Legendärer Anstieg seit 2017 wieder im Programm

Flandern-Rundfahrt: Nicht ohne die Muur

Von Eric Gutglück

Foto zu dem Text "Flandern-Rundfahrt: Nicht ohne die Muur"
Flandern-Rundfahrt 2017: Philippe Gilbert an der Muur | Foto: Cor Vos

03.04.2020  |  (rsn) – Philippe Gilbert stieg von seiner Rennmaschine ab, überquerte den Zielstrich zu Fuß und reckte sein Rad in den Himmel über Oudenaarde. "Viele Leute dachten, ich sei verrückt, 55 Kilometer vor dem Ziel zu attackieren. Ich auch“, gestand der Sieger der Flandern-Rundfahrt 2017 im Ziel ein. Der Belgische Meister krönte eine taktische Meisterleistung seines Teams Quick-Step Floors, welches das Rennen an der Muur von Geraardsbergen in die Hand genommen hatte.

An dem 1.075 Meter langen legendären Kopfsteinpflasteranstieg gut 95 Kilometer vor dem Ziel hatte der dreimalige Ronde-Gewinner Tom Boonen mit seinem Teamkollegen Gilbert am Hinterrad attackiert. Mit Matteo Trentin war Quick-Step Floors sogar mit einem dritten Fahrer in der vorentscheidenden Selektion vertreten, der insgesamt 22 Fahrer angehörten. Die Muur brachte so schon weit vor dem Ziel die Vorentscheidung.

Dabei war der Anstieg, quasi versteckt hinter dem Marktplatz von Geraardsbergen, nach fünf Jahren Abstinenz gerade erst wieder in den Parcours der Flandern-Rundfahrt aufgenommen worden. Bis 2011 hatte die Muur gemeinsam mit dem Bosberg das Finale des seit 1913 ausgetragenen Radsportmonuments gebildet. Fabian Cancellara ritt hier 2010 seine legendäre Attacke, bei der er im Sattel sitzend den belgischen Nationalhelden Boonen abschüttelte und sich am Ende überlegen seinen ersten Sieg bei der Ronde sicherte.

Keine Muur von 2012 bis 2016

Der Aufschrei unter den Fans war verständlicherweise groß, als die Organisatoren von "Vlaanderens Mooiste“ für die 2012er Austragung entschieden, den bis zu 20 Prozent steilen und schmalen Pflasteranstieg hinauf zur Kapelle aus dem Rennen zu nehmen und damit das Finale der Ronde entscheidend umzugestalten. Dabei ist die Muur im Regelfall für Autos nicht befahrbar – Poller schützen den als Fußweg deklarierten Anstieg vor dem Verkehr. Nur zur Ronde werden diese entfernt.

Bereits zwischen 1954 und 1970 musste der Frühjahrsklassiker ohne die schmale Passage auskommen, nachdem sie aufgrund regelmäßiger Stürze im Feld und den dazwischenfahrenden Begleitfahrzeuge für Gefahr und Verwirrung  sorgte. Seit der Wiedereinführung 1971 hatte die Muur rund 18 Kilometer vor dem Ziel das Finale eröffnet und gepaart mit dem Bosberg gut fünf Kilometer später für die (Vor-)Entscheidung gesorgt.

Doch genau jene Berechenbarkeit war den Offiziellen ein Dorn im Auge. Zu oft warteten die Fahrer die Passage der Muur ab, ehe die Favoriten in die Offensive gingen. Mit einer einschneidenden Änderung sollten die Fahrer dazu animiert werden, den Schlagabtausch früher zu eröffnen.

Als 2012 das Ziel des Rennens von Ninove nach Oudenaarde verlegt wurde, ging damit auch das neue Finale einher, das fortan über das Duo aus Oude Kwaremont und Paterberg führte – zwei ebenfalls brettharte Hellingen, aber keineswegs so mystisch und eng verwoben mit der Ronde wie die Muur, die schon 1950 erstmals im Rahmen der Flandern-Rundfahrt befahren wurde.

Brachte die Streckenänderung den gewünschten Effekt?

Der Qualität der Siegerliste tat die Änderung zumindest keinen Abbruch: Mit Tom Boonen und Fabian Cancellara siegten die zwei wohl besten Klassikerfahrer ihrer Generation auf der alten und auf der neuen Streckenführung. Auch sonst gewannen weiterhin jene Fahrer die Ronde, denen das Attribut "Klassikerspezialist“ auf den Leib geschneidert ist.

Die Premiere des neuen Finales 2012 verlief noch reichlich unspektakulär. Boonen biss sich an seinem Mitstreiter Filippo Pozzato über Oude Kwaremont und Paterberg fest und bezwang den Italiener letztlich dank seiner Endschnelligkeit im Sprint. Doch schon ein Jahr später war es dann Cancellara, der bei der letzten Passage des Oude Kwaremont in die Attacke ging und schließlich am finalen Paterberg Peter Sagan die Daumenschrauben anlegte. Während der Schweizer das Tempo an der gepflasterten Rampe sukzessive erhöhte, schwanden Sagan zusehends die Kräfte, so dass Cancellara schließlich aus einer Handvoll Sekunden Vorsprung auf dem Gipfel einen überlegenen Solosieg machte.

Im Jahr darauf gewann "Spartakus“ schließlich im Sprint eines Spitzenquartetts. Dabei trat Cancellara zwar erneut erst am Oude Kwaremont in Erscheinung, doch aus der Gruppe heraus schlug er mit Greg Van Avermaet und Stijn Vandenbergh zwei Fahrer, die sich immerhin bereits 40 Kilometer vor dem Ziel an die Spitze setzten und für ihren frühen Offensivgeist mit den Plätzen zwei (Van Avermaet) und vier belohnt wurden. Allerdings trat weiterhin das alte Problem auf: Die Favoriten warteten meist auf die letzten beiden Hellingen, ehe sie sich in die Offensive wagten.

Wiederaufnahme der Muur sorgt für Spannung

Also mussten die Organisatoren erneut handeln: Für die Auflage von 2017 wurde die Muur van Geraardsbergen reaktiviert und 95 Kilometer vor dem Ziel in den Parcours integriert. Die wohl besten Austragungen auf der neuen Streckenführung fanden zweifelsfrei seit der Wiederaufnahme statt. Der Anstieg ist nicht nur legendär. Er ist so herausfordernd, dass schon über 90 Kilometer vor dem Ziel eine Selektion herbeigeführt werden kann. In den drei Austragungen seit der Wiederaufnahme der Muur versuchten hier die Favoriten regelmäßig, das Rennen für die Konkurrenz schwer zu machen und entweder Teamkollegen oder sich selbst in einer Spitzengruppe zu platzieren.

Das Comeback der Muur wussten Gilbert 2017, Niki Terpstra 2018 sowie Alberto Bettiol 2019 glänzend zu nutzen. In allen drei Jahren verschärften die Teams des späteren Siegers an der Muur das Tempo und sorgten entweder für eine rennentscheidende Spitzengruppe oder isolierten einige der weiteren Favoriten von deren Helfern. Bettiol setzte im Vorjahr seine siegbringende Attacke schließlich am Oude Karemont und verteidigte seinen Vorsprung über den Paterberg bis ins Ziel.

Terpstra hatte ein Jahr zuvor die Favoritengruppe am Kruisberg 27 Kilometer vor dem Ziel auseinander genommen – nachdem das Rennen ebenfalls an der Muur schnell gemacht wurde - und siegte schließlich überlegen vor Mads Pedersen, der das Finale ebenfalls früh eröffnet hatte und sich mit Rang zwei belohnte.

Gepaart mit dem sehr schweren Finale über Oude Kwaremont und Paterberg entstanden seit der Wiedereinführung der Muur attraktive Rennsituationen und taktische Leckerbissen, die in drei Auflagen mit Gilbert und Bettiol zwei eher überraschende Sieger hervorbrachten. Einzig 2018 setzte sich mit Terpstra der Topfavorit in Oudenaarde durch. Als Radsportfan kann man jedenfalls nur hoffen, dass diese Streckenführung noch lange Bestand haben wird und weiterhin für Spannung, Drama und Überraschungssieger sorgt.

Highlight-Video der 101. Flandern-Rundfahrt:

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