Siegfried Fröhlichs Sportrechtsblog

Berufsfreiheit für „Radsport-Azubis“

Von Siegfried Fröhlich

Foto zu dem Text "Berufsfreiheit für „Radsport-Azubis“"
Sportrechtler Siegfried Fröhlich | Foto vom Autor

24.09.2012  |  (rsn) - Als Rechtsanwalt berate ich seit gut einem Jahrzehnt auch Sportler. Der dabei häufigste Fall der Rechtsberatung ist derjenige, dass mich ein Sportler mit halbwegs ausgehandeltem Vertrag kontaktiert und bittet, den Vertrag gegenzulesen und eventuell zu verbessern. Meist sind das Sportler, die ohne Manager auskommen wollen und daher über Beraterfrei.com auf mich als Juristen stoßen.

So kam es, dass mich kürzlich ein junger Sportler fragte, ob er bedenkenlos das Angebot eines Continental Teams annehmen könne oder aber zuerst den Sportdirektor des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) um seine Meinung fragen müsse. Er selbst sei zwar noch nicht Mitglied der Nationalmannschaft, hoffe es aber bald zu sein. Als Nationalfahrer dürfe er nur mit Zustimmung des BDR-Sportdirektors Verträge in einem Continental Team unterzeichnen.

Relativ fest im Regelwerk des BDR, schmunzelte ich zunächst, begab mich dann aber doch auf die Suche nach einer entsprechenden Verlautbarung. Fündig wurde ich in einem BDR-Schreiben vom 21.08.2012 an potenzielle Continental-Teams, in dem wörtlich geschrieben steht:

Wir weisen an dieser Stelle nochmals ausdrücklich darauf hin, dass nur mit der Zustimmung des Sportdirektors ein BDR Kader-Sportler einen Vertag bei einem KT Team unterzeichnen darf. Ist so eine Ansage des BDR rechtlich überhaupt zulässig? Eine interessante Frage, wie ich finde, der ich in meinem Blog - für den Laien hoffentlich nachvollziehbar - nachgehen möchte.

Zunächst einmal muss man wissen, dass die Selbstverwaltung des Sports autonom ist. Das bedeutet, der Sport kann sich seine Regeln selbst auferlegen. Zu vergleichen ist das mit dem Hausrecht: Der Mieter einer Wohnung bestimmt, wenn er auf seine Party einlädt und wie man sich dort zu verhalten hat.

Dennoch gibt es Einschränkungen dieser Unabhängigkeit des Sports. So sagt der Bundesgerichtshof, dass Regelwerke im Sport dann einer Überprüfung durch die staatlichen Gerichte und des Rechts der Bundesrepublik Deutschland zugänglich sind, wenn sie sittenwidrig sind oder gegen „Treu und Glauben“ verstoßen.

Was unter „Treu und Glauben“ zu verstehen ist, können wir außer acht lassen. Betrachten wir uns den Begriff der Sittenwidrigkeit. Von dieser spricht der Jurist, wenn ein Verhalten gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkender verstößt.

Eine solche Sittenwidrigkeit kann dann gegeben sein, wenn gegen das Grundgesetz verstoßen wird. Auf der Suche nach einer Norm, gegen die eine Zustimmungserfordernis des Sportdirektors verstoßen könnte, landet man schnell bei der Berufsfreiheit. In Artikel 12 des Grundgesetzes heißt es:

“Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.”

Das Zustimmungserfordernis könnte also die freie Wahl von „Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte“ einschränken. Dann müsste ein Vertrag mit einem Continental Team die Qualität eines Arbeitsplatzes oder einer Ausbildungsstätte im Sinne des Grundgesetzes haben.

Das ist dem Wortlaut nach zunächst zu verneinen. Denn unter Arbeitsplatz versteht der Jurist „eine Stätte, an welcher der Einzelne einem gewählten Beruf im konkreten Fall nachgehen möchte“. Beruf wiederum ist eine „Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und in ideeller und materieller Hinsicht der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient“.

Der BDR verlangt von den Continental Teams, den Sportlern eine Mindestvergütung von monatlich 250 EUR zu zahlen. Es ist leicht nachvollziehbar, dass dieser Betrag der „Schaffung oder Erhaltung einer Lebensgrundlage“ nicht dienen kann. Ein Radfahrer mit einer monatlichen Vergütung von 250 EUR oder auch 500 EUR ist daher sicher kein Berufsradfahrer, auch wenn das so auf seiner Lizenz steht und er pro Tag sechs Stunden trainiert.

Unter „Ausbildungsstätte“ verstehen die Gerichte alle Einrichtungen, die der Ausbildung für bestimmte Berufe oder Berufsgruppen dienen: Hochschulen, Lehrstellen, etc. Da es den Ausbildungsberuf „Sportler“ als solchen eigentlich nicht gibt, scheidet das Continental Team als Ausbildungsbegriff wörtlich somit ebenfalls aus.

Demnach dürfte das Recht auf eine freie Wahl des Arbeitsplatzes nicht auf „Vollzeitamateure“ anzuwenden sein. Doch wäre das wirklich gerecht?

Der Eintritt in ein Continental Team ist bei einem jungen Sportler meines Erachtens vergleichbar mit dem Eintritt eines Auszubildenden in eine Ausbildungsstätte. Es gibt wohl nur alle paar Jahre einen U19-Fahrer, der unmittelbar bei Eintritt in die U23 in ein WorldTour Team oder Professional Continental Team wechselt. Der Rest der Sportler gelangt über ein Continental Team in größere Mannschaften.

Wenn nun aber der Nicht-Sport-Azubi bei der Wahl seines Ausbildungsbetriebes unter den Schutz der Berufsfreiheit gestellt wird, muss dies auch für den „Radsport-Azubi“ gelten. Der Umstand, dass Radprofi kein Ausbildungsberuf ist, kann dem nicht entgegenstehen: Denn die geschilderten Situationen sind vergleichbar.

Continental-Fahrer sollten somit, zumindest wenn es sich um Athleten mit Perspektive in den bezahlten Radsport handelt, unter den Schutz der freien Wahl des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte zu stellen sein. Bei Kader-Athleten des BDR wird man eine solche Perspektive wohl vermuten dürfen.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der Bundesgerichtshof bei zwei jungen Fußballern, die über ein monatliches Einkommen von 500 EUR verfügten. Auch diese Spieler wurden als Vertragsamateure den Berufssportlern gleichgestellt.

Ob das vom BDR verlautbarte Zustimmungserfordernis einer gerichtlichen Überprüfung standhält, wäre letztlich eine Frage, die im Zweifelsfall ein Richter zu entscheiden hat. Zweifel an der Rechtmäßigkeit sind jedoch nicht aus den Fingern gesogen.

Meinen Mandanten werde ich also raten, das für sich sportlich beste Team auszusuchen und dort einen Vertrag zu unterschreiben. Und wenn er möchte, soll er den Sportdirektor nach dessen Meinung fragen.

Mehr Informationen zu diesem Thema

16.04.2013„Verpfeifen“ sollen andere

(rsn) - Im Oktober 2008 wurde Stefan Schumacher beschuldigt, bei der Tour de France mit dem Medikament CERA gedopt zu haben. Viereinhalb Jahre danach muss sich der Nürtinger wegen der damaligen Vor

23.10.2012Die Folgen der Wahrheit

(rsn) - Ständige Leser meiner Blogs werden wissen, dass ich grundsätzlich kein Freund der Kronzeugenregelung im Sport bin. Dies fördert meines Erachtens das Denunziantentum und weniger den sauberen

24.08.2012Armstrong über Komplizenbetrug gestolpert?

(rsn) - „Ex-Teamkollegen belasten Armstrong schwer“ – so war es Anfang Juli im Internet zu lesen. George Hincapie, Floyd Landis und andere ehemaligen Kollegen sollen gegenüber der amerikanische

18.07.2012RadioShack-Nissan: Wie einst Team Coast?

(rsn) - Als vor etwa einem Jahr die Fusion der Teams Leopard Trek und RadioShack verlautbart wurde, sprachen viele Experten vom Entstehen des besten Teams aller Zeiten. Einige Radsportkenner befürcht

02.04.2012Wer Scharia kann, kann auch Sport

(rsn) - Wieder einmal sorgt die Wiener Blutbank für Aufregung im Sport. Eine heimliche Tonbandaufzeichnung des ehemaligen Langläufers Christian Hoffmann von einer Urteilsberatung der NADA Österreic

01.02.2012UV-Behandlung - angeblich verboten

(rsn) - Seit einigen Tagen diskutiert der Sport über einen möglichen Blutdoping-Skandal. Ausgangspunkt der Spekulationen war ein Bericht der Journalistin Grit Hartmann im Deutschlandfunk am 11. Janu

03.11.2011Schadensersatz bei vorzeitiger Teamauflösung

(rsn) – Die vorzeitige Auflösung von Rennställen hat für Radprofis oftmals unangenehme Folgen – das gilt in erster Linie natürlich für solche Fahrer, deren Verträge auslaufen. Wie aber gesta

Weitere Radsportnachrichten

02.05.2024Offiziell bestätigt: Red Bull wird zur Tour als Titelsponsor sichtbar

(rsn) – Das deutsche WorldTeam Bora – hansgrohe wird ab der kommenden Tour de France (29. Juni - 21. Juli) als Red Bull – Bora – hansgrohe unterwegs sein. Das gab Manager Ralph Denk am Donners

02.05.2024Buchmann zur Giro-Ausbootung: “Komische Begründung“

(rsn) - Bis Ende des Jahres steht Emanuel Buchmann noch bei Bora – hansgrohe unter Vertrag. Ob er verlängert wird, scheint zumindest in diesem Moment nicht sicher. Mit großer Verärgerung tritt de

02.05.2024Arkéa - B&B Hotels verlängert vorzeitig mit Costiou

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Profiradsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder R

02.05.2024Pogacar thront bei seiner Premiere über allen

(rsn) – Auf dem Papier scheint der 107. Giro d’Italia schon entschieden, noch bevor am Samstag in Venaria Reale nördlich von Turin der Startschuss fällt. Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) ist de

02.05.2024Zu Ehren des Sponsors: Intermarché in speziellem Giro-Trikot

(rsn) – Im dritten Jahr in Folge wird Intermarché - Wanty nicht in seinem Standard-Outfit zum Giro d´Italia antreten. Bei der am 4. Mai beginnenden 107. Ausgabe der Italien-Rundfahrt will das belg

02.05.2024Krieger und Mayrhofer sollen Dainese zum Hattrick pilotieren

(rsn) – Das Team Tudor startet am Samstag in seine erste Grand Tour. Zum 107. Giro d’Italia (4. – 26. Mai) tritt der Schweizer Zweitdivisionär aber mit einem relativ erfahrenen Aufgebot an. Nu

02.05.2024Giro d`Italia: Die letzten zehn Jahre im Überblick

(rsn) - Der Giro d`Italia ist traditionell die erste dreiwöchige Landesrundfahrt im Rennkalender, bei der sich immer wieder auch die Deutschen als Etappenjäger hervortaten. Im Jahr 2022 konnte das

02.05.2024“Underdogs“ Bauhaus und Kanter hoffen auf Giro-Etappensiege

(rsn) – Olav Kooij (Visma – Lease a Bike), Tim Merlier (Soudal – Quick-Step), Fabian Jakobsen (dsm-firmenich – PostNL), Jonathan Milan (Lidl – Trek), Kaden Groves (Alpecin – Deceuninck),

02.05.2024Bénin: Jury nimmt Bike Aid das Gelbe Trikot wieder weg

(rsn) – Erneuter Tiefschlag für das Team Bike Aid bei der Tour du Bénin (2.2). Nachdem Yoel Habteab zum Auftakt seinen Etappensieg aberkannt bekommen hatte, weil er und seine Gruppe den Motorräd

02.05.2024Großes Vorschau-Paket: Die Strecke des Giro d´Italia 2024

(rsn) – Sechs Bergankünfte, zwei Einzelzeitfahren, toskanischer Schotter, der Mortirolo, der Stelvio und zum krönenden Abschluss zwei Mal der Monte Grappa – das ist der 107. Giro d´Italia (4. -

02.05.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morg

01.05.2024Highlight-Video des 61. Eschborn-Frankfurt

(rsn) – Maxim Van Gils (Lotto – Dstny) hat die 61. Ausgabe von Eschborn – Frankfurt (1.UWT) gewonnen. Der 24-jährige Belgier setzte sich über 203,8 Kilometer von Eschborn nach Frankfurt im Spr

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine