Interview mit Sebastian Lang

"Das wird vielleicht meine letzte Tour"

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25.06.2011  |  (rsn) - Sebastian Lang wird als verlängerter Arm der Sportlichen Leitung für Omega Pharma Lotto seine siebte Tour de France bestreiten. Im Interview mit Radsport News spricht der 31-Jährige über seine weiteren Aufgaben, über André Greipels Tour-Debüt, über Heimweh und deutet zudem ein nahes Karriereende an.

Sie wurden von Ihrem Team erneut für die Tour de France nominiert. Mit welchen Erwartungen gehen Sie in das Rennen?

Lang: Es ist meine siebte Teilnahme. Meine Erwartungen an mich sind ergebnistechnisch recht gering. Dafür sind die Erwartungen an das ganze Team umso höher. Wir sind sehr breit aufgestellt. Mit Philippe Gilbert können wir anspruchsvolle Etappen – zum Beispiel gleich die erste – gewinnen, Jurgen van den Broeck kann in der Gesamtwertung vorne reinfahren. Er will seinen fünften Platz aus dem Vorjahr mindestens halten. Und dann haben wir mit André Greipel noch einen Top-Sprinter. Wir sind auf jedem Terrain gefordert. Da werde ich viel zu tun haben. Auf Sprintetappen Löcher zufahren, außerdem werde ich mich um Gilbert und Van den Broeck kümmern. Es wird eine Tour de France, bei der ich sehr viel von vorne fahren muss.

Worauf liegt Ihr Hauptaugenmerkt?

Lang: Das wird das Mannschaftszeitfahren sein. Das war auch beim Giro so. Beim Mannschaftszeitfahren in Italien waren wir aufgrund einer guten Harmonie stark und nicht wegen starker Zeitfahrer. Man muss so schnell wie das schwächste Glied fahren. Das gilt auch für die Tour. Wir müssen uns akribisch vorbereiten und mit guter Taktik fahren. Wir dürfen im Kampf gegen die Uhr nicht so viel Zeit einbüßen wie in vergangenen Jahren.

Sie sind nicht nur Helfer, sondern auch Capitain de la Route. Welche Aufgaben kommen da auf Sie zu?

Lang: Ich war beim Giro zum ersten Mal der verlängerte Arm der Sportlichen Leitung. Das hat sehr gut funktioniert. Das wird bei der Tour auch so ähnlich sein. Ich habe eine jahrelange Rennerfahrung dank meiner vielen Tourteilnahmen und treffe in gewissen Situationen zumeist die richtigen Entscheidungen. Das kann sehr wichtig sein. Aber es motiviert mich auch ungemein, dass ich diese wichtige Rolle im Team ausführen darf.

Sie sind den Giro gefahren  - mit welcher Form werden Sie in die Tour gehen?

Lang: Das war ein zweischneidiges Schwert. Der Giro war extrem schwer, eine kleinen Höhenweltmeisterschaft. Nach dem Giro habe ich erstmal komplett rausgenommen, war mit der Familie in Freiburg und habe mich dann auf die DM vorbereitet. Im Vorjahr bin ich auch Giro gefahren, aber dann ohne Rennen in die Tour gegangen. Das ist diesmal anders. Wir haben eine neue Struktur gewählt mit weiteren Rennen im Vorfeld der Tour. Prozentuell ist es zwarschwer zu sagen. Ich denke aber schon, dass die Form passen wird.

Wo sehen Sie bei der Tour Ihre Hauptaufgaben?

Lang: Meine persönlichen Ambitionen sind, dass ich nicht nur im Flachen für meine Kapitäne da bin, sondern auch am Berg lange vorne bleiben kann. Beim Giro habe ich gezeigt, dass ich das kann. Ich bin bei einigen Bergetappen mit den Besten mitgefahren. Für Jurgen ist es wichtig, so lange wie möglich viele Helfer an seiner Seite zu haben. Leider ist Oscar Pujol nicht mehr in Form gekommen. Er wäre für Jurgen sehr wichtig gewesen. Ich traue es mir zu, vorne mitzuhalten und auch im Hochgebirge lange an seiner Seite sein.

André Greipel fährt seine erste Tour. Bekommt er von Ihnen eine spezielle Einweisung?

Lang: Die Tour unterscheidet sich von anderen großen Rundfahrten. Die Etappen haben weniger Höhenmeter, werden aber schneller und aggressiver gefahren. Der Stress um das Radrennen ist hoch und das Rennen selbst sehr hektisch. Aber André kann mit solchen Situationen extrem gut umgehen. Er braucht da keine Hilfe. Er hat einen guten Instinkt, kann ein Rennen lesen. Man muss ihm da nichts erklären. Er fährt aufmerksam.

Was macht die Tour für Lotto zu einer erfolgreichen Tour?

Lang: Erfolg bedeutet für uns, mit Gilbert ein, zwei Etappen zu gewinnen. Außerdem wollen wir Van den Broeck in der Gesamtwertung vorne halten. Dazu wünsche ich mir, und werde alles dafür tun, dass André bei seiner ersten Tour eine Etappe gewinnen kann. Diese drei Komponenten würden für mich den Erfolg ausdrücken.

Gibt man für einen Landsmann und guten Freund wie Greipel als Helfer noch ein paar Körner mehr, oder ist man da ganz Profi und gibt für alle Kapitäne immer Vollgas?

Lang: Ich glaube nicht ,dass das nationengebunden ist. Es ist wichtiger zu wissen, ob der Kapitän etwas reißen kann. Da spielt die Nationalität keine Rolle, sondern auch die Persönlichkeit des Kapitäns. Ich muss das Gefühl haben, dass mein Kapitän das Rennen gewinnen kann. Egal ob für Gilbert oder Greipel, ich würde mir für beide den Hintern aufreißen.

Wie sehen die letzten Tage vor der Tour aus?

Lang: Am Sonntag ist bei der DM über 208 Kilometern nichts mit schonen. Am Montag ist der letzte Tag in Erfurt, werde mit meiner Familie die Zeit verbringen, denn dann bin ich fast vier Wochen weg. Wir reisen schon am Dienstag nach Frankreich, da wir mit dem Team nochmal die Zeitfahrstrecke inspizieren werden.

Worauf freuen Sie sich bei dieser Tour am meisten?

Lang: Auf Paris.

Und auf dem Weg dorthin?

Lang: Schwer zu sagen. Ich freue mich, für Etappensiege zu arbeiten. Wir sind gut aufgestellt und haben gute Chancen. Am meisten freue ich mich aber, dass ich jeden Tag höre und erfahre, dass es meiner Familie gut geht. Nach dem Rennen kann ich abschalten. Dann bin ich Sebastian, kann mit meiner Frau und meinem Sohn sprechen. Das ist für mich viel mehr wert als alles andere.

Haben Sie da auch manchmal Heimweh?

Lang: Auf der einen Seite ist es gut, dass die Tour stressig ist und man sich da wenig Gedanken machen kann. Aber ganz ausschalten kann man es auch nicht. Das war auch beim Giro so. Seitdem ich Vater bin, ist das ganz anders als vorher. Du vermisst noch ein bisschen mehr. Vorher hast du deine große Liebe vermisst, jetzt vermisst du nicht nur die große Liebe sondern auch die kleine Liebe. Es ist schon nicht einfach, so lange weg zu sein.

Nehmen Sie jetzt auch weniger Risiken in den Rennen?

Lang: Leider erwische ich mich sehr oft, dass ich mich nach einer gefährlichen Abfahrt frage: Warum habe ich das gemacht? Ich gehe also immer noch viel Risiko ein. Die Gedanken sind schon da, aber erst danach, wenn es zu spät wäre.

Kann es sein, dass dies Ihre letzte Tour sein wird?

Lang: Das ist durchaus möglich. Ich bin im Moment offen für alles. Ich glaube an das Projekt, was Lotto angeht und vertraue da dem Teammanagement. Ich bin aber auch offen für etwas anderes. Ich weiß jedoch auch, wo es hingehen kann, wenn es für mich nicht als Radprofi weitergehen wird. Bei der Tour werden aber noch mal Gespräche geführt. Lotto wäre für mich die erste Option. Für die würde ich gerne fahren. Das Projekt Lotto läuft. Das Interesse von dieser Mannschaft ist da. Ob ich den Vertrag unterschreibe oder nicht, ist dann meine Entscheidung. Ich mache dies von verschiedenen Faktoren abhängig. Ich weiß, dass ich noch weiterfahren könnte. Auch mit anderen Mannschaften habe ich Gespräche geführt, um mir auch weitere Optionen offen zu halten. Drei Teams sind im Spiel. Aber ich beschäftige mich auch schon länger mit einer Neuorientierung. Ich frage mich oft: Wie lange willst du noch fahren, willst du wirklich so oft von der Familie weg sein. Und umso länger ich noch fahre, umso schwerer wird es, sich in einem anderen Beruf sich etwas aufzubauen.

Können Sie sich auch eine Zukunft im Radsport vorstellen?

Lang: Nein, definitiv nicht. Sportlicher Leiter oder ähnliches zu werden könnte ich mir nicht vorstellen.

Gibt es schon eine definitive Entscheidung über Ihre Zukunft?

Lang: Vielleicht ist die Entscheidung schon gefallen.

Bis wann wollen Sie die bekannt geben?

Lang: Mit meiner Frau habe ich darüber gesprochen. Ich werde auf jeden Fall einen Offenen Brief schreiben und darin meine Gründe darlegen. Ich möchte den Leuten mitteilen, warum ich mich wie entschieden habe. Den richtigen Zeitpunkt dafür zu finden, das ist schwer. Ich hänge sehr am Radsport, es ist für mich eine Welt, die mit einem Traum begonnen hat. Ich habe schon als kleiner Junge vom Tourstart geträumt, und 2004 wurde er wahr. Es ist dann nicht einfach, einen Abschied durchzuziehen. Einen fixen Termin kann ich nicht nennen.

Treffen Sie die Entscheidung allein oder in Rücksprache mit Ihrer Frau?

Lang: Meine Frau könnte durchaus meine Meinung ändern. Das wäre möglich – in beide Richtungen. Ich ziehe sie immer zu Rat und möchte mit ihr die Entscheidung treffen. Die Entscheidung fällt gemeinsam und sie wird großen Einfluss haben. Wenn sie sagt: Fahr weiter, dann würde ich mich wohl umstimmen lassen.


Mit Sebastian Lang sprach Chrsitoph Adamietz.

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