Interview mit dem Columbia-Sportchef

Aldag: Tony Martin muss sich festigen

Von Christoph Adamietz

Foto zu dem Text "Aldag: Tony Martin muss sich festigen"

Columbia-Sportdirektor Rolf Aldag

Foto: ROTH

22.08.2009  |  Die Saison 2008 war bei Columbia schon sehr erfolgreich, 2009 läuft es fast noch besser. Hätten Sie es der Mannschaft zugetraut, dass noch einmal eine Steigerung möglich ist?

Rolf Aldag:
"Man hofft natürlich, aber muss auch realistisch sagen, dass man irgendwann an eine Grenze kommt, wo ein Jahr mit weniger Siegen nicht automatisch ein schlechtes Jahr sein muss. Das Ziel vor der Saison war, die Qualität der Siege zu steigern. Wir wollten uns mehr auf die ganz wichtigen Events konzentrieren. Das hat mit San Remo, dem Giro und der Tour bisher auch sehr gut geklappt. Ob wir am Ende dann vielleicht ein paar Siege weniger als letztes Jahr haben, das macht die Saison nicht schlechter."

Was war das Highlight unter den vielen Siegen?

Rolf Aldag:
"Überraschend kam der Erfolg in San Remo. Dass wir mit Cavendish Etappen bei Giro und Tour gewinnen können, das war schon geplant. Dass es dann aber so viele wurden, war dann doch auch überraschend. Unerwartet auch der Etappensieg bei der Tour mit dem Kategorie-2-Berg kurz vor dem Ziel, als nur noch 30 Mann in der Gruppe waren. Diese Etappe hatten wir nicht wirklich eingeplant.“

Cavendish scheint noch schneller zu sein als 2008. Er kommt aber auch deutlich besser über die Berge. Wie konnte er sich in zwei so gegensätzlichen Dingen verbessern?

Rolf Aldag:
"Ich glaube nicht unbedingt, dass er schneller ist. Es ist natürlich auch von Vorteil, dass die Mannschaft eine tolle Vorarbeit leistet. Mit Mark Renshaw bildet er bis zur 200-Meter-Marke ein Tandem. Er fährt einfach nur hinterher. Das ist sehr luxuriös für ihn. Vorher musste er schon den einen oder anderen Antritt machen, um in die richtige Position zu kommen. Jetzt hat er eine Mannschaft vor sich, die ihn ab drei, vier Kilometer vor dem Ziel vorne platziert. Er spart so viel mehr Energie für den letzten Sprint. Außerdem hat er ein bisschen an Gewicht verloren. Er fährt jetzt auch die ersten Rennen nicht mehr, um dort abzunehmen sondern geht schon früh im Jahr fit in die Rennen, um gleich zu gewinnen. So kann er mehr mit der Form, die ihm zur Verfügung steht, spielen.“

Der Zug für Cavendish hat vor allem bei der Tour hervorragend funktioniert. Wie oft wurde das trainiert?

Rolf Aldag:
"In der Komplettbesetzung gar nicht so oft. Das war nicht möglich, weil die Fahrer verschiedene Programme hatten. Aber die Fahrer haben eine Klasse. Wenn sie das einmal, z.B. bei der Kalifornien-Rundfahrt, trainiert haben, verlernen sie das dann nicht mehr. Sie können sich schnell aufeinander einstellen. Letztlich waren sie bei der Tour aber nicht nur taktisch schlauer, sondern einfach auch richtig gut.“

Wer war die Überraschung, wer ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben?

Rolf Aldag: "Überraschung war Rabon mit frühen Zeitfahrsiegen. Er hätte beim Criterium International, das er als Zweiter beendete, fast den Dauersieger Jens Voigt geschlagen. Er hat sich vom reinen Helfer zu einem Siegfahrer verbessert. Bei einigen Fahrern hatten wir hingegen etwas Pech mit Verletzungen, was sich dann auch in den Resultaten widerspiegelte. Kim Kirchen hat sich in Kalifornien das Schlüsselbein gebrochen und ist nur schwer in Schwung gekommen. Bei der Tour de Suisse hat er dann überlegen eine Etappe gewonnen, war aber sicherlich nicht so in Form wie im letzten Jahr.“

Die Erfolge im Team wecken natürlich auch Begehrlichkeiten von anderen Mannschaften, gerade wenn Verträge auslaufen.  Wie schwer ist es, für die kommende Saison die Mannschaft zusammen zu halten?

Rolf Aldag: "Wenn Verträge auslaufen, dann hat jeder Fahrer das Recht, sich umzuorientieren oder mehr Geld zu verdienen. Das ist keine einfache Situation für uns. Schon im Mai hatte ich ein Gespräch mit einem Manager, der mir gesagt hat: Wenn ihr den Wert eurer Mannschaft aufs Papier schreibt, dann steht da unterm Strich: Unbezahlbar.“

 

 Wie können Sie sich das Team trotzdem leisten?

 Rolf Aldag: „Was wir anbieten können, ist eine hundertprozentige Unterstützung für unsere Rennfahrer in jedem Bereich. Da machen wir gute Sachen. Wir hatten 15 Mann im Windkanal. Wenn eine andere Mannschaft ein oder zwei Fahrer im Windkanal hat, dann ist das viel. Wir sagen nicht nur: Ihr müsst härter trainieren und schneller fahren, sondern bieten ihnen auch etwas. Wenn man aber 85 Rennen gewinnt, fällt man irgendwann auf die Füße. Dann ist es natürlich schwer, die Mannschaft zusammen zu halten. Wenn man viel gewinnt, dann will man auch eine Kapitänsrolle haben, aber man kann eben nicht acht Kapitäne haben. Deshalb müssen sich dann irgendwann auch mal die Wege trennen. Wir brauchen auch Leute, die sagen: Ich kriege volle Mannschaftsunterstützung, um die Murcia Rundfahrt zu gewinnen und können sich dadurch motivieren, sieben Stunden im Regen zu trainieren. Wir sehen das aber nicht so kritisch. Wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass wir mit jungen Rennfahrern gut arbeiten und sie an die Spitze bringen können. Es ist nicht so, dass es keinen Morgen mehr gibt, wenn wir Leute verlieren. Dann freuen wir uns auf die neue Aufgabe und werden mit den jungen Rennfahrern wieder so arbeiten. Und da sind wir in einer sehr luxuriösen Situation, weil ganz viele junge Fahrer zu uns kommen wollen. Sie sehen da diesen Benefit. Sie sehen, wie sich junge Kerle wie Tony Martin, Edvald Boasson Hagen oder Cavendish bei uns entwickelt haben.“

Können Sie bezüglich Neuverpflichtungen und Abgängen etwas Konkretes sagen?

Rolf Aldag: "Nein, da wir diese 1. September-Regelung haben. Wenn wir zuvor etwas bekannt geben, dann kann das richtig teuer werden. Außerdem wollen wir irgendwann die Mannschaft auch als Gesamtes präsentieren. Wir sind mit den Planungen aber auch noch nicht komplett durch. Deswegen treffe ich mich am Rande der Irland-Rundfahrt mit Bob Stapleton. Da werden wir noch mal genau über die Zukunft des Teams sprechen.“

Wie wird das Teams 2010 aussehen? Wird es viele neue Gesichter geben?

Rolf Aldag: "Grob absehen kann man das Ganze. Es werden viele junge Fahrer zu uns stoßen. Vielleicht werden wir deshalb die Mannschaft etwas größer machen als dieses Jahr. Mit unseren 25 Fahrern sind wir als ProTour-Team etwas an unsere Grenzen gestoßen. Im Moment haben wir mit Eneco-Tour, GP Plouay und der Irland-Rundfahrt ein Dreifachprogramm. Da wird es knapp wenn Sivtsov und Hincapie mit Schlüsselbeinbruch ausfallen. Deshalb überlegen wir, ob wir zahlenmäßig wieder etwas nach oben gehen, um die jungen Fahrer nicht von einem Rennen zum anderen jagen zu müssen.“

Die Deutschen haben in diesem Jahr bei Columbia überzeugt, allen voran Tony Martin und André Greipel. Wird man bei Columbia auch weiterhin auf deutsche Fahrer setzen?

Rolf Aldag: "Bei uns ist es sicherlich kein Hindernis, Deutscher zu sein, aber auch kein Vorteil. Bei uns spielt der Pass keine Rolle. Wenn wir übermorgen einen super Chinesen sehen, dann könnte der auch ins Team passen. Das bringt uns in eine gute Situation, weil wir nicht limitiert sind bei der Fahrerauswahl. Wir haben jetzt noch eine starke Bindung zu Deuschland und wahrscheinlich fallen uns Talente dort auch besser auf. Mit Jan Schaffrath haben wir einen deutschen sportlichen Leiter, einen Berater Erik Zabel, meine Wenigkeit, Physiotherapeuten und Mechaniker aus Deutschland. Da kriegt man öfter auch mal einen guten Tipp, was Fahrer angeht, und da sind wir auch weiterhin offen für. Eine der Stärken der Mannschaft war, dass sie auf jedem Terrain Siege einfahren konnte.

Wird bei der Teamzusammenstellung für 2010 auch darauf wieder geachtet?

Rolf Aldag: "Ganz ehrlich muss man sagen, dass die Frühjahrsklassiker mit Roubaix und Flandern für uns nicht übermäßig gut gelaufen sind. Da waren wir auch nicht überdurchschnittlich besetzt und nicht die bestimmende Mannschaft. Der Schwerpunkt wird weiter im Sprint auf Cavendish und Greipel liegen. Da werden wir versuchen, noch gute Jungs für den Zug zu bekommen. Man muss aber auch Ambitionen für die Gesamtwertung haben. Wenn man im Auto 21 sitzt, macht das auch dem Sportlichen Leiter nicht viel Spaß. Ein potenzieller Tour de France-Sieger steht bei uns aber nicht wirklich auf dem Plan. Ich denke, dass unser Weg, auf Talente zu setzen, der richtige ist. Und da ist Tony Martin das beste Beispiel. Erstes Jahr war Findungsphase, 2009 war er sehr stark und wir hoffen, dass er 2010 noch gefestigter sein wird.“

Was trauen Sie Tony Martin in der Zukunft zu?

Rolf Aldag: "Ich mache nie endgültige Prognosen. Wir wollen das Schritt für Schritt angehen. Etwas anderes wäre auch psychologisch ganz schlecht. Da muss man einfach scheitern. Hätten wir einem Cavendish 2007 gesagt, dass 2009 sechs Touretappensiege Pflicht seien, hätte er mit Recht gedacht: Die erwarten von mir Unmögliches. Deswegen gehen wir lieber den nächsten Schritt. Deshalb haben wir auch gesagt, dass Grün für Cavendish dieses Jahr kein Thema ist und nächstes Jahr wird es ein Thema. Und so ist es mit Tony Martin auch. Er sollte zwar auf das Weiße Trikot fahren, aber erst mal nur befristet. Und wir fahren gegen die direkten Gegner. Wir haben nie gesagt, dass er Contador folgen soll. Stattdessen waren Kreuziger, Nibali und Schleck der Maßstab. Das ist auch für den Kopf des Fahrers besser. So wollen wir weiter vorgehen. Der nächste logische Schritt ist, dass er die zwei schlechten Tage, die er hatte, eliminiert und konstant über drei Wochen fährt. Dann ist realistisch, dass er zwischen zwölf und acht liegen wird. Dann schauen wir weiter. Es liegt mir aber fern zu sagen, dass er mal die Tour gewinnen wird.“

Welche Ziele haben Sie für die restliche Saison?

Rolf Aldag: "Bei der Vuelta rechnen wir mit André Greipel. Nach seiner Verletzung hat er fast gar nicht mehr verloren. In Polen hatte er jetzt ein kleines Aha-Erlebnis, da hat er vier Mal gegen verschiedene Fahrer verloren, dann die Schlussetappe gewonnen und in Hamburg wieder etwas den Faden verloren. Für ihn ist es wichtig, Kontinuität bis zum Ende des Jahres hinzukriegen. Die Vuelta ist ein Highlight für ihn. Ansonsten kann man sagen, dass es kein schlechtes Jahr mehr wird, egal wie viele Siege es noch werden. Unser gutes Jahr kann uns keiner mehr schlecht machen. Der Fokus liegt jetzt schon auf 2010. Da ist es im Zweifelfall wichtiger, bei Paris-Tours eine Reihenfolge im Sprint zu finden für 2010, als das Rennen zu gewinnen. Wir wollen immer einen Schritt voraus sein.

Werden noch Stagiaires verpflichtet?
Rolf Aldag: "Wir hatten es überlegt und es hätte auch Sinn gemacht. Wir hätten schon ein, zwei Kandidaten gerne gesehen. Es ist aber nicht dazu gekommen, auch weil Nationalmannschaften für die WM ihre Pläne machen. Da wollen wir nicht reingrätschen. Wir halten uns da zurück und vollziehen den Wechsel danach. Wir wissen, dass die Fahrer in guten Händen sind und starten dann nach der WM."

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