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28.07.2024 | (rsn) – Mit gerade mal 24 Jahren hat Remco Evenepoel bereits ein Palmares, das seinesgleichen sucht. Seit seinem Wechsel zu den Profis 2019 sammelte der Belgier große Siege wie am Fließband. Er wurde bereits Straßen- und Zeitfahr-Weltmeister, Vuelta-Gesamtsieger und gewann zweimal das Monument Lüttich-Bastogne-Lüttich. Im Juli landete Evenepoel bei seinem Tour-Debüt hinter Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard, den Gewinnern der vergangenen fünf Ausgaben, auf dem dritten Platz – der ihm mehr bedeutete als der Vuelta-Triumph.
In Paris nun erfuhr seine Karriere einen weiteren Höhepunkt: Im Olympia-Zeitfahren holte sich Evenepoel souverän die Goldmedaille vor dem Italiener Filippo Ganna sowie seinem Landsmann Wout van Aert und ließ dabei keine Spur von der Müdigkeit erkennen, die er nach dem Ende der kräftezehrenden Frankreich-Rundfahrt noch befürchtet hatte.
“Letzte Woche hatte ich nicht erwartet, dass ich noch einmal eine solche Leistung erbringen könnte, aber in den letzten zwei Tagen begann ich wieder daran zu glauben. Ich merkte, dass noch etwas im Tank war. Die letzten zwei Tage auf dem Rad gaben mir den nötigen Schub, den ich brauchte“, erzählte der Zeitfahr-Olympiasieger auf der Pressekonferenz, die er gemeinsam mit Bronzemedaillengewinner van Aert bestritt.
Vergessen war auch die harsche Kritik, die er am angeblich schlechten Zustand der “Scheiß-Straßen“ geäußert hatte – andere Fahrer wie etwa Maximilian Schachmann dagegen hatten den Parcours im Vorfeld explizit gelobt. “Ja, es waren sehr schlechte Straßen“, wiederholte Evenepoel seine Auffassung, um dann aber kurz und bündig anzufügen: “Jetzt, wo ich gewonnen habe, ist mir das egal.“ Nachdem er alle Widrigkeiten überwunden hatte, genoss Evenepoel den Olympiasieg stattdessen in vollen Zügen. “Das wird definitiv ein magischer Moment in meinem Leben sein“, kommentierte er seinen 57. Sieg als Profi.
Der war mit besonders vielen Gefühlen verbunden. “Der Weg zur Tour war aufgrund des Unfalls im Baskenland sehr schwierig. Ich hatte keine Zeit mehr, pünktlich und in bester Verfassung zur Tour zu reisen. Es waren ein paar harte Monate mit den beiden Trainingslagern und der Tour. Letztendlich war ich fast sechs Monate von zu Hause weg, um meine Träume zu verwirklichen“, berichtete Evenepoel, der im Ziel an der Pont Alexandre III im Regen seinem ständigen Betreuer Dirk Geeroms in die Arme fiel und sich von seinen Emotionen überwältigen ließ. “Ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, nach einer so harten Tour ein so gutes Zeitfahren zu fahren, obwohl ich sagen muss, dass es nicht völlig unerwartet kam“, fügte Evenepoel auf der Pressekonferenz an.
Dabei bestritt er seine Goldfahrt nach eigenen Worten durchaus mit dosiertem Einsatz. “In den Kurven bin ich kein 100-prozentiges Risiko eingegangen, obwohl ich sie auch nicht langsam durchfahren habe. Unterwegs bemerkte ich die Zeitunterschiede, aber erst auf dem letzten Kilometer wurde mir klar, dass der Sieg in greifbarer Nähe war“, sagte Evenepoel. Letztlich war er 15 Sekunden schneller als der zweimalige Weltmeister Ganna und 25 Sekunden als van Aert, der als einziger der 34 Starter vorne und hinten Scheibenräder hatte montieren lassen.
Dennoch war er auf den regennassen Straßen chancenlos gegen Evenepoel, der souverän sein viertes Zeitfahren in dieser Saison für sich entschied – zugleich das für ihn wichtigste, wie er anmerkte: “Dieser olympische Titel bedeutet mir sehr viel. Die Chance, Olympiasieger zu werden, hat man nur alle vier Jahre. Dies war auch der letzte Titel, den ich als Zeitfahrer gewinnen musste. Diese Liste ist nun abgehakt. Was es besonders schön macht, ist, dass ich nach einer fantastischen Tour diese Goldmedaille gewinne und außerdem mit zwei anderen Legenden des Radsports auf dem Podium stehe.“
Abgehakt sind für Evenepoel die Olympischen Spiele aber noch nicht. Sein nächstes großes Ziel ist das Straßenrennen am kommenden Sonntag, in dem ihm noch eine weitere Medaille winkt – zumal das belgische Team stark besetzt ist: Zu Evenepoel und van Aert – Silbermedaillengewinner von Tokio – kommen mit Tiesj Benoot und Jasper Stuyven zwei ausgewiesene Klassikerspezialisten, die das Führungsduo effektiv unterstützen sollten.
“Wout und ich werden heute Abend einige Verpflichtungen haben. Natürlich hoffen wir, unseren Erfolg ein wenig feiern zu können, aber zu viel feiern werden wir auf keinen Fall. Nein, lasst uns zunächst unser Bestes geben, um nächste Woche eine extragroße Party zu organisieren“, machte Evenepoel auf der Pressekonferenz keinen Hehl daraus, dass sein Medaillenhunger noch nicht gestillt ist.