Kommentar zu “Geheimsache Doping: Im Windschatten“

Wichtiger Denkzettel und trotzdem ist Kritik erlaubt

Von Felix Mattis

Foto zu dem Text "Wichtiger Denkzettel und trotzdem ist Kritik erlaubt"
Das Peloton passiert ein Sonnenblumen-Feld bei der Tour de France. | Foto: Cor Vos

26.06.2025  |  (rsn) – Mit der neuesten Folge der Doku-Serie "Geheimsache Doping" unter dem Titel "Im Windschatten" haben Hajo Seppelt und sein Team aus der ARD-Dopingredaktion zwei Wochen vor dem Start der 112. Tour de France am 5. Juli in Lille den Zeigefinger auf den Radsport gelegt. In der Szene und bei Radsport-Fans sorgt das für unterschiedliche Reaktionen, dabei kann es bei dieser Thematik doch eigentlich nur eine geben: Dankbarkeit.

Besonders in Sozialen Medien war zu lesen, Seppelt habe sich den Radsport als "Lieblingsopfer" seiner Recherchen ausgesucht, was nach den Veröffentlichungen der vergangenen Jahre aber ziemliicher Humbug ist – man denke an Recherchen zur Welt Anti Doping Agentur WADA, an Russland, an China und seine Schwimmer, an Marathonläufer, an Ski-Langläufer und viele andere Sportarten. Ein Blick explizit auf den Radsport blieb aus der ARD-Dopingredaktion in den vergangenen Jahren doch eher eine Seltenheit.

Und auch in den neuesten Veröffentlichungen erklärt Seppelt, die Situation im Radsport habe sich im Vergleich zu den 1990er oder 2000er Jahren sicherlich gebessert. Was aber eben nicht in Vergessenheit geraten darf ist, dass Doping natürlich weiterhin eine Rolle spielt – im Radsport genauso wie in jedem anderen Spitzensport.

Wer daran glaubt, dass der Radsport völlig sauber geworden ist, ist entweder naiv oder will die Wahrheit eben einfach nicht wissen. Dass selbst in der Nachbetrachtung der Dokumentation im eigenen Podcast zur Serie auch Überraschung mitschwingt, zeigt, wie wichtig es ist, dass das Thema Doping immer wieder in Erinnerung gerufen wird und man aufgezeigt, welche Praktiken aktuell möglich sind und auch angewendet werden.

Dass sich dabei nur externe Beobachter des Sports und Wissenschaftler mit ihrem Gesicht zeigen wollen und Informanten direkt aus der Szene in der Berichterstattung anonymisiert werden müssen, ist geradezu tragisch. Allerdings nicht, weil es deren Aussagen unglaubwürdig machen würde, sondern weil es eben offenbar notwendig ist! Das zeigen angesprochene "Todesdrohungen" in der aktuellen Dokumentation einmal mehr.

Wichtiges Wissen und konkrete Erkenntnisse

Es ist wichtig, dass weiter daraufhin hingewiesen wird, wie viele mögliche Dopingmittel es gibt, die bei Kontrollen unentdeckt bleiben – wie beispielsweise nun bei "Im Windschatten" aufgezeigt über 160 Abwandlungen des Stoffwechsel-Aktivators AICAR. Es ist auch wichtig, zu zeigen, wie einfach potenzielle Dopingringe an teure medizinische Gerätschaften kommen können, um diese für die illegale Leistungssteigerung zu missbrauchen – wie nun am Beispiel der slowenischen Firma Medico Tehna aufgezeigt.

Es ist natürlich auch wichtig, zu beleuchten, wie viele Hintermänner von Dopingmachenschaften nach wie vor unbehelligt im Sport arbeiten, obwohl sie nie geständig waren oder sich öffentlich geläutert zeigten. Und vor allem ist es extrem wichtig, zu zeigen, dass Sportverbände und sogar Anti Doping Agenturen Verdachtsfällen nicht ausreichend nachgehen und viele Betrüger so durch Verjährungsmechanismen durchs Raster fallen.

All das bietet die ARD-Dopingredaktion mit ihren neuesten Veröffentlichungen. Wer davon nichts hören oder lesen will, der hat offensichtlich auch kein Interesse an einem sauberen Sport. Denn wer sich intensiv mit dem Radsport, aber auch mit Leistungssport insgesamt beschäftigt, dem muss klar sein, dass Doping immer ein Problem bleiben wird. Betrug ist systemimmanent, solange es Personen und Personengruppen gibt, die davon profitieren können.

Kritik muss trotzdem auch erlaubt sein

Und an dieser Stelle ist natürlich auch Kritik angebracht. In der Vorberichterstattung zur Tour de France mit Begeisterung die überzogene Erwartungshaltung zu schüren, dass Florian Lipowitz ums Podium fahren wird, um offensichtlich die Einschaltquoten bei der Frankreich-Rundfahrt in die Höhe zu treiben und das Produkt Radsport besser verkaufen zu können, trägt zum Problem bei.

Kritisch zu sehen sind auch einige Details der Dokumentation: Dass etwa Tadej Pogacar im Gelben Trikot das sogenannte Thumbnail ziert, das auf den ARD-Websites auf die Doku hinführt, obwohl gegen ihn konkret nichts vorliegt, ist durchaus fragwürdig. Dass in der Dokumentation behauptet wird, die Testsysteme seien so schlecht, dass in den vergangenen zehn Jahren niemand bei der Tour de France mehr positiv getestet wurde, ist sogar falsch.

Nairo Quintanas Positivtest auf Tramadol vor drei Jahren war zwar kein Verstoß gegen die damals geltenden WADA-Regularien, aber eben doch gegen die zu diesem Zeitpunkt noch schärferen Regeln des Radsports selbst. Hajo Seppelt räumte diesen Fehler im Podcast "Radio RTW" von Max Walscheid, Tobias Knaup und Richard Weinzheimer am Montag allerdings auch offen ein – übrigens eine klare Hörempfehlung zum Thema!

Beim Thema Geschwindigkeitszuwachs etwas verhoben

Vor allem aber scheint der Drang, den enormen Geschwindigkeitszuwachs im Radsport der vergangenen Jahre kurz und knapp abstrakt erklären zu wollen, ein Fehler zu sein. Damit hat man sich offensichtlich etwas verhoben. So zeigt die Dokumentation eine Grafik mit den Durchschnittsgeschwindigkeiten der Paris-Roubaix-Sieger von 1998 bis 2024. In diesem Zeitraum ist man dort um 9,6 km/h schneller geworden.

Anschließend lässt man Vertreter von Radhersteller Colnago zum Thema schnellere Fahrräder, vom Team Visma – Lease a Bike zu aerodynamischerer Kleidung und der Mannschaft Alpecin – Deceuninck zu verbesserter Ernährung und Kohlenhydrataufnahme zu Wort kommen. Das sind drei Faktoren, die aus der Szene immer wieder angeführt werden, um die neuen Rekordzeiten an diversen Anstiegen oder auch über gesamte Renndistanzen und das gesteigerte Leistungsvermögen der Sportler zu erklären.

Aufgrund der angeführten Punkte errechnet die Redaktion eine mögliche Geschwindigkeitssteigerung bei vergleichbaren äußeren Bedingungen und gleichem Krafteinsatz von 4 km/h in den letzten zehn Jahren - allein das so zu pauschalisieren, ist fragwürdig, aber sei's drum. Die 4 km/h jedenfalls wirken im Vergleich mit den Roubaix-Geschwindigkeiten von 1998 und der Steigerung um 9,6 km/h als zu wenig und suggerieren somit, dass auch andere Hilfsmittel für diese Geschwindigkeitssteigerung gesorgt haben – etwa Doping. Was dabei aber untergeht: Vor eben jenen zehn Jahren war John Degenkolb als Roubaix-Sieger mit 43,48 km/h nur 2,42 km/h langsamer als Mathieu van der Poel 2025 und um 4,32 km/h als bei dessen Rekordritt von 2024.

Dieser Vergleich konterkariert also die eigene These – und das schon ganz unabhängig davon, dass Paris-Roubaix als Gesamtrennen für solche Vergleiche aufgrund der großen Windanfälligkeit der flachen Strecke durch Nordfrankreich, Windschatteneffekten in unterschiedlich großen Fahrergruppen zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Rennen und vor allem auch taktischen Variablen in der Renngestaltung völlig ungeeignet ist.

Unterm Strich bleibt: Unabhängig Bewusstsein zu schaffen ist wichtig

Trotz dieser Kritik bleibt unterm Strich aber eben der Punkt, dass der investigativ-kritische Blick auf den (Rad-)Sport und Berichterstattung zum Thema Doping beziehungsweise dem unangemessenen Umgang mit der Doping-Problematik enorm wichtig ist – auch und gerade kurz vor einer Tour de France, wenn die Aufmerksamkeit am höchsten ist. Sich gegen Hajo Seppelt und die ARD-Dopingredaktion sowie deren enorm wertvolle Arbeit zu verwehren und sie als Radsportfeinde zu verteufeln, ist ein völlig falscher Reflex!

Es sei denn, man will eben gar keinen sauberen Sport. Dann aber darf man gerne im kommenden Jahr in den USA die "Enhanced Games" verfolgen anstatt den Radsport, der Vorbilder auch für Kinder erzeugen soll.

Und übrigens: Dass die ARD-Dopingredaktion ihre Arbeit machen kann, verdankt der Weltsport natürlich auch den Rundfunkgebühren in Deutschland. Nur falls Sie zu denen gehören, die selbige am liebsten abschaffen würden…

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