Andreas Schulz - Eurosport-Blog

´Rust in vrede´, Wouter

Von Andreas Schulz

10.05.2011  |  Man soll Distanz wahren, wird Journalisten immer wieder eingetrichtert. Stimmt ja auch, ist ja schön und gut. Aber manchmal bin ich wohl im falschen Job. Die schrecklichen Bilder vom tragischen Sturz auf dieser schon jetzt zu trauriger Berühmtheit gelangten Giro-Etappe trafen mich in die Magengrube - und mir ist immer noch schlecht.

Man gewöhnt sich an alles, heißt es oft. Stimmt ja auch. Aber dann merke ich, dass ich mich an manches gar nicht gewöhne. An die Bilder von Stürzen etwa, ganz egal ob im Wintersport, Motorsport - oder eben mit dem Rad. Dabei geht es so oft, fast wie durch ein Wunder, glimpflich aus. Doch das verdeckt nur den Blick in jenen Abgrund, der sich öffnet, wenn es tragisch endet.

An die Glücksfälle gewöhnt

Die Fahrer blenden die Risiken meist zwangsläufig aus, sonst können sie ihren Beruf wohl kaum noch ausüben. Und wir Berichterstatter haben uns manchmal vielleicht auch zu sehr daran gewöhnt, dass es ja meist gut endet und blenden den "worst case" ebenso aus wie die Profis.

Doch das ist nur die Oberfläche. Ein Bild genügt, und die anderen Bilder sind sofort wieder da. Wie etwa das von jener Schlucht, in die Pedro Horillo vor zwei Jahren beim Giro über 50 Meter tief stürzte. Heute hat der Spanier übrigens einen bewegenden Text über Weylandt verfasst - in seinem neuen Leben als Journalist.

Ich sehe noch Jens Voigt oder Oscar Pereiro reglos auf den Straßen der Tour liegen, gefolgt von endlosen Minuten bis zur Entwarnung. Ich weiß genau wie der Abhang aussieht, in den bei der Tour 2008 John Lee Augustyn stürzte, in der Abfahrt vom höchsten Pass Europas. Damals amüsierten sich viele Leute schnell über seine an Slapstick grenzenden Versuche, wieder hinauf zur Straße zu gelangen.

Auf Spaß folgt Ernst

Und gerade heute, seltsamer Zufall rückblickend, habe ich mal wieder den Sturz von Jan Ullrich bei der Tour de France 2001 gesehen, wo er nach Salto über die Leitplanke im Nirgendwo verschwindet. Später wurde mit den Bildern ein launiger Werbespot gemacht: Der hat auch mir gefallen, dabei sollte man viel eher jedesmal innerlich eine Kerze anzünden.

Denn am Ende eben jener Etappe zeigt Lance Arrnstrong bei seinem Sieg gen Himmel, um an seinen Teamkollegen Fabio Casartelli zu erinnern. Der war sechs Jahre zuvor als bislang letzter Fahrer bei der Tour tödlich verunglückt - und ich weiß noch genau, wie mich die Bilder des jungen Italieners seinerzeit geschockt haben.

Über 15 Jahre später, nach dutzenden von großen Rundfahrten und hunderten Etappen, die ich gesehen, beschrieben, erlebt habe, trifft mich das Drama um Wouter Weylandt noch genauso wie seinerzeit den radbegeisterten Zivi vor seinem Fernseher im Büro.

Was wirklich zählt

Ich versuche ja, die professionelle Distanz zu wahren. Oder zumindest meiner Aufgabe auch in solchen Situationen ordentlich nachzukommen. Das hat sogar am Abend des Selbstmordes von Robert Enke irgendwie funktioniert.

Auch deshalb horte ich keine Devotionalien am Arbeitsplatz, da soll nüchtern und konzentriert, ohne die Ablenkung von Erinnerungsstücken und Reporter-Trophäen gearbeitet werden.

Aber ein einziges Autogramm hängt dann doch am Regal. Als Mahnung, dass der Sport gar nicht so wichtig ist. Dass die Ergebnislisten in den Ordnern und Büchern nichts zählen im Vergleich zu den wirklichen Dramen des Lebens.

Es ist die Kopie einer kyrillischen Unterschrift, die sich mein Kollege Ulli Jansch im März 2003 von einem Fahrer besorgte, um die exakte Aussprache seines Namens herleiten zu können. Kurz darauf stürzte Andrei Kivilev bei Paris-Nizza tödlich.

Bruyneels Botschaft

Dass ich mal einen Blog mit einem Zitat meines speziellen Freundes Johan Bruyneel beenden würde, hatte ich nie gedacht. Doch ganz egal wie man zu dem Belgier steht (der 1996 selbst bei der Tour einen fürchterlichen Sturz fast unversehrt überstand): Hier schließe ich mich aus ganzem Herzen den Worten zu seinem belgischen Landsmann an:

"I apologize if this is just a rambling stream of sentences. At times like this, I find comfort in sharing my thoughts no matter if they make complete sense. And I urge you to find something that brings you not only comfort, but a way to remember the life of Wouter Weylandt.

May he rest in peace forever. May his memory live on in all of us. And may his unborn baby know his her father from the wonderful stories shared by Wouter's family, friends and fans." 

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