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29.12.2025 | (rsn) – Während viele Gravelspezialisten noch als "Privatiers" über Sponsorenverträge hauptberuflich Radfahren können, sind in jüngster Vergangenheit strukturelle Tendenzen zu beobachten, die stark an die Entwicklung im Straßenradsport erinnern. Derzeit kommen mehr und mehr internationale Off-Road- oder gar reine Gravel-Teams auf den Markt, die nach RSN-Recherche unterschiedlich weit in ihrer Professionalisierung vorangeschritten sind.
Einer der Gravel-Pioniere Europas im Profibereich, Paul Voß (AUTSAID), deutete im Gespräch mit RSN an, dass sich hinsichtlich der Professionalisierung von Gravel-Teams 2026 "einiges verändern wird". Grund genug, dieser Annahme mal genauer nachzugehen und bei unterschiedlichen Teams "anzuklopfen". ___STEADY_PAYWALL___
Paul Voß ist Deutschlands bester Gravel-Profi. | Foto: Pierre Barton/Rosebikes
Luis Neff, einer der Gründer und Teamchef von Rose Racing Circle, möchte den nächsten Schritt in der Professionalisierung des Sports gehen, dabei aber nicht den Ursprungsgedanken des Teams ganz aus den Augen verlieren, wie er auf Anfrage von RSN verriet. "Gemeinsam mit drei anderen Kollegen habe ich das Team im Winter 2022 gegründet", erzählte er. "Unsere Idee war dabei, ein disziplinübergreifendes Team auf die Beine zu stellen, das an keinen festen Rennkalender gebunden ist und freie Entscheidungen treffen kann. Eine Mannschaftsstruktur, die es bis dato noch nicht gab. Wir wollten keinen Druck innerhalb der Gruppe erzeugen und jedem Mitglied die Freiheit geben, seine intrinsische Motivation auszuleben", beschrieb er die Werte des Rose Racing Circle, die auch nach drei Jahren des starken Wachstums immer noch ihren Bestand haben.
Der gute Team-Spirit steht Neff ins Gesicht geschrieben | Foto: instagram.com/luis_neff
Mit anderen Ambitionen und offensichtlich auch mehr finanziellen Möglichkeiten im Hintergrund agiert Tobias Kongstad, einer von zwei Verantwortlichen, die die Geschicke von PAS Racing leiten. Das 2024 gegründete Team hat den dänischen Radbekleidungshersteller Pas Normal Studios im Rücken, der ursprünglich mit einem geplanten Budget ein UCI- Straßenteam lizensieren lassen wollte.
Ein Glück für Kongstad und seine Entourage, dass dieses Vorhaben scheiterte. Denn so kann das Team des Mannes, der selbst in diesem Jahr The Traka360 gewann, Fahrerinnen und Fahrer verlässlich bezahlen.
Tobias Kongstad bejubelt seinen Erfolg bei The Traka 360 | Foto: Sonam Gotthilf
“Bei uns stehen für die kommende Saison neun Vollzeit-Profis als Freiberufler auf der Payroll, die sich um nichts kümmern müssen. Lediglich ihre Versicherung und eigene Räder müssen alle selbst organisieren. Wobei sie dadurch bei Radherstellern nochmals mit zusätzlichen Sponsorenverträgen dazuverdienen können", beschrieb Kongstad die Beschäftigungsverhältnisse bei PAS Cycling. "Dazu kommen noch drei U23-Fahrer(-innen) und weitere Teammitglieder, die im Straßenradsport 'Soigneurs' genannt werden - diese aber nicht in Vollzeit. Die Mechaniker, die uns auf größeren Rennen begleiten, arbeiten bei uns als Honorarkräfte."
Eine von den “Vollzeit-Profis” ist die ehemalige WorldTour-Fahrerin Romy Kasper, die sich zu Saisonende ganz bewusst entschieden hatte, von der Straße ins Gravellager zu wechseln. “Die Bezahlung in einem Gravel-Team ist mit der bei einem WorldTeam überhaupt nicht zu vergleichen”, rückte die 37-Jährige die aktuellen Verhältnisse im Gespräch mit RSN zurecht. “Im Gravel lebt der Fahrer doch noch mehr von den eigenen Sponsoren als von der Bezahlung durch das Team”, so Kasper.
Romy Kasper bei der Gravel-WM in Limburg | Foto: Romy Kasper privat
So weit wie Kongstad scheint Neff, der sich im Team um das Sponsoring und die strategische Ausrichtung kümmert, noch nicht zu sein. Rückblickend vergleicht er die Gründungsphase mit einem Start-Up-Projekt. “Wir gründeten zu Beginn eine Firma, die Home of Racing UG, die uns zu gleichen Teilen gehört; ohne ein großes Unternehmen im Background. Damit konnten wir nicht, und können es auch immer noch nicht, mit dem Budget eines Straßen-ProKontinental- oder Kontinental-Teams hantieren“, umriss Neff die finanziellen Möglichkeiten, wobei er zum Budget keine Angaben machen wollte.
Dennoch könne man sich der Professionalisierung, die der Sport in den letzten zwei Jahren durchlaufen hat, nicht entziehen. "Wir sind eines der wenigen Teams, das Microsoft Teams benutzt, um Dateien zu teilen oder Onlinemeetings abzuhalten", meinte er. Auch das Organisationsteam wuchs auf acht Personen an und mit Radhersteller Rose habe das Team einen äußerst starken verlängerten Arm im Bereich Logistik und Medienpräsenz an seiner Seite.
Neben dem Rose Racing Circle unterstützt das Bocholter Unternehmen mit dem Classified x Rose Gravel Team, in dem auch Ex Straßen-Profi Thomas De Gendt fährt, seit 2025 ein weiteres Gravel-Team.
Luis Neff gehört auch als aktiver Fahrer zum Kader von Rose Racing Circle | Foto: Pierre Barton/Rose Bikes
Angesprochen auf die Bezahlung seiner Fahrer, wollte sich Neff nicht in die Karten schauen lassen. "Es gibt Fahrer bei uns, die kein Geld mit ihrem Sport verdienen und solche, die über die Teamstruktur bezahlt werden. Das Team stellt nicht alle Leute an; Es gibt auch Speziallösungen, bei denen es über Sponsoren läuft", meinte er. "Zusätzlich werden natürlich leistungsbezogene Boni von Rose und anderen Partnern bezahlt."
Obwohl auch Kongstad keine Zahl zum Budget nennen wollte, gab er doch eine überraschende Information preis: "Der finanzielle Aufwand eines professionellen Gravel-Teams, bei dem die Fahrer komplett bezahlt werden und sich um nichts kümmern müssen, wird das Budget mancher Straßenteams übersteigen, die überwiegend in Europa fahren. Wir sind viel in Übersee unterwegs und das kostet!"
Kongstad ist einer der Köpfe hinter dem dänischen PAS Cycling Team und fährt selbst erfolgreich Gravelrennen. | Foto: Nils Correvon
"Die fortschreitende Professionalisierung des Sports mit reinen Gravel-Profiteams oder WorldTeams, die Gravelfahrer unter Vertrag nehmen, bringt natürlich auch uns in gewissem Maße in Zugzwang", sagte Neff. "Mit unseren Möglichkeiten gehen wir das ein Stück weit mit. Im nächsten Jahr werden wir bei einigen Rennen eigene Mechaniker vor Ort haben und mit eigenen Teamfahrzeugen zu Rennen fahren können."
Die Rolle des Radsportweltverbands UCI im Wachstumsprozess des Sports und damit einhergehend auch der Teams schätzte er eher nüchtern ein. "Ich habe das Gefühl, die UCI hat gar nicht verstanden, was Gravel eigentlich ist (Die UCI hat 2022 Gravel als eigene Disziplin anerkannt und 2023 mit der UCI World Gravel Series eine eigene Rennserie ins Leben gerufen, d. Red.). Da gibt es auch kein Konzept seitens des Weltverbandes für den Sport. Welchen Wert soll denn eine WorldSeries haben, die über 40 Rennen im Jahr beinhaltet, die teils auch noch parallel stattfinden?", fragte er.
Den Wert, das seit 2023 existierende Canyon CLLCTV Team im kommenden Jahr auf noch professionellere Füße zu stellen, hat der Koblenzer Radhersteller erkannt. Glaubt man Gerüchten in der Szene, werden sich die Strukturen des Teams denen von Profi-Straßenteams weiter annähern; mit beispielsweise Fahrern und Fahrerinnen, die vom Team direkt unter Vertrag genommen werden.
Auf Anfrage von RSN zu diesem Gerücht hielt man sich in der Presseabteilung von Canyon noch bedeckt. Mit Verweis auf den Februar 2026 teilte Kommunikationsdirektor Ben Hillsdon mit: “Wir können bestätigen, dass wir im Jahr 2026 ein neues professionelles Gravel-Team bei Canyon haben werden, das parallel zu einigen unserer Privatiers starten wird. Was Details zu diesem Team angeht, befinden wir uns noch nicht in der Position, vor unserer offiziellen Pressemitteilung Anfang des Jahres Einzelheiten zu veröffentlichen.”
Carolin Schiff prägte den professionellen Frauen Gravel-Sport in Europa wie keine Zweite. | Foto: Jan Seebeck
Der Gedanke, sich bei Gravel-Teams fest anstellen zu lassen, ist auch für Unbound-Siegerin (2023) Carolin Schiff reizvoll. Die 39-Jährige startete in der Vergangenheit als Privatiere für das CLLCTV und kann einer Festanstellung bei einem Gravel-Team durchaus Positives abgewinnen, wie sie RSN erzählte. “Solche Möglichkeiten wird es im nächsten Jahr geben”, meinte Schiff, “und ja, definitiv könnte das auch für mich interessant sein. Denn der Aufwand, den wir als Selbstständige betreiben müssen, ist schon enorm.” Wie weit ihre Überlegungen in dieser Richtung fortgeschritten sind, wollte Schiff allerdings nicht mitteilen.
Wie in der Szene gemunkelt wird, soll zudem auch Radgigant Specialized sein Off-Road Team im kommenden Jahr ausbauen wollen. Auf eine Antwort von Specialized zu dieser möglichen Entwicklung wartete RSN bisher jedoch vergebens.