landsfrau Amy Pieters.
Horrorsturz in Katowice am 5. August 2020: Fabio Jakobsen kracht in die Absperrgitter - sein Leben hängt anschließend am seidenen Faden. | Foto: Cor Vos
"Ich bin super dankbar, überhaupt hier zu sein. Es gibt andere Beispiele von Fahrern und Fahrerinnen, die stürzen und nicht die Chance haben, zurück zu kommen – als Rennfahrer oder auch als Mensch. Deshalb bin ich einfach dankbar", so Jakobsen gleich in seinem ersten Statement auf der Presskonferenz mit ruhiger Stimme. "Natürlich bin ich glücklich, aber der Crash hat mich demütiger gemacht. Ich freue mich, aber ich denke auch an diese Menschen, die nicht mehr fahren können."
Mit seinem Sieg in Nyborg hat sich der Niederländer einen Kindheitstraum erfüllt. Seit 15 Jahren sei das sein großes Ziel gewesen, doch vor zwei Jahren schien all das nicht mehr möglich zu sein. Durch den Erfolg vor Wout Van Aert (Jumbo – Visma) und Mads Pedersen (Trek – Segafredo) am Großen Belt habe sich nun ein Kreis geschlossen, der sich damals in Katowice auf der 1. Etappe der Polen-Rundfahrt auf höchst schmerzhafte Art geöffnet hatte.
Heute hat sich für mich ein Kreis geschlossen"
"Die Tour de France ist das Größte. Ich wollte immer eines Tages hierher. Vor dem Crash waren noch ein, zwei Jungs vor mir", sagte er mit Blick auf seine Hoffnungen auf ein Tour-Ticket in den vergangenen Jahren. "Durch den Sturz wurde mein Debüt dann verschoben. Heute hat sich für mich der Kreis geschlossen – von damals, als ich als junges Talent gehofft habe, hierher zu fahren über die Reha und mein Comeback bis zu diesem Sieg hier in Nyborg bei meiner allerersten Chance. Ich denke ich kann sagen, dass ich jetzt einer der schnellsten Sprinter der Welt bin."
Der bislang größte Triumph: Fabio Jakobsen (Quick-Step Alpha Vinyl) gewinnt die 2. Etappe der Tour de France 2022 in Nyborg. | Foto: Cor Vos
Daran hatte schon vor dem Tour-Start in Kopenhagen am Freitag mit Sicherheit niemand mehr gezweifelt. Jakobsen feierte 2021 ein beachtliches Comeback, das zum Jahresende mit fünf Tageserfolgen sowie dem Gewinn der Punktewertung bei der Vuelta a Espana gekrönt wurde. Und auch 2022 gewann er bei jeder der fünf Rundfahrten, zu denen er antrat, mindestens eine Etappe. In reinen Massensprints galt er schon vor dem Triumph von Nyborg als schnellster Mann der Welt.
Doch weil Mark Cavendish Jakobsens Teamkollege ist, wurde öffentlich trotzdem monatelang immer wieder am Tour-Ticket des Niederländers gekratzt und gezweifelt – und das, obwohl Teamchef Patrick Lefevere schon im Herbst 2021 öffentlich erklärt hatte, im Juli 2022 auf Jakobsen setzen zu wollen.
"Unter Druck entstehen Diamanten"
Da Cavendish aber ebenfalls starke Resultate einfuhr und gerade eine Woche vor dem Tour-Start noch einmal eindrucksvoll mit einem großen Auftritt bei den Britischen Meisterschaften seine Top-Form bewies, wurden die Stimmen gerade in englischsprachigen Medien immer lauter, dass der 34-malige Tour-Etappensieger zur Tour de France gehöre.
Bei Quick-Step Alpha Vinyl entschied man sich dennoch für die Variante mit nur einem Sprinter und blieb der Marschroute mit Jakobsen treu. Das war einerseits ein großer Vertrauensbeweis, erhöhte andererseits aber auch den Druck auf den 25-Jährigen.
Als Fabio Jakobsen (links) bei der Türkei-Rundfahrt im April 2021 ins Renngeschehen zurückkehrt, kehrt sein Teamkollege Mark Cavendish (rechts) nach einigen schweren Jahren auf die Siegerstraße zurück. | Foto: Cor Vos
Doch Jakobsen bewies mit seinem Sieg am Samstag gleich bei seinem ersten Tour-Sprint starke Nerven. "Unter Druck entstehen Diamanten. Ich komme immer gut mit Druck klar. Ich weiß, dass das Team und meine Familie an mich glauben. Und den meisten Druck mache ich mir ohnehin selbst, um die beste Version von mir zu sein", sagte Jakobsen, und ging dann auch noch sehr offen auf die Frage nach seinem britischen Teamkollegen ein.
Jakobsen spricht in höchsten Tönen von Cavendish
"Ich denke wir beide verdienen es, hier zu sein. Er war in den letzten 15 Jahren ein riesiges Vorbild für mich. Er ist eine Legende", schwärmte er über Cavendish. "Ich bin einfach dankbar, dass ich den Platz bekommen habe – und auch wenn einige Leute denken, dass ich seinen Platz genommen habe, bin ich mir ziemlich sicher, dass er daheim meinen Sieg auch genossen hat."
Dass Jakobsen den Platz im Tour-Kader verdient hatte, das bezweifelte vor der Tour ohnehin niemand. Die Tatsache, dass er gleich bei seiner ersten Chance mit einem unwiderstehlichen und kompromisslosen Sprint seinen Sieg einfahren konnte, hat nun aber auch der Teamleitung Recht gegeben, die sich vor einer Tour mit nur wenigen echten Sprinter-Tagen für die Variante mit nur einem echten Sprinter entschieden hat. Denn solange dieser eine Mann gewinnt, hätte es ein zweiter Mann nicht besser machen können.
Jakobsens 2:20-Minuten-Danksagung im O-Ton:
"Zunächst meine Verlobte, meine Eltern, meine Schwester, der Rest der Familie. Sie waren alle eine große Hilfe, haben mich immer wieder ins Krankenhaus gebracht. Dann das Team mit Patrick Lefevere an der Spitze und die Sponsoren wie Quick-Step, die nie den Glaube in mich verloren haben. Dann die medizinische Abteilung, die mir geholfen hat, erstmal wieder ein normaler Mensch zu werden, dann ein Radfahrer und schließlich wieder ein Top-Sprinter. Dann ganz speziell mein Osteopath daheim, sein Name ist Cor. Er hat mir nicht die Zähne zurückgegeben, aber er hat dafür gesorgt, dass mein Körper wieder beweglich wurde und die Muskeln sich erholen und reaktiviert werden konnten. Er ist 85 Jahre alt und weiß noch immer ganz genau, was er tun muss. Nicht nur ihm sondern auch all den anderen bin ich unendlich dankbar. Sie sind der Grund, warum ich hier bin. Das habe ich nicht alleine geschafft. Als Sprinter weiß man, dass man Teamkollegen braucht – und Leute daheim. Es ist wirklich speziell. Ich habe vor 15 Jahren mit dem Radsport angefangen mit meiner Mutter und meinem Vater. Er Vater fährt immer noch den Motorroller für mich – mein Schwiegervater auch. Vor ein paar Tagen hat es Michael Morkovs Vater auch für mich geamcht. Das zeigt, dass man Familie und Freunde braucht. Und mein Team ist meine zweite Familie. Ich liebe alle hier. Das ist für sie und für mich."