Watterotts Il Lombardia-Retrospektive / Teil 3

Triumphe des „Kamels“ und des „kleinen Prinzen"

Von Herbert Watterott

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Herbert Watterott Foto: ROTH

04.10.2014  |  (rsn) - Auf radsport-news.com beleuchtet Herbert Watterott in dieser Saison die lange Geschichte der fünf Radsportmonumente Mailand-San Remo, Flandern-Rundfahrt, Paris-Roubaix, Lüttich-Bastogne-Lüttich und Lombardei-Rundfahrt (Il Lombardia) und schildert die spannendesten und außergewöhnlichsten Episoden dieser größten Klassiker des internationalen Radsport-Kalenders.

Lombardei-Rundfahrt (Il Lombardia) / Teil 3

1988 – Der einsame „Ritt“ über 100 Kilometer von Charly Mottet
Der kleine, drahtige Franzose aus Valence wagt an der Valcava-Steigung eine Soloflucht über 100 Kilometer, nachdem er seine letzten Begleiter Maurizio Fondriest aus Italien und den Belgier Luc Roosen distanziert hat und benutzt die kurvenreiche Abfahrt, um alleine in Mailand auf der Piazzo Duomo zu triumphieren. Im Fernsehen sagte der große Italiener Francesco Moser: „Es war, als würde man jemanden aus einem anderen Zeitalter beobachten“.

1989 – Das „Kamel“ triumphiert
Nur ein Jahr danach wagt der Schweizer Tony Rominger ein Mammutsolo über 110 Kilometer, greift am Fuße des Valico di Valcava an und erklettert diesen harten Anstieg, 1.336 Meter über dem Meer und zugleich das „Dach“ der gesamten Klassiker-Saison, im Wiegetritt. Aber keiner der Favoriten wie Gianni Bugno, Maurizio Fondriest, Franco Ballerini (alle Italien), Andrew Hampsten(USA), Erik Breukink (Niederlande) sowie die beiden Franzosen Laurent Fignon und Vorjahressieger Charly Mottet, übernimmt die „Regie“ bei der Nachführarbeit.

Und so gewinnt Rominger, den sie wegen seiner ungewöhnlichen Haltung auf den Rad auch das „Kamel“ nennen, vor dem Franzosen Gilles Delion, Sohn betuchter Eltern, die im französischen Chambéry in den Savoyer Alpen eine florierende Schokoladenfabrik betreiben.

2006 – Nach 101 Jahren – erster deutscher Platz auf dem Podium
Fabian Wegmann aus Münster vom Team Gerolsteiner gehört zu einer 12-köpfigen Ausreißer-Gruppe, die sich rund 30 Kilometer vor dem Ziel aus dem Staub macht. Wegmann fährt ein starkes Rennen, und der erste deutsche Sieg scheint möglich. Bis drei Kilometer vor Como kann er das Tempo des Italieners Paolo Bettini mitgehen, fällt dann aber zurück. Hinter dem tollkühnen Abfahrer Samuel Sanchez aus Spanien, der ihn auf dem Zielstrich mit hauchdünnem Vorsprung noch abfängt, wird Wegmann Dritter und klettert als erster Deutscher in der Geschichte des italienischen Herbstklassikers am 14.Oktober 2006 auf das Podium.

Weltmeister und Olympiasieger Paolo Bettini aus Italien, dessen Bruder wenige Tage zuvor tödlich verunglückt war, gewinnt als weinender Sieger die 100.Austragung. Bettinis höchst emotionaler Sieg 2006 bleibt wohl einer der größten Momente des Radsports. „Auch wenn Olympia und die WM aus sportlicher Sicht meine größtem Siege sind, so ist der Lombardei-Erfolg in menschlicher Hinsicht mein Größter“, so Bettini.

2006 – Jubiläum für die Madonna del Ghisallo- Steigung
Seit genau einem Jahrhundert befindet sich dieser Anstieg nun schon im Streckenplan des fünften und letzten Klassikers eines jeden Jahres. Der Gipfel liegt zwischen dem Lago di Como und dem Lago die Lecco. Der Pass führte lange Zeit zur vorentscheidenden Aufsplitterung im Fahrerfeld. Von Bellagio kommend sind auf elf Kilometer fast 550 Höhendifferenz zu meistern – mit Steigungen bis zu 14%. „Wer als Erster an der Madonna ist, gewinnt auch die Lombardei-Rundfahrt“, hieß die Devise, vor allem in der Ära des Fausto Coppi.

Im Anstieg von Magrélio ließ der Campionissimo aus Castellania die Konkurrenz meist stehen, um dann nach bestechender Solofahrt auf der berühmten, weltrekordträchtigen Mailänder Vigorelli-Bahn zu triumphieren. Die Pista Magica (die magische Bahn), wie die Italiener dieses Oval nannten, war in der Dreißiger Jahren von Pistenbauer Clemens Schürmann aus Münster konstruiert und geschaffen worden. Schürmann war früher selbst ein erfolgreicher Bahnsprinter.

Bei der 109. Austragung am Sonntag, dem 5.Oktober 2014, kommt die Madonna del Ghisallo- Steigung bereits 56 Kilometer nach dem Start in Como, und es sind dann noch genau 200 Kilometer bis ins Ziel nach Bergamo.

2008 – „Der kleine Prinz“, schafft als Letzter das Triple
Innerhalb von nur fünf Jahren, zwischen 2004 und 2008, schafft der kleine, drahtige Italiener Damiano Cunego aus Verona das Kunststück, das fünfte und letzte Radsport-Monument eines jeden Jahres, Il Lombardia, drei Mal eindrucksvoll zu gewinnen. Er schließt damit zu seinen Landsleuten Gino Bartali, Gaetano Belloni, Costante Girardengo sowie Sean Kelly/Irland und Henri Pelissier/Frankreich auf, die ebensfalls je drei Siege herausfuhren. Einsam an der Spitze jedoch thronen zwei weitere Italiener in den Geschichtsbüchern: Fausto Coppi mit fünf und Alfredo Binda mit vier Siegen.

2012 + 2013 – Joaquin Rodriguez, der erste spanische Sieger
In beiden Jahren begleiten strömender Regen die beiden Siege des Spaniers Joaquin „Purito“ Rodriguez aus Barcelona. Die Streckenführung ist in diesen beiden Jahren identisch von Bergamo nach Lecco über 251 bzw. 242 Kilometer. Mit der Mauer von Sormano (bis zu 27% steil), die nach 50 Jahren wieder im Streckenprofil auftaucht, der Madonna del Ghisallo-Steigung und dem Anstieg Villa Vergano, liegen drei schwierige Hindernisse kurz vor dem Ziel in Lecco am südlichen Arm des Lago di Lecco.

Bei diesen beiden letzten Austragungen kommen jeweils nur 54 Rennfahrer von 195 Startern ins Ziel. Das infernalische, kalte Regenwetter hat zu dieser extrem hohen Ausfallquote entscheidend beigetragen.

Während 2012 kein Deutscher das Ziel erreichte, kämpfte sich ein Jahr später Marcus Burghardt aus Zschopau im Erzgebirge bis ins Ziel und belegt den 44. Platz.

2014 – 108. Austragung seit 1905
Der Katalane Joaquin Rodriguez, Sieger der beiden letzten Jahre, zählt auch in diesem Jahr zum engeren Favoritenkreis und will seine durchwachsene Saison mit einem erneuten Sieg in der Lombardei vergessen lassen. Rodriguez stieg beim Giro d’Italia vorzeitig aus, beendete die Tour de France nur auf dem 54. Rang und wurde bei der Spanienrundfahrt Vierter. Bei der Straßen-Weltmeisterschaft am letzten Sonntag im spanischen Ponferrada belegte er mit 17 Sekunden Rückstand auf den neuen Weltmeister Michal Kwiatkowski aus Polen den 33. Platz.

Das Rennen am Sonntag führt über 256 Kilometer vom Como nach Bergamo. Die letzte Steigung (max. 12%) liegt rund 3,4 Kilometer vor dem Ziel. Dann geht es über Kopfsteinpflaster hinauf in die malerische Oberstadt von Bergamo, in die sogenannte Città Alta mit ihren stimmungsvollen Gassen, ihren imposanten Palazzi und vorbei am ältesten Rathaus Italiens, dem Palazzo Vecchio. Die Abfahrt hinunter nach Bergamo endet auf der Piazza Matteotti nach 256 Kilometern Renndistanz.

 

Herbert Watterott ist einer der bekanntesten deutschen Radsportjournalisten. Der Rheinländer berichtete unter anderem von 1965 an 41 Mal für die ARD von der Frankreich-Rundfahrt und war für viele in Deutschland die „Stimme der Tour“. Seine Beschreibungen der einzelnen Etappen im TV hatten Kultstatus. Seit 2006 ist der mittlerweile 73-Jährige im Ruhestand, dem Radsport bleibt Watterott aber bis heute eng verbunden.

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