Schermanns Tour-du-Faso-Tagebuch

So stelle ich mir eine “Out-of-Body-Experience“ vor

Von Peter Schermann

Foto zu dem Text "So stelle ich mir eine “Out-of-Body-Experience“ vor"
Das Team Embrace the World nach dem Mannschaftszeitfahren bei der Tour du Faso | Foto: Embrace the World

01.11.2018  |  (rsn) - Nach kurzem Transfer kommen wir sehr zeitig zum Start des Teamzeitfahrens in Sabou an. Dan Craven und ich müssen einem natürlichen Bedürfnis nachgehen und beschließen, aus dem Bus zu steigen und mit den Rädern eine Toilette zu suchen. Als wir kurze Zeit später zurückrollen, ist der Bus inklusive unserer Helme/Schuhe und Trikots bereits zum 30 Kilometer entfernten Zielort aufgebrochen...

Panik bricht aus. Ich kann’s es erst nicht glauben. Enzo versucht, mit dem Auto den Bus wieder einzuholen, schafft es aber nicht. Die Uhr tickt, wir müssen reagieren - pünktlich zu Halloween quetsche ich mich in das XS-Ersatzkit und in die viel zu kleinen Ersatzschuhe von Julian Hellmann. Zum Start rolle ich noch ohne Helm, diesen finde ich in letzter Sekunde bei einem anderen Team. Kurz bevor es los geht und ohne Warm Up komme ich bei den noch verbliebenen vier Fahrern unseres Teams an, würge mir noch schnell ein Gel runter. Dan hat weniger Glück und bei ihm dauert es länger, bis er Ersatzmaterial bekommt...uns fehlt vom Start weg also ein Mann!

KM 1: Basti führt uns raus und bringt das Team auf Geschwindigkeit. Der Helm ist mir zu klein und drückt bereits jetzt an Kopf und Kinn.

(Anmerkung: Da mein Garmin natürlich auch im Bus liegt, können die Kilometerangaben stark von der Realität abweichen)

KM 1,5: Es geht ziemlich flott los, vielleicht etwas zu schnell...ich habe gar nicht das Gefühl, dass ich derjenige bin, der hier mit rund 50 km/h in der Perlenschnur hängt. So in etwa stelle ich mir eine Out of Body Experience vor... Die Stellung von Julians Pedalplatten ist genau konträr zu meinem eigentliche Setup- in der ersten Führung findet das meine (spärlich vorhandene) Muskulatur gar nicht lustig.

KM 8: Ich bin jetzt voll da. Schei** drauf, was war, wir müssen hier und jetzt versuchen, das Maximale rauszuholen, auch wenn wir einer weniger sind als die anderen!

KM 18: Wir halten ein gutes, konstantes Tempo. Matthias Plattner hat Probleme und kann nicht mitführen. Mein schlechtes Gewissen den Jungs gegenüber, dass Dan und ich es versaut haben, lässt mich die schmerzenden Beine etwas verdrängen! Ich rede mir bei jeder Ablösung ein, dass wir es trotz allem schaffen können. Der Spruch: “Wer nicht aufgibt, kann nie verlieren“ kommt mir in den Sinn und ich beiße mich fest.

KM 21: Wir sind jetzt nur noch zu viert. Matthias musste reißen lassen! Viel darf jetzt nicht mehr passieren, denn drei Fahrer müssen ins Ziel kommen.

KM 22: Ich sehe verschwommen von weitem ein Schild näher kommen und bete, dass da nicht 15 km drauf gepinselt sind... Glück gehabt! Nur noch 10 km - da kann man eigentlich immer nochmal was mobilisieren, haha. Julian und Hermann Keller sind stark und fahren längere Ablösungen.

KM 26: Das Tempo fällt etwas zusammen- ich schreie: "schneller“. Basti sagt seine gefühlt ersten zwei Worte des Tages : "So bleiben“. Wird gemacht, Chef!

KM 27: An erster Position fahrend steuere ich auf eine 90-Grad-Kurve zu, die innen komplett voll Sand liegt. Da nicht einsehbar, entscheide ich mich, die Jungs von außen in die Kurve zu führen und diese nicht zu schneiden. Ein Fahrer, der namentlich nicht genannt werden möchte, sieht das anders, zieht nach innen rein und räumt uns fast alle ab. Nochmal gut gegangen!

KM 28: Am 4-km-Schild geht es eine Welle hoch und wir verlieren Basti. Zum Abschied sagt er zur Abwechslung einfach mal nichts. Danke Basti! Jetzt sind es nur noch Julian, Hermann und ich. Beim Dritten, der über die Linie fährt, wird die Uhr gestoppt.

KM 30: 2 Kilometer noch, wir sind jetzt alle ziemlich auf dem Zahnfleisch unterwegs. Der Kopf wird jetzt noch wichtiger als alles andere! Wir halten das Tempo.

KM 31: Ich sterbe!

KM 31.5: Endlich sehe ich das Zielbanner. Noch einmal aus dem Sattel und alles geben was geht. Die Oberschenkel brennen wie Feuer, der Puls hämmert im Kopf. Ich muss raus aus diesem Helm!

Km 32: ZIEL!!!! Beine hängen lassen, der Schmerz verlässt den Körper wie ein Geist. Jedesmal aufs Neue ein schönes Gefühl. Wir haben alles gegeben, können uns nichts vorwerfen und stolz auf uns sein!

Nach und nach kommen auch die anderen Teams ins Ziel, Fabio reicht uns direkt eine eiskalte Cola - unbezahlbar! Ich liebe den Kerl!

Langsam sickert die Info durch, dass wir wieder Zweiter geworden sind, knapp 30 Sekunden fehlen letztendlich zum Sieg!

Ohne das Missgeschick von Dan und mir wäre Platz 1 sicherlich im Bereich des Möglichen gewesen, auch Teamchef Micha Glowatzki ist über diesen "Anfängerfehler“ alles andere als begeistert. Ich weiß, dass das nicht passieren darf und das wird es auch nicht mehr!

Abhaken und draus lernen, trotzdem haben wir das Beste aus der Situation gemacht, zu fünft eine super Leistung gezeigt und alle vollzähligen Teams außer Belgien hinter uns gelassen.

Da man den Tag (das Tagebuch) ja immer mit etwas Positivem abschließen soll: Jesus (Dan Craven) war beim Friseur und sieht nun eher aus wie Robin Hood... Bilder durfte ich aus rechtlichen Gründen leider keine beifügen.

Bis Morgen,
Peter

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