Das Graue Trikot – Teil 14

Ultra-Ego gegen Volksseele

Von Guido Scholl

Foto zu dem Text "Ultra-Ego gegen Volksseele"

Lance Armstrong (Astana)

Foto: ROTH

18.07.2009  |  (rsn) - Wahnsinn! Revolution vor den Alpen. Schorse Hincapie hat das Graue Trikot erobert. Und seinen sage und schreibe sechsten Tageserfolg bei den Ãœ35-Senioren eingetütet. Okay, er hat Gelb um fünf Sekunden verpasst. Das Trikot besaß er aber bereits vor drei Jahren einmal. Nun hat er auch die Trophäe für den besten Tour-Senior übergestreift.

Vielleicht zeigt die zunehmende Kritik an der Zwielichtgestalt der Tour ja allmählich Wirkung? Oder wie ist es zu erklären, dass Lance Armstrong sich vor den Alpen das Graue Trikot um drei Sekunden hat abjagen lassen? Der US-Amerikaner wird es nicht gern hören, dass am grauen Tisch über seine Disqualifikation debattiert wurde. Gut, er gönnt es seinem ehemaligen US-Postal-Wasserboten Hincapie bestimmt, dass der sich morgen in Grau aus dem Staub machen darf. Und drei Sekunden sind für Schorse auch alles andere als ein Ruhekissen auf dem Weg nach Verbier.

Trotzdem: Wer den Texaner kennt, kennt auch dessen endlosen Appetit auf Siege und Anerkennung. Denn eigentlich ist der Lance nicht so schlimm, wie er wirkt. Er will nur gern mal auf den Schoß und hören, was für ein toller Kerl er ist. Am besten den ganzen Tag. Und die halbe Nacht. Dummerweise hat das 1999 gleich ganz blöd angefangen mit Lance und der Tour (hätte mir damals jemand gesagt, in zehn Jahren fährt Armstrong immer noch vorn, hätte ich auf Minigolf umgesattelt). Da fand ein Kontrolleur zu viel Cortison in einer Dopingprobe des damaligen Mannes in Gelb.

Aber Lance hatte eine Art Attest. Er darf also Cortison nehmen. Ein bisschen zumindest. Und das posaunte der Texaner, der bekanntlich zur Hektik neigt, dann auch gleich in einem Tonfall, der ihm in Frankreich einen erdrutschartigen Sympathieverlust einbrachte. Weiter ging es dann im Jahr 2000, als er mit überheblicher Geste Marco Pantani bemuttern musste. Ausgerechnet am Berg, wo der Pirat eigentlich sein Revier wähnte. Es kam zum Clinch, Pantanis wütende Gegenattacke auf dem Weg nach Morzine kommentierte Lenz nach deren Scheitern mit öliger Häme. Spätestens da war das Tischtuch am französischen Frühstückstisch durchschnitten.

Es folgte der unansehnliche Rosenkrieg eines ungleichen Paares: Dem texanischen Ultra-Ego und der französischen Volksseele. Einige Episoden daraus: Das Attacke-Verbot gegen Fillipo Simeoni, die Schauspieleinlage auf dem Weg nach Alpe d’Huez, die Etappen-Wegschnapperei gegen Andreas Klöden und die Arroganz gegenüber Alexander Winokurow, den er 2003 partout nicht als Konkurrenz bezeichnen mochte. Zwischenzeitlich zog Lance in Frankreich aus und ausgerechnet in Spanien ein. Das verhinderte aber nicht das Auftauchen von sechs positiven Dopingproben aus dem Jahr 1999. Der Ruf war ruiniert. Naja, das, was davon übrig geblieben war.

Dabei hätte alles so schön sein können. Lance, der Seriensieger, hätte sich 1999 nur etwas diplomatischer ausdrücken müssen. „Cortison? Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte. Das muss ein Irrtum sein“, wäre eine adäquate Antwort gewesen. So machen es ja auch 99 % der sonstigen überführten Dopingsünder. Eine betroffene Miene dazu oder sogar ein paar Krokodilstränen wie bei Ete Zabel, und schon wäre Lance weiter gut gelitten gewesen.

Die Geste gegenüber Pantani hätten alle als Großmut interpretiert, das Schwäche-Schauspiel am Berg hätte man mit Magenkräpfen erklärt und dass der Lance dem Klödi keinen Sieg gönnte, wäre honorig genannt worden, weil Lance somit mehr Prämiengeld für seine Helfer erspurtet hat. Und Winokurow? Wer ist das eigentlich nochmal? Alles eine Frage der Interpretation.

Gut, dass es nicht so gekommen ist. Denn nun wird Armstrong wenigstens als das interpretiert, was er ist: Ein Angeber mit fragwürdigen Manieren und einer Menge Mumm in den Beinen. Das muss man ihm schon lassen. Denn er kehrte immerhin freiwillig nach Frankreich zurück. Wahrscheinlich hat er auch die Pfeifkonzerte ein bisschen vermisst.

SN-Wertung Graues Trikot:
1. Schorse Hincapie
2. Lenz* +0:03
3. Stephane Goubert +6:49
4. Voigte +22:57
5. Christophe Moreau +27:53
6. Jose-Luis Arrieta +48:56
7. Marzio Bruseghin +58:21
8. Bingen Fernandez +1:01:27
9. Joan Horrach +1:04:17
10. Inigo Cuesta +1:04:32
11. Matteo Tosatto +1:12:09
12. Stu O'Grady +1:13:15
13. Steven de Jongh +1:37:19

*Es laufen Verhandlungen am grauen Tisch, ob Lenz wegen unsportlichen Verhaltens in der Ü35-Wertung disqualifiziert werden muss. Das Ergebnis ist offen.

Etappensiege Ü35:
Levi: 2, Hincapie: 8, Voigte 1, Moreau: 1, O’Grady: 1, de Jongh 2; Astana: 1

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